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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0092

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EINE BRONZESTATUE AUS SÜDINDIEN

VON LUDWIG

BACH HOFER

Auf einem quadratischen Piedestal erhebt sich ein
Lotussockel, darauf steht, auf große Richtungskon-
traste gebracht, eine weibliche Figur: Stand- und
Spielbein sind deutlich geschieden, das Becken lädt
stark nach der Seite des belasteten Beines aus; davon
setzt der zarte Oberkörper sich durch eine entschie-
dene Wendung in den Hüften ab und schließlich stellt
der Kopf mit seiner hohen Frisur sich noch einmal
in starken Gegensatz zur geneigten Schulterlinie.
Reiner Kontrapost, dem Spielbein antwortet der ge-
beugte rechte Arm, umgekehrt entspricht der gerade
linke Arm dem gestrafften Standbein.
Die Gelenke sind nachdrücklich herausgearbeitet,
die Gliederung des Körpers in seine Komponenten
wirkt fast übertrieben; gerade das aber ist die erste
Forderung, der ein Kunstwerk nach indischer Auf-
fassung nachkommen muß, denn die indische Form-
vorstellung geht von der Teilform aus und räumt
ihr auch im Verband des Ganzen eine mehr oder
weniger ausgesprochene Selbständigkeit ein.
Das führte schon früh dazu, über das Verhältnis der
Teile zueinander nachzudenken: der Begriff „Ge-
trenntheit“ rangiert an erster Stelle in der indischen
Ästhetik, der zweite Begriff heißt „Proportion“. Im
7. Jahrhundert entstand, unterstützt durch den in-
dischen Hangzum Schematisieren, ein ausgeklügeltes
Proportionssystem, worin Länge und Ausdehnung
der einzelnen Körperteile zahlenmäßig festgelegt
sind. Dazu kam eine Typisierung der Göttergestal-
ten, ihre Haltung, ihre Gesten und Attribute wurden
ein für allemal fixiert. Wie weit hier religiöse Über-
legungen hereinsprachen, läßt sich heute nicht mehr
ausmachen, jedenfalls hat die magische Vorstellung,
daß ein Götterbildnis ein Mittel sei, um die Himm-
lischen zu Dienstleistungen für die Menschen zu
zwingen, dahin geführt, daß Brahmanen und Gläu-
bige vor allem anderen auf die kanonische Richtig-
keit sahen.
Diese Einstellung galt für den Norden und den

Süden, der Handwerker fühlte sich wohl dabei,
denn die strikte Befolgung der Vorschriften garan-
tierte ihm den Absatz seiner Arbeit. Daraus erklärt
sich die geringe Qualität der meisten südindischen
Bronzen in unseren öffentlichen und privaten Samm-
lungen. Der Meister jedoch wird die Regeln kaum
als Beschränkung empfunden haben, wo der Bilder-
macher aufhörte, da begann erst seine Aufgabe:
das tote Schema zu einem lebendigen Kunstwerk
zu gestalten.
Diese Aufgabe hat der Meister der hier gezeigten
Göttin glänzend gelöst. Man muß die üblichen Fas-
sungen des Themas kennen, um den künstlerischen
Wert dieser Statue ermessen zu können: wie hier die
Einzelformen sich zu schöner Harmonie vereinen,
wie fein die Massen abgewogen sind, wie überlegen
und groß die Konturen geführt sind, die freilich
noch klarer sprächen, wenn der Photograph etwas
nach rechts gerückt wäre.
Dargestellt ist ParameSvari, die Gemahlin des Siva,
an dessen linker Seite sie ursprünglich gestanden
haben muß. Die Göttin ist sonst noch unter dem
Namen Parvati und Uma bekannt, doch präsentiert
sie sich dann in anderen Stellungen.
Über die Datierung der südindischen Bronzen gingen
bis vor kurzem die Meinungen weit auseinander,
man hatte sie etwas schnell mit den Tempeln in
Verbindung gebracht, in denen sie standen oder in
deren Nähe sie gefunden wurden; auf diese Weise
erhielt man Daten, die bis an die Wende des Jahrs
tausends hinaufführten. Jetzt ist aber durch den
Fund einer datierten Nataraja*Statue etwas Klarheit
in das verwickelte Problem gebracht worden; das
Stück gehört dem Stil nach zu den ältesten bekann-
ten äivasDarstellungen und ist ins Jahr 1511 datiert.
Von diesem festen Punkt aus und durch vorsichtig
ges Vergleichen mit der datierbaren Steinplastik
wird man das vorliegende Werk noch dem aus*
gehenden 16. Jahrhundert zuschreiben dürfen.

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