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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0146

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ZWEI BILDER DES PAOLO VERONESE

VON WILHELM SU IDA

Die Zeit reift heran, welche die wahre Größe des
Paolo Veronese wieder empfindet. Ohne Gewaltsam-
keiten, gleichsam in liebenswürdigem Spiele ist er
einer der größten Neuerer, einer der fruchtbarsten
Erfinder, welche die Geschichte der Malerei kennt;
rein malerisch ist er einer der bewunderungswürdig-
sten Zauberer. Berenson hat mit Recht schon vor
20 Jahren von ihm gesagti): ,,Im ganzen genommen
war er der größte Meister der malerischen Vision,
so wie es Michelangelo der der plastischen war; und
man mag sich fragen, ob Paolo Veronese, rein als
Maler genommen, jemals übertroffen worden sei.“
Der hinreißende Zug seiner Komposition, die wir-
kungsvolle Disposition, das, was Paolo Veronese zum
großen Regisseur macht, konnte von den Mitgliedern
seiner Werkstatt und Schule bis zu einem gewissen
Grade verwertet werden. Die bis zum Erhabenen sich
steigernde Vornehmheit der Auffassung, und das im
Laufe seines Wirkens ins Wunderbare wachsende
Raffinement malerischer Ausführung hebt die eigen-
händigen Schöpfungen Paolos aber aus der, zwar nicht
unübersehbaren, aber doch erstaunlichen Zahl von
Werken, die der dirigierende Geist des Meisters an-
geregt und gefördert, die seine Hand aber gar nicht,
oder nur zum kleinen Teile ausgeführt hat, empor.
Die hier in Abbildung (S. 125) mitgeteilte Pieta, aus
dem Besitze des Herrn Eugenio Sardi in Mailand, ist
ein eigenhändiges Spätwerk. Vor einem, in den
Lichtern phantastisch aufblitzenden grünen Vorhang
sehen wir drei Gestalten. Den leblosen Körper Christi
sitzend, bis unterhalb der Knie, das Haupt in Profil
gestellt, von einem alten Manne, wohl Nikodemus,
gestützt und einem Engel, der in kupferfarbigem
Kleide aus dem dämmerigen Dunkel des Hinter-
grundes auftaucht, mit besorgtem Blick das Antlitz
des Erlösers betrachtet und behutsam dessen linken
Arm anfaßt, als erwarte er, daß die kurze Phase des
Todes schon überwunden sei und die neue Glorie
himmlischen Lebens beginne. Ein rotgelber Licht-
schein umrahmt auch schon das Haupt des Dulders,
dessen Körper nur in wenigen Teilen von einem seidig
glänzenden weißen Tuche verhüllt ist. Dagegen fällt
das ganze Licht auf den edlen Körper, dessen Durch-
führung zu den größten Triumphen der malerischen
Kunst Paolos gehört. Die plastische Wirkung wird
durch leichte transparente Schatten in zartgrauen
und lederbräunlichen Tönen wiedergegeben, die be-
lichteten Partien aber haben eine unvergleichliche
Leuchtkraft, einen weichen Glanz, der durch breit
aufgelegte Pinselstriche erzielt wird. Wir empfinden
x) B. Berenson: North Italian Painters of the Renaissance 1907, Seite 91.
“But taken as a whole, he was as much the greatest master of the pictorial
vision as Michelangelo was of the plastic, and it may be doubted whether, as
a mere painter, Paul Veronese has ever been surpassed.”

diesen Körper tatsächlich als etwas zwar Menschen-
gleiches, aber doch über die menschliche Gebrechlich-
keit Erhobenes.
Stellt sich das Bild so als ein Meisterwerk malerischer
Vollendung dar, so können wir beobachten, daß es
auch als zeichnerisch kompositionelle Lösung einen
Höhepunkt im Schaffen Paolos bedeutet. Es gibt eine
Reihe analoger Werke des Meisters, teilweise sind es
Gruppenbilder von mehreren ganzen Figuren, wie die
Beweinung im Museum von Verona, teilweise sind
es Darstellungen weniger Gestalten, die der einen
dominierenden des toten Christus ausdrücklich bei-
geordnet und untergeordnet sind. Von letzterer Art
sind die Pieta mit den zwei Engeln in Berlin, wie-
der Kniefiguren, und die ganzfigurige Gruppe der
Eremitage mit dem sitzenden Christus, der hinter
ihm stehenden Maria und dem seitlich beigefügten
Engel. Über die malerischen Eigentümlichkeiten des
letztgenannten Bildes kann ich mich vorläufig nicht
äußern, da ich dasselbe nicht im Original gesehen
habe. Daß es kompositionell aber als Vorstufe zu
dem Mailänder Bilde, nicht als eine spätere Lösung
angesehen werden müsse, macht ein Vergleich der
Abbildungen wahrscheinlich. Der Gestalt Christi ist
auf dem Bilde der Sammlung Sardi eine ungleich
dominierendere Stellung gegeben; der Engel, auf dem
Bilde der Eremitage fast als gleichbedeutender Faktor
neben die Gestalt Christi gestellt, wird auf dem Mai-
länder Bilde in das Halbdunkel geborgen, aus dem
er fast prophetisch auftaucht, durch den Gegensatz
der Beleuchtung die Erscheinung Christi noch be-
deutend steigernd. So nimmt auch der Mann auf der
linken Bildseite — er hat, beiläufig gesagt, in seinen
Zügen Ähnlichkeit mit Paolo Veronese selbst — nicht
Teil an der vollen Beleuchtung, die den Körper Christi
allein heraushebt.
Das Bildmotiv als solches, namentlich das Motiv der
Hauptfigur war bis zu einem gewissen Grade von
anderen Künstlern vorbereitet. Ein sicher zeitlich dem
Werke des Veronese vorangehendes Bild der Pieta
von Andrea Schiavone in der Dresdener Galerie weist
in der Haltung Christi schon manche Ähnlichkeit auf ')•
Veronese hat aber, sowohl in der formalen konzisen
Lösung, wie auch durch die meisterhafte Abstufung
der Beleuchtung und der malerischen Durchbildung
etwas ganz Neues daraus gemacht. Den Hinweis
darauf, daß Veroneses Bild einst sehr bekannt und
bewundert war, enthält eine Beweinung Christi mit
sechs ganzen Figuren von Annibale Carracci in der
Eremitage, deren Hauptfigur frei nach der Pieta des

1) L. Fröhlich Bum reiht das Dresdener Bild unter die Arbeiten aus Schiavones
mittleren Jahren, vgl. Jahrbuch der Kunstsammlungen des Ah. Kaiserhauses XXXI,
197, dazu auch Abbildung.

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