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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 1
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Lederer, Victor: Ballett-Reform
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Lichtenberger, Franz: Von den Knospen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0043

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zureichenden Mitteln war, hier ift es die Tat. Die
Tat im Großen.

Soll ich noch von den neuen Solotänzen reden?
Von Walzern, die an die Wiesentals erinnern? Von
Polkas, die nur so überquellen? . . . Ein Beispiel: Ein
Doppel - Serpentinentanz. Von den Damen Berger
(Schweftern Aschenbrödels) getanzt. Die linke Dame
mit dem Faltenrock-Halbkreis in der linken Hand, die
andere ebenso nach rechts hin. Welche Grazie! Hinüber
— herüber.... Ium Schluß ein langsameS Drehen
in gleichem Sinne, so daß die Flügel der Kleider sich
wie bei einer Schiffschraube ergänzen.... Jch glaube,
dieser überwältigend schöne Eindruck deö langen Ballett-
rocks wird dem alten Tüllkreisel auch die letzten An-
hänger entziehen. Selbst die mondscheinköpfigen Herren
Rouös, diese traditionellen Ballettonkel, finden, wie ich
höre, daß dem intimen Einblick hochgehender Seiten-
schlitze mehr Reizung abzugewinnen sei, als dem bis-
herigen allzu öffentlichen „Freihandelsyftem" trikotüber-
spannter Wattons....

Es dürfte also wohl ein einftimmiges Plebiszit sein,
das den langen Ballettrock zur Herrschaft ruft. Das
kurze Tüllröckchen hat ausgesvielt. Ein Plätzchen nur
bleibe ihm reserviert: ein Auslageschrein im Theater-
museum. Der sei seine Graburne. Man wird ihm
keine Träne nachweinen. Gewiß nicht. Loquiosoat in
xaoo. vr. Victor Lederer.

on den Knospen?

Neuderben, Mitte Januar I9O6

Neulich kommt einer von meinen ganz kleinen Jungö
an und sagt: „Herr Lehrer, wat sind denn det man
all vor kleene Iijarrn anne Böme?" — „Was, Junge,
Zigarren?" sage ich, „zeig doch mal!" - Also alle raus
auf den Schulhof. Und Guftav bringt uns zu der
kleinen Kaftanie, die so klein und niedrig ist, beinah
wie ein Strauch. „Da", sagt er, „da sind se doch,
lauter kleene Zijarrn. Kleeben duhn se aber ooch, ick
habe all annefaßt." — Na, nu fangen die andern ja
einen Mordsspektakel an: „Guftav, weetzte dat noch nich
moal, dat dat Knospen sind? — Dat sind doch Knospen,
wo de Bläder int Fröhjoahr rutkoamen." — Na das
hat Guftav wirklich nicht gewußt. Aber es war schön,
daß er gefragt hat; denn nun wußte ers doch. Und
wir andern ftanden alle um den Kastanienbaum rum,
da haben wir uns gleich die Knospen noch 'n bißchen
genauer angesehn.

Jhr wißt ja alle, wo die Blätter im Frühjahr her-
kommen. Aber eine wunderliche Geschichte ift es am
Ende doch: so wie eö im Frühjahr ein bißchen wärmer
wird, auf einmal sind da die grünen Blätter da. Man
weiß garnicht, wie die auf einmal so schnell da sein
können.

Da muß man sich schon jetzt mal, im Winter, die
Knospen ganz genau ansehn. Und am besten geht man
dazu an den Kaftanienbaum, denn der hat so recht

* Aus: „Allerlei vom Leben der Pflanzm". Von Franz
Lichtenbcrger, Vcrlag Schaffstein L Co., Köln a. Rh. Siehc die
Besprechung am Schluß des Heftes. Die Red.

Von den Knospen.

schöne große Knospen. Da kann man alles ganz
deutlich sehn.

Wir haben uns also auch die Knospen vom Ka-
ftanienbaum angesehn. Und dazu habe ich eine vom
Baum abgebrochen — ja wirklich: eine Knospe abge-
brochen. Aber ich muß auch gleich dabei sagen: ich tue
das garnicht gern, und es tut mir jedesmal leid. Wenn
man im Sommer ein Blatt oder eine Blume abpflückt,
na daö mag noch gehn. Aber mit so einer Knospe
pflückt man nicht bloß das eine kleine braune Ding ab.
Da muß man gleich an alles das denken, was mal aus
der Knospe noch raus wachsen will: an die vielen Blätter,
und an die vielen Blüten, aus denen mal Kaftanien
werden sollen. Ia, mit der einen Knospe pflückt man
eigentlich einen ganzen großen Zweig ab. Und daö tut
man doch nicht gerne. Wenn einer sich zum Spielen
Knospen abpflückt, da würde ich schelten. (Als kleiner
Junge habe ich mir mal welche zum Spielen ab-
gepflückt. Und da habe ich tüchtig Schelte gekriegt.
Und daö vergesse ich mein Lebtag nicht.) Wenn sich
aber einer zum Lernen welche abpflückt, da kann ich
nicht schelten. Denn wenn man sich eine Knospe ganz
genau ansehn will, da muß man sie eben abbrechen.
Und über eine Knospe soll man doch ganz genau Be-
scheid wiffen. Auch wenn man sie deshalb abbrechen muß.

Aber wir stehn ja noch immer vor dem Kastanien-
baum! Und wenn wir noch lange reden, da werden
wir uns die Beine müde ftehn und werden gar keine
Luft mehr haben, unö noch lange Knospen anzusehn.
Also nun mal her mit der Kaftanienknospe! Die hat
da am Ende von einem kleinen Iweig gesessen und
sieht aus, als ob sie auch aus hartem Holz ist, so wie
der Iweig. Außen sieht man braune, kleine Schuppen,
die liegen wie bei den Fischen eine über der andern
(d. h. der Rand von der einen liegt über den Rand
von der andern weg), und man nennt sie auch wirklich
Knospenschuppen. Ganz dicht liegen sie übereinander.
Und daß auch wirklich nirgendö ein Loch ift und daß
ja keine Luft und kein Wasser in die Knospe rein kann,
da sind die Schuppen — „mit einer dünnen Harzschicht
überzogen", so sagt man nämlich in der Botanik. Die
Knospe sieht aus, als ob sie lackiert ift. Sie glänzt
ordentlich in der Sonne, und wenn man sie anfaßt,
bleibt man beinah kleben. Was da so glänzt und klebt,
das ift eben ein seiner Harzüberzug, der die Knospen-
schuppen so sest zusammenklebt, daß sie wie ein lust-
dichtes und wasserdichtes Kleid sind.

Aber weshalb hat denn die Knospe so ein Kleid?

Da wollen wir ein spitzes Meffer nehmen und wollen
vorsichtig eine Schuppc nach der andern los —pellen, na
ja, es ist beinah wie Kartoffelpellen. Aber eine Kar-
toffel pellt sich doch leichter ab als unsere Knospe. Da
merkt man erft, wie fest die Schuppen aneinander und
aufeinander sitzen. Wenn man die oberften braunen
Schuppcn losgemacht hat, da sitzen drunter schon wieder
andre. Die sind aber nicht mehr so dick und so braun,
wie die oberften, die sehn grünlich aus und sind ganz
dünn; klebrig sind sie auch nicht; aber so seft und zähe
wic Lcdcr. Sie schn ordentlich hübsch aus, so gelblich-
grün und rötlich, und weiße Härchen sitzcn draus. Und
alle Schuppen sind oben zu einer schönen, festen Spitze

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