Gewand und Plastik.'
einer sesten, bestimmten Form unS klare und bestimmte
Anweisungen giby den Körper zu saffen und zu halten,
seine Form abzutasten und an der sesten Oberfläche des
Körpers mit unseren Greifbewegungen herumzugehen.
Eindrücke, die solche Ersahrungen voraussetzen, wie das
Widerstandsgefühl beim Abtasten eines sesten, körper-
haften Materials, eine bestimmte Fingerstellung zum
Fassen und Halten des Körperö, eine bestimmte model-
lierende Bewegung an dem Körper entlang, sind
plastische Eindrücke. Mit Hilfe einer bestimmten Ver-
teilung der optischen Elemente von hell und dunkel,
Konturen und Flächen erregen sie in uns die Erwartung,
daß, wollten wir die modellierende Bewegung voll-
ziehen, der Körper nicht nachgeben und seine Form sich
nicht unter unsern Händen verändern würde. Der
plastische Anblick eincr Form rechnet also auf Haltungen
und Bewcgungen der menschlichen Glieder und aus
Bestimmtheit des Willcns, kurz — auf organisierte
körperliche Funktion.
Körperliche Funktion kann aber auch so dargestellt
werden, daß ein Mensch mit Leib und Gliedern gezeigt
wird, die wir aus den Erfahrungen an unserem eigenen
Körper als innerlich belebt und willentlich zu bewegen
kennen. Jhr Bild erinnert uns ebensallS an willent-
liche körperliche Funktionen und regt uns an, sie nach-
zumachen oder in der Vorstellung nachzuerleben. Im
ersten Falle, der plastischen Form, werden wir zu Be-
wegungen um die äußere Form herum angeregt, wir
organisieren das plastische Bild von außen, im zweiten
Falle sühlen wir das Bild von innerer Funktion erfüllt,
wir versetzen uns in den dargestelltcn Körper hinein.
Organisation vo» außen und Organisation von innen.
Einen plastischen Eindruck empsangcn wir also über-
all da, wo wir zu willentlichen körperlichen Bewegungen
angeregt werden. Die Betonung klarer äußerer Form
und bestimmter körperlicher Haltung sind sich verwandt,
gehören beide derselben Region der Kunst, der Körper-
darstellung an. Ein plastisches, stilvolles Kunstwerk
cntsteht da, wo wir durch möglichste Jsolierung und
Konzentrierung der die körperliche Funktion anregcnden
Bilder und durch die Einheit großer, auseinander be-
zogcner plaftischer Motive eine Wirkung empfangen,
deren Quellen in der Hauptsache ganz auf dem Genuß
an einer einheitlichen, geordneten Körperbewegung —
innerer oder äußerer Organisation — beruhen.
Die Einheitlichkeit einer Gesamtbewegung kann ge-
wonnen werden, indem entweder ein einheitlicher Körper
mit ununterbrochcn fortlausender Oberfläche hergestellt
wird, eine kubische Masse, ein stereometrisches Kunst-
werk, oder indem die Gliederbcwegungen des Körpers,
in wenigen Hauptbewegungen enthalten, sich gegen-
seitig bedingen, sich kontrastierend und harmonierend
anseinander beziehen. Beide plaftischen Motive lassen
sich gleichzeitig nicht restlos verwirklichen. Eine Menschen-
darstcllung, die aus dcm Menschen einen einheitlichen
Körper, eine Säule macht, bindet die Glieder, läßt den
Körper zur regungslosen Mumie erstarren. Die Dar-
stellung frei beweglicher Menschlichkeit erfordert Klar-
legung der Gelenke, Angabe der Muskulatur als der
Organe der Funktivn, erfordert Gliederung, Auflösung
der Gesamtmasse und Gesamtoberfläche. Je nachdem
die Formung von außen, der einheitliche stereometrische
Körper Hauptbemühen einer Kunst ist, oder eine mög-
licbst weitgehende Harmonie zwischcn innerer und
äußerer Form, oder abcr eine Übertreibung der inneren
Funktion, der Muskulatur, und Loslösung der srei be-
weglichen Glieder aus der Gesamtform, entstehen drei
Stile, archaische, klassische und barocke Plastik, die zu-
glcich Stadien der Entwicklung der Kunst darstellen.
Das Gefühl sür die Schönheit einer einheitlichen Ge-
samtform geht immcr mehr verloren, die von inneir
herauS vollzogcne Bewegung tritt an ihre Stelle und
muß immer heftiger werden, soll sie noch anregend
wirkcn, und soll die Menschheit übcrhaupt plastisch
reagieren.
Das Gewand scheint aber geradezu ein Gegensatz
zu allen plastischen Gestaltungen; gegen feste Form
wegen seiner Stofflichkeit und Weichheit, seiner Hin-
sälligkeit, gegen plastische Haltung, weil es die Glieder
und Muökeln verhüllt.
Dennoch hat es Trachten gegeben, die durchaus auf
Herstellung großer kubischer Formen abzielten, und einige
dieser Trachtmotive sind biö heute noch lebendig und
zeigcn, wenn sie von der schnell wechselnden Mode
zum maßgebenden Faktor erhoben werden, das flüchtige
Auftauchen und Versinken plaftischer Bedürfnisse. Hierhin
gehört das Umwickeln schlaff gewordener Fleischsormen,
alles Schnüren, um eine seste Taille zu bekommen;
und schließlich das Verpanzern des Leibes und der
Brust, damit eine straffe Form gewonnen wird, die
die Schneiderkunft und die Bildhauerkunst mit dem-
selben, daS Plastische hervorhebenden Namen bezeichnen:
die Büste. Dieselben Motive haben den Stil des Ge-
wandes bestimmt, das wir in der älteren archaischen
Kunst und Kultur finden, der ägyptischen. Die Leich-
name wurden seft umwickelt, sodaß die Mumien schon
die gliederlose, einsörmige Geftalt des ägyptischen Sarges
annahmen. Als ägyptische Frauentracht finden wir ein
Gewand, das den Körper sest umspannt, die Glieder
bindet und etwas Säulenhaftes aus den Figuren macht,
die Männer tragen einen Rock, der die Beine wie ein
sester Kasten umgibt, mit platten, kantig und recht-
winklig gegeneinander stoßenden Wänden. Diese plastisch-
kubische Form ist osfenbar erzielt, indem der weiche
Stoff zwischen Stäbe eingespannt ist. Die moderne
Korsettechnik ift darin vorweggenommen. Der Formen-
wille abcr, der sich in diesen Gewändern ausdrückt, ist
derselbe, der sich in den ungegliederten Bauten reiner
stereometrischer Form zeigt, den Pyramiden und Obe-
lisken. Ja, vom Standpunkt der Organisation von
außen hat innerhalb der Menschendarstellung die mit
sest gespanntem Gewand umwundene Figur vor der
nackten den Vorzug.
Nicht so in der Darftellung stilvoller Körperhaltung
und sreier Gliederbewegung. Erst am nackten Körper
wird die körperliche Funktion völlig sichtbar, erkennt
man an dcn Gelenken die Verschiebung der Maffen
und an der Straffheit oder Schlaffheit der Muökeln
den Grad aufgewendeter körperlicher Energie. Dennoch
ist das plastische Gewand in diesem Sinne weder der
wie ein Trikot fest an den Gliedern anschließende Anzug
der Frührenaissance, noch das durchsichtige Gewand der
einer sesten, bestimmten Form unS klare und bestimmte
Anweisungen giby den Körper zu saffen und zu halten,
seine Form abzutasten und an der sesten Oberfläche des
Körpers mit unseren Greifbewegungen herumzugehen.
Eindrücke, die solche Ersahrungen voraussetzen, wie das
Widerstandsgefühl beim Abtasten eines sesten, körper-
haften Materials, eine bestimmte Fingerstellung zum
Fassen und Halten des Körperö, eine bestimmte model-
lierende Bewegung an dem Körper entlang, sind
plastische Eindrücke. Mit Hilfe einer bestimmten Ver-
teilung der optischen Elemente von hell und dunkel,
Konturen und Flächen erregen sie in uns die Erwartung,
daß, wollten wir die modellierende Bewegung voll-
ziehen, der Körper nicht nachgeben und seine Form sich
nicht unter unsern Händen verändern würde. Der
plastische Anblick eincr Form rechnet also auf Haltungen
und Bewcgungen der menschlichen Glieder und aus
Bestimmtheit des Willcns, kurz — auf organisierte
körperliche Funktion.
Körperliche Funktion kann aber auch so dargestellt
werden, daß ein Mensch mit Leib und Gliedern gezeigt
wird, die wir aus den Erfahrungen an unserem eigenen
Körper als innerlich belebt und willentlich zu bewegen
kennen. Jhr Bild erinnert uns ebensallS an willent-
liche körperliche Funktionen und regt uns an, sie nach-
zumachen oder in der Vorstellung nachzuerleben. Im
ersten Falle, der plastischen Form, werden wir zu Be-
wegungen um die äußere Form herum angeregt, wir
organisieren das plastische Bild von außen, im zweiten
Falle sühlen wir das Bild von innerer Funktion erfüllt,
wir versetzen uns in den dargestelltcn Körper hinein.
Organisation vo» außen und Organisation von innen.
Einen plastischen Eindruck empsangcn wir also über-
all da, wo wir zu willentlichen körperlichen Bewegungen
angeregt werden. Die Betonung klarer äußerer Form
und bestimmter körperlicher Haltung sind sich verwandt,
gehören beide derselben Region der Kunst, der Körper-
darstellung an. Ein plastisches, stilvolles Kunstwerk
cntsteht da, wo wir durch möglichste Jsolierung und
Konzentrierung der die körperliche Funktion anregcnden
Bilder und durch die Einheit großer, auseinander be-
zogcner plaftischer Motive eine Wirkung empfangen,
deren Quellen in der Hauptsache ganz auf dem Genuß
an einer einheitlichen, geordneten Körperbewegung —
innerer oder äußerer Organisation — beruhen.
Die Einheitlichkeit einer Gesamtbewegung kann ge-
wonnen werden, indem entweder ein einheitlicher Körper
mit ununterbrochcn fortlausender Oberfläche hergestellt
wird, eine kubische Masse, ein stereometrisches Kunst-
werk, oder indem die Gliederbcwegungen des Körpers,
in wenigen Hauptbewegungen enthalten, sich gegen-
seitig bedingen, sich kontrastierend und harmonierend
anseinander beziehen. Beide plaftischen Motive lassen
sich gleichzeitig nicht restlos verwirklichen. Eine Menschen-
darstcllung, die aus dcm Menschen einen einheitlichen
Körper, eine Säule macht, bindet die Glieder, läßt den
Körper zur regungslosen Mumie erstarren. Die Dar-
stellung frei beweglicher Menschlichkeit erfordert Klar-
legung der Gelenke, Angabe der Muskulatur als der
Organe der Funktivn, erfordert Gliederung, Auflösung
der Gesamtmasse und Gesamtoberfläche. Je nachdem
die Formung von außen, der einheitliche stereometrische
Körper Hauptbemühen einer Kunst ist, oder eine mög-
licbst weitgehende Harmonie zwischcn innerer und
äußerer Form, oder abcr eine Übertreibung der inneren
Funktion, der Muskulatur, und Loslösung der srei be-
weglichen Glieder aus der Gesamtform, entstehen drei
Stile, archaische, klassische und barocke Plastik, die zu-
glcich Stadien der Entwicklung der Kunst darstellen.
Das Gefühl sür die Schönheit einer einheitlichen Ge-
samtform geht immcr mehr verloren, die von inneir
herauS vollzogcne Bewegung tritt an ihre Stelle und
muß immer heftiger werden, soll sie noch anregend
wirkcn, und soll die Menschheit übcrhaupt plastisch
reagieren.
Das Gewand scheint aber geradezu ein Gegensatz
zu allen plastischen Gestaltungen; gegen feste Form
wegen seiner Stofflichkeit und Weichheit, seiner Hin-
sälligkeit, gegen plastische Haltung, weil es die Glieder
und Muökeln verhüllt.
Dennoch hat es Trachten gegeben, die durchaus auf
Herstellung großer kubischer Formen abzielten, und einige
dieser Trachtmotive sind biö heute noch lebendig und
zeigcn, wenn sie von der schnell wechselnden Mode
zum maßgebenden Faktor erhoben werden, das flüchtige
Auftauchen und Versinken plaftischer Bedürfnisse. Hierhin
gehört das Umwickeln schlaff gewordener Fleischsormen,
alles Schnüren, um eine seste Taille zu bekommen;
und schließlich das Verpanzern des Leibes und der
Brust, damit eine straffe Form gewonnen wird, die
die Schneiderkunft und die Bildhauerkunst mit dem-
selben, daS Plastische hervorhebenden Namen bezeichnen:
die Büste. Dieselben Motive haben den Stil des Ge-
wandes bestimmt, das wir in der älteren archaischen
Kunst und Kultur finden, der ägyptischen. Die Leich-
name wurden seft umwickelt, sodaß die Mumien schon
die gliederlose, einsörmige Geftalt des ägyptischen Sarges
annahmen. Als ägyptische Frauentracht finden wir ein
Gewand, das den Körper sest umspannt, die Glieder
bindet und etwas Säulenhaftes aus den Figuren macht,
die Männer tragen einen Rock, der die Beine wie ein
sester Kasten umgibt, mit platten, kantig und recht-
winklig gegeneinander stoßenden Wänden. Diese plastisch-
kubische Form ist osfenbar erzielt, indem der weiche
Stoff zwischen Stäbe eingespannt ist. Die moderne
Korsettechnik ift darin vorweggenommen. Der Formen-
wille abcr, der sich in diesen Gewändern ausdrückt, ist
derselbe, der sich in den ungegliederten Bauten reiner
stereometrischer Form zeigt, den Pyramiden und Obe-
lisken. Ja, vom Standpunkt der Organisation von
außen hat innerhalb der Menschendarstellung die mit
sest gespanntem Gewand umwundene Figur vor der
nackten den Vorzug.
Nicht so in der Darftellung stilvoller Körperhaltung
und sreier Gliederbewegung. Erst am nackten Körper
wird die körperliche Funktion völlig sichtbar, erkennt
man an dcn Gelenken die Verschiebung der Maffen
und an der Straffheit oder Schlaffheit der Muökeln
den Grad aufgewendeter körperlicher Energie. Dennoch
ist das plastische Gewand in diesem Sinne weder der
wie ein Trikot fest an den Gliedern anschließende Anzug
der Frührenaissance, noch das durchsichtige Gewand der