ZWEI CHINESISCHE H O L Z S K U L P 1 U R E N
VON LUDWIG BACHHOFER
Der Handel mit chinesischen Altertümern ist starken
Modeschwankungen unterworfen, er konzentriert
sich mit Vorliebe auf bestimmte Gattungen, die früher
gar nicht bekannt oder kaum beachtet waren; mit
einem Mal sind sie da und erscheinen in großen
Massen auf dem Markt. So ging es mit der alten
Keramik, mit der alten Steinplastik und den Grab-
beigaben. Das letzte Jahrzehnt war besonders reich
an solchen Entdeckungen, es brachte die chinesische
Holzskulptur, die skythischen und skytho-chinesi-
schen Bronzen, die prähistorische Keramik, wozu
in neuerer Zeit die chinesischen Fresken kamen.
Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, dieses reiche
Material an seinem rechten Platz einzureihen; das
ist nicht immer leicht, denn Provenienz und Fund-
umstände bleiben meistens unbekannt, obendrein
sind datierte oder datierbare Exemplare, mit deren
Hilfe sich Ordnung in die Menge des Vorhandenen
bringen ließe, sehr rar. Auf der andern Seite hat sich
unser Wissen um die chinesische Kunst sehr ge-
klärt, die Augen werden schärfer, man geht metho-
disch vor, so daß überall alte Ansichten neuen, besser
fundierten Erkenntnissen weichen müssen.
Die Geschichte der chinesischen Plastik bietet dafür
das beste Beispiel. Über die Bildhauerei vom 6. bis
8. Jahrhundert wußte man ziemlich gut Bescheid,
denn eine Reihe von datierten Werken bezeichnete
den Weg; was später entstanden war, wurde ganz
gefühlsmäßig datiert. Der dilettantischen Einteilung
in Perioden der Blüte und des Verfalls entging auch
diese Kunst nicht, die Zeit vom 5. bis 10. Jahrhun-
dert galt als die produktive Epoche, was nach der
Jahrtausendwende lag, war gering geachtet. Es ist
vor allem Oswald Siren zu danken, daß die Akzente
sich verschoben haben und wir klarer sehen: so man-
ches Stück, das als ein besonders schönes Werk der
Blütezeit figurierte, mußte ein paar Jahrhunderte
oder gar ein Jahrtausend seines Alters ablassen, wenn
nicht das Verdikt „Fälschung“ seiner Existenz ein
schnelles Ende bereitete.
Die chinesische Holzplastik hat sich rasch eine ge-
achtete Stellung erobert. Sie hat vom 12. Jahrhundert
an eine bedeutende Rolle gespielt, es ist sicher kein
Zufall, daß der malerische Stil dieser Epoche beson-
ders gerne dem weichen Material des Holzes sich
zuwandte. Die Herzen des Publikums hat sie sich
durch den Charme ihrer Bildungen gewonnen, nicht
zuletzt durch ihr Lieblingsmotiv der sitzenden Kuan-
yin, der Göttin der Barmherzigkeit und Hilfsbereit-
schaft, die auf einem Felsen thront und in lässiger
Haltung die Bitten der Gläubigen anhört. — Hier
sei im Vorübergehen gesagt, daß Kuan-yin eigent-
lich ein geschlechtsloser Bodhisattva ist, ein Wesen,
das auf seine eigene Erlösung verzichtet hat, um die
Menschen zu retten; daher ist die nackte Brust flach,
sogar ohne Brustwarzen gegeben. Im übrigen ist die
Gestalt aber immer stark nach der weiblichen Seite
hin interpretiert worden. — Von der erhabenen Un-
nahbarkeit der früheren Heiligenbildnisse ist nichts
mehr geblieben, das Ganze ist in die Sphäre einer
schönen Menschlichkeit gerückt und das ist es auch,
was diese Figuren jedem künstlerisch Empfinden-
den so unmittelbar nahebringt.
Der Stil dieser Holzskulpturen ist ein ausgesprochen
malerischer. Chinesische Plastik ist ja von Haus aus
bildhaft, Figur und Sockel gehören unbedingt zu-
sammen: erst dieser Akkord ergibt den rechten
Klang.Trotzdem gaben sich früher Sockel und Figur
auf den ersten Blick als solche zu erkennen: jetzt
greifen beide derart ineinander über, daß die Gren-
zen nicht auszumachen sind. Im 12. und 13. Jahr-
hundert verbinden sich die Elemente zu einem un-
lösbaren Komplex, der plastisch gar nicht mehr
nacherlebbar ist. Die Gruppen sind auch darauf gar
nicht eingestellt, sie rechnen allein mit dem opti-
schen Totaleffekt des Ensembles. Es bedeutet des-
halb eine wesentliche Beeinträchtigung der ursprüng-
lichen Wirkung, wenn Holzskulpturen dieser Zeit
isoliert aufgestellt werden, was sich leicht an einigen
weithin bekannten Werken nachprüfen läßt.
Es ist kein geringer Vorzug der hier gezeigten Kuan-
yin auf dem Felsenthron (im Besitze W. Schnacken-
bergs, München), daß sie sich das alte Ambiente
bewahrt hat. Der naturalistisch zerklüftete Unterbau
bildet mit der Figur eine unlösbare Formeinheit. In
breiten Kaskaden fließt die Bewegung herab, Ge-
wand und Schmuck greifen weit über den Sockel
und binden auch im Objektiven die Dinge aneinan-
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Der Handel mit chinesischen Altertümern ist starken
Modeschwankungen unterworfen, er konzentriert
sich mit Vorliebe auf bestimmte Gattungen, die früher
gar nicht bekannt oder kaum beachtet waren; mit
einem Mal sind sie da und erscheinen in großen
Massen auf dem Markt. So ging es mit der alten
Keramik, mit der alten Steinplastik und den Grab-
beigaben. Das letzte Jahrzehnt war besonders reich
an solchen Entdeckungen, es brachte die chinesische
Holzskulptur, die skythischen und skytho-chinesi-
schen Bronzen, die prähistorische Keramik, wozu
in neuerer Zeit die chinesischen Fresken kamen.
Es ist die Aufgabe der Wissenschaft, dieses reiche
Material an seinem rechten Platz einzureihen; das
ist nicht immer leicht, denn Provenienz und Fund-
umstände bleiben meistens unbekannt, obendrein
sind datierte oder datierbare Exemplare, mit deren
Hilfe sich Ordnung in die Menge des Vorhandenen
bringen ließe, sehr rar. Auf der andern Seite hat sich
unser Wissen um die chinesische Kunst sehr ge-
klärt, die Augen werden schärfer, man geht metho-
disch vor, so daß überall alte Ansichten neuen, besser
fundierten Erkenntnissen weichen müssen.
Die Geschichte der chinesischen Plastik bietet dafür
das beste Beispiel. Über die Bildhauerei vom 6. bis
8. Jahrhundert wußte man ziemlich gut Bescheid,
denn eine Reihe von datierten Werken bezeichnete
den Weg; was später entstanden war, wurde ganz
gefühlsmäßig datiert. Der dilettantischen Einteilung
in Perioden der Blüte und des Verfalls entging auch
diese Kunst nicht, die Zeit vom 5. bis 10. Jahrhun-
dert galt als die produktive Epoche, was nach der
Jahrtausendwende lag, war gering geachtet. Es ist
vor allem Oswald Siren zu danken, daß die Akzente
sich verschoben haben und wir klarer sehen: so man-
ches Stück, das als ein besonders schönes Werk der
Blütezeit figurierte, mußte ein paar Jahrhunderte
oder gar ein Jahrtausend seines Alters ablassen, wenn
nicht das Verdikt „Fälschung“ seiner Existenz ein
schnelles Ende bereitete.
Die chinesische Holzplastik hat sich rasch eine ge-
achtete Stellung erobert. Sie hat vom 12. Jahrhundert
an eine bedeutende Rolle gespielt, es ist sicher kein
Zufall, daß der malerische Stil dieser Epoche beson-
ders gerne dem weichen Material des Holzes sich
zuwandte. Die Herzen des Publikums hat sie sich
durch den Charme ihrer Bildungen gewonnen, nicht
zuletzt durch ihr Lieblingsmotiv der sitzenden Kuan-
yin, der Göttin der Barmherzigkeit und Hilfsbereit-
schaft, die auf einem Felsen thront und in lässiger
Haltung die Bitten der Gläubigen anhört. — Hier
sei im Vorübergehen gesagt, daß Kuan-yin eigent-
lich ein geschlechtsloser Bodhisattva ist, ein Wesen,
das auf seine eigene Erlösung verzichtet hat, um die
Menschen zu retten; daher ist die nackte Brust flach,
sogar ohne Brustwarzen gegeben. Im übrigen ist die
Gestalt aber immer stark nach der weiblichen Seite
hin interpretiert worden. — Von der erhabenen Un-
nahbarkeit der früheren Heiligenbildnisse ist nichts
mehr geblieben, das Ganze ist in die Sphäre einer
schönen Menschlichkeit gerückt und das ist es auch,
was diese Figuren jedem künstlerisch Empfinden-
den so unmittelbar nahebringt.
Der Stil dieser Holzskulpturen ist ein ausgesprochen
malerischer. Chinesische Plastik ist ja von Haus aus
bildhaft, Figur und Sockel gehören unbedingt zu-
sammen: erst dieser Akkord ergibt den rechten
Klang.Trotzdem gaben sich früher Sockel und Figur
auf den ersten Blick als solche zu erkennen: jetzt
greifen beide derart ineinander über, daß die Gren-
zen nicht auszumachen sind. Im 12. und 13. Jahr-
hundert verbinden sich die Elemente zu einem un-
lösbaren Komplex, der plastisch gar nicht mehr
nacherlebbar ist. Die Gruppen sind auch darauf gar
nicht eingestellt, sie rechnen allein mit dem opti-
schen Totaleffekt des Ensembles. Es bedeutet des-
halb eine wesentliche Beeinträchtigung der ursprüng-
lichen Wirkung, wenn Holzskulpturen dieser Zeit
isoliert aufgestellt werden, was sich leicht an einigen
weithin bekannten Werken nachprüfen läßt.
Es ist kein geringer Vorzug der hier gezeigten Kuan-
yin auf dem Felsenthron (im Besitze W. Schnacken-
bergs, München), daß sie sich das alte Ambiente
bewahrt hat. Der naturalistisch zerklüftete Unterbau
bildet mit der Figur eine unlösbare Formeinheit. In
breiten Kaskaden fließt die Bewegung herab, Ge-
wand und Schmuck greifen weit über den Sockel
und binden auch im Objektiven die Dinge aneinan-
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