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Pantheon — 1.1928 = Jg 1.1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.57094#0258

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ZWEI CHINESISCHE HOLZSKULPTUREN

der. Dabei gibt sich die Figur ziemlich klar im Auf-
bau, ohne jedoch die Gesamtbewegung zu hem-
men: das ist ihr besonderes Verdienst.
Überall weiche, volle, gleitende Formen, die mit dem
milden, fraulich-gütigen Ausdruck des Gesichtes
gut Zusammengehen. Das verschwimmende Lächeln
der Augen muß auf das Konto einer oft erneuerten
Bemalung gesetzt werden, worunter die ursprüng-
liche Feinheit gelitten hat. Der rechte LJnterarm
und die Hand dürften ergänzt sein; gerade die Hand
ist merkwürdig unchinesisch, auch scheint mir der
ganze Rhythmus ein lässiges Herabhängen mit losen
Fingern zu fordern.
Das Stück geht mit ähnlichen Figuren in europä-
ischem und amerikanischem Besitz zusammen, die
alle dem ausgehenden 12. und dem beginnenden
13. Jahrhundert zugerechnet werden.
Das zweite Werk des gleichen Vorwurfs gibt sich in
jeder Hinsicht anders. Das Format ist ins Über-
lebensgroße gesteigert, was viel zu der imposanten
hoheitsvollen Wirkung beiträgt. Die Formen sind
gestrafft, der Körper ist wohl in die vorgeschriebene
Stellung der „königlichen Ruhe“ gebracht, aber der
Eindruck der Entspannung, der bei dem anderen
Werk so klar zur Anschauung gebracht ist, will sich
hier nicht einstellen. Die Göttin sitzt mit steifem
Rückgrat da, der aufgestützte linke Arm, der sonst
die ganze Last des Oberkörpers zu tragen hat, wird
von den Schultern mitgenommen und bleibt unbe-
schäftigt. Körper und Gewand präsentieren sich in
großen, ruhigen Flächen, die meisterhaft behandelt
sind; hier hat ein genialer Könner das Messer
geführt, der die Dinge groß zu sehen gewohnt
war. In der Faltengebung ist viel mehr auf die
Linienbewegung der seichten Täler als auf plastische
Durchbildung geachtet; das gilt übrigens vom gan-
zen Werk.
Merkwürdig, wie sich hier der Ausdruck viel stärker
als bei der vorher besprochenen Kuan-yin in dem
wundervoll erhaltenen Kopf sammelt. Das kommt
daher, weil der Kopf ziemlich groß im Verhältnis zu
dem schmächtigen Rumpf erscheint, vor allem aber,
weil ihn eine geniale Ökonomie der Darstellungs-
mittel durch eine sorgfältige Behandlung auf das
nachdrücklichste von der summarischen Mache des
Torso abhebt. Die Gesichtsform nähert sich stark dem
Oval, das Schmale wird noch unterstrichen durch die
hohe Krone, die einmal einen stehenden Buddha Ami-

tabha getragen hatte. Das Haupt ist leicht zurückge-
worfen und das gibt ihm, zusammen mit der „Hal-
tung“ des Oberkörpers, etwas Hochmütiges.
Es ist nicht ganz leicht, dieses Werk einzuordnen.
Zweifellos lebt in ihm noch viel vom alten dekora-
tiven Schema des 12. und 13. Jahrhunderts, aber
ebenso sicher sind hier neue Kräfte an der Arbeit,
die die alten Formen mit neuem Inhalt füllen. Die
vielfältige Verschiebung der Achsen, die 'Weichheit
der Kopfbildung, vor allem die tiefschattenden Lider
mit den eingesetzten Augen gehören zum alten Form-
bestand. Die Straffheit der Form, die flächige Behand-
lung der Draperie, die Zickzackfalten und die deut-
liche Markierung der Krone lassen an eine leichte Be-
einflussung durch tibetische Kunst denken; in die
gleiche Richtung deutet auch der Anhänger der
Halskette und die beiden Plaketten an den Beinen.
Der tibetische Buddhismus und damit die tibetische
und nepalische Kunst gewannen mit der Mongolen-
herrschaft von der Mitte des 13. bis zur Mitte des
14. Jahrhunderts steigenden Einfluß auf China. Die
Mongolen hatten schon in Zentralasien die Be-
ziehungen mit Tibet aufgenommen, nach der Er-
oberung N ordchinas beorderte KhublaiKhanPagspa,
den Abt des Sakyaklosters, nach Peking und ließ
sich von ihm taufen. Derselbe Herrscher errichtete
um 1263 ein Sekretariat der schönen Künste; als
Leiter wurde ein Lama aus Nepal namens A-Ni-Ko
berufen, der sich als Maler und Bildhauer auszeich-
nete. Dieser Künstler und sein chinesischer Schüler
Liu Yüan machten Peking und damit N ordchina „mit
buddhistischen Bildwerken eines bestimmten Typs
bekannt“ (Sir Charles Eliot: Hinduism and Bud-
dhism, III/356). Man müßte also eher von einem
nepalischen Einfluß als von einem tibetischen Ein-
fluß auf die chinesische Kunst unter Khublai Khan
sprechen.
In diese Zeit des Übergangs, also an das Ende des
13. oder an den Beginn des 14. Jahrhunderts möchte
ich das vorliegende Werk datieren. In ihm setzt sich
die alte chinesische Tradition mit dem Neuen aus-
einander und das sichert ihm, neben der eindrucks-
vollen Größe und der hohen Qualität, ein besonderes
Interesse. Dazu kommt die gute Erhaltung: nur der
rechte Fuß ist ergänzt, einige Brüche am rechten
Arm und am Sockel sind geschickt mit Lehm aus-
gefüllt. Möglicherweise war der Unterbau ursprüng-
lich umfangreicher.

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