Gewand und Plastik.
Klüfte zwischm sich lassend. Iugleich qewmnen sie eine
über das Hauptbewegungsmotiv hinausgehende eigene
Beweglichkeit, indcm sie sich elaftisch zusammenrollen
wie angesengtes Papier. Odcr cö slattert in heftiger
Bewegung das Gewand in die Lüste wie cin vom
Körper abgestreckter Arm. Dicse barock-gotischcn Motive
deS späteren Mittelalters finden sich doch meist ver-
bunden mit einer ruhigen, ja sogar schlaffcn Haltung
der Figur im Ganzen. Wobl finden wir auch krampfigcre
Haltungen, stärkcres Auöschwingcn der Hüste und ein
energischeres Sichinszeuglegen, das dcn borock-gotischcn
Madonncn leicht eincn Anstrich von Frechheit in ihrem
Austrcten gibt. Aber diesen barockcn Gewandschwall zu
motivieren, genügt diese Verschärfung der Bewegung
noch nicht- Es ift im ganzen cin klassisch-barocker
llbergangsftil. Die Madonna und der Moses von
Elaus Sluter in Dijon geben Erschlaffung dcr Haltung
und sorschereS Austreten in Vcrbindung mit diesem
barock-gotiscben Faltenüberschwang.
Erst im Barock dcö 17. Iahrhundertö finden wir,
wie im antiken Barock, dic schwingende und flatternde
Falte als selbstagierendes Glied in Verbindung mit
heftiger leidcnschastlichcr Bcwcgung und athletischer Kraft
der Figurcn. Die von der Hauptbcwegung den Falten
mitgeteilte Schwungkraft würdcn wir sühlen wie eincn
>ance. So wird man aushören müffen, immer im
Gegensatz zur Antike von dem Spiritualismus, von
ciner der Erdc und der körperlichen Schönheit ab-
gewandten asketischcn Gesinnung des Mittelalters zu
reden und zur Charakteristik ciner großcn Kunstcntwick-
lung zu benutzen, was man von den späten, die Jnner-
lichkcit der Renaissance vorbereitenden Sachen abgelesen
hat. Jn der Hauptlinie ist die mittelalterliche Skulptur
ganz als einc Entwicklung plastischer Kunst auszusaffen,
als ein Ansticg zur Höhe und ein Abstieg. Faßt man
die romanische Kunst als einen Stil, der die Prinzipien
archaischer Plastik in Skulptur und Architektur besolgt
hat, die gotische als die Auöbildung der von inncn
herauö organisicrtcn Gcwandplastik, dann müffen sich
auch die Begriffe von Früh-, Hoch- und Spätgotik ver-
schicbcn. Statuen wie die Naumburger Sliftcr, die
bislang oft als spätromanische Skulptur in einer srüh-
gotischen Architektur, dem Westchor deö Naumburger
Domcs bezeichnet wurden, bezeichnen dcn reisen, klas-
sischen gotischen Stil in Deutschland, wie die Reimser
Statuen in Frankrcich. Und die gotische Skulptur über-
haupt ist identisch mit nordischer Plastik.
Richard Hamann.
Schlag mit einem naffen Handtuch. Da aber diese
„zentrisugale", diese Gegenbewegung immer nur im
Gesolge ciner durch die körperlichen Glieder unter-
nommenen Hauptbewegung erscheinen kann, haben wir
im Barock das plastische Gewand nur in cinzelnen
Motivcn, aber kaum noch als durchgeführte Gewand-
figur. Die barocke Plastik auch im Norden greist wieder
zur Nacktheit oder dcm mit enganliegcndem Gewand
bckleideten Körper, um die Bewegung sichtbar und aus-
drucksvoll zu machen.
Dicse Auffassung der plastischen Behandlung eines
GewandeS ist wohl geeignct, die herkömmliche Memung
von mittelalterlicher Kunst zu modifiziercn. Wie nur
eine rein sunktionell gegliederte Architcktur neben dcm
Jdeal des gricchischcn Tempels, dcm dorischen genannt
werdcn kann, die Gotik, so nur cine klassische Kunst
dcr Plastik ncben der gricchischen des 5. Jahrhunderts,
die gotische. Dic Wiedererweckung der Antike im 15.
Jahrhundert dcr Renaiffance hat das Nackte nur aus
Motivcn des LebenSgenuffeö, im Gefühle freier heid-
nischer Sinnlichkeit und ungebundencr naturmensch-
licher Zwanglosigkeit genoffcn. Plastische Motive werden
erst im Barock deö Michelangelo geltend. Jn seinem
innersten Wesen ist die Kunst des Mittelalters dem der
Blüte hellenischer Skulptur verwandter als die Renais-
Königsstatue v. einem Skebe-
pfeiter d. Kathedrale i. Reims.
Si-nagoge am Südtransept
des Straßburger Münster.
Klüfte zwischm sich lassend. Iugleich qewmnen sie eine
über das Hauptbewegungsmotiv hinausgehende eigene
Beweglichkeit, indcm sie sich elaftisch zusammenrollen
wie angesengtes Papier. Odcr cö slattert in heftiger
Bewegung das Gewand in die Lüste wie cin vom
Körper abgestreckter Arm. Dicse barock-gotischcn Motive
deS späteren Mittelalters finden sich doch meist ver-
bunden mit einer ruhigen, ja sogar schlaffcn Haltung
der Figur im Ganzen. Wobl finden wir auch krampfigcre
Haltungen, stärkcres Auöschwingcn der Hüste und ein
energischeres Sichinszeuglegen, das dcn borock-gotischcn
Madonncn leicht eincn Anstrich von Frechheit in ihrem
Austrcten gibt. Aber diesen barockcn Gewandschwall zu
motivieren, genügt diese Verschärfung der Bewegung
noch nicht- Es ift im ganzen cin klassisch-barocker
llbergangsftil. Die Madonna und der Moses von
Elaus Sluter in Dijon geben Erschlaffung dcr Haltung
und sorschereS Austreten in Vcrbindung mit diesem
barock-gotiscben Faltenüberschwang.
Erst im Barock dcö 17. Iahrhundertö finden wir,
wie im antiken Barock, dic schwingende und flatternde
Falte als selbstagierendes Glied in Verbindung mit
heftiger leidcnschastlichcr Bcwcgung und athletischer Kraft
der Figurcn. Die von der Hauptbcwegung den Falten
mitgeteilte Schwungkraft würdcn wir sühlen wie eincn
>ance. So wird man aushören müffen, immer im
Gegensatz zur Antike von dem Spiritualismus, von
ciner der Erdc und der körperlichen Schönheit ab-
gewandten asketischcn Gesinnung des Mittelalters zu
reden und zur Charakteristik ciner großcn Kunstcntwick-
lung zu benutzen, was man von den späten, die Jnner-
lichkcit der Renaissance vorbereitenden Sachen abgelesen
hat. Jn der Hauptlinie ist die mittelalterliche Skulptur
ganz als einc Entwicklung plastischer Kunst auszusaffen,
als ein Ansticg zur Höhe und ein Abstieg. Faßt man
die romanische Kunst als einen Stil, der die Prinzipien
archaischer Plastik in Skulptur und Architektur besolgt
hat, die gotische als die Auöbildung der von inncn
herauö organisicrtcn Gcwandplastik, dann müffen sich
auch die Begriffe von Früh-, Hoch- und Spätgotik ver-
schicbcn. Statuen wie die Naumburger Sliftcr, die
bislang oft als spätromanische Skulptur in einer srüh-
gotischen Architektur, dem Westchor deö Naumburger
Domcs bezeichnet wurden, bezeichnen dcn reisen, klas-
sischen gotischen Stil in Deutschland, wie die Reimser
Statuen in Frankrcich. Und die gotische Skulptur über-
haupt ist identisch mit nordischer Plastik.
Richard Hamann.
Schlag mit einem naffen Handtuch. Da aber diese
„zentrisugale", diese Gegenbewegung immer nur im
Gesolge ciner durch die körperlichen Glieder unter-
nommenen Hauptbewegung erscheinen kann, haben wir
im Barock das plastische Gewand nur in cinzelnen
Motivcn, aber kaum noch als durchgeführte Gewand-
figur. Die barocke Plastik auch im Norden greist wieder
zur Nacktheit oder dcm mit enganliegcndem Gewand
bckleideten Körper, um die Bewegung sichtbar und aus-
drucksvoll zu machen.
Dicse Auffassung der plastischen Behandlung eines
GewandeS ist wohl geeignct, die herkömmliche Memung
von mittelalterlicher Kunst zu modifiziercn. Wie nur
eine rein sunktionell gegliederte Architcktur neben dcm
Jdeal des gricchischcn Tempels, dcm dorischen genannt
werdcn kann, die Gotik, so nur cine klassische Kunst
dcr Plastik ncben der gricchischen des 5. Jahrhunderts,
die gotische. Dic Wiedererweckung der Antike im 15.
Jahrhundert dcr Renaiffance hat das Nackte nur aus
Motivcn des LebenSgenuffeö, im Gefühle freier heid-
nischer Sinnlichkeit und ungebundencr naturmensch-
licher Zwanglosigkeit genoffcn. Plastische Motive werden
erst im Barock deö Michelangelo geltend. Jn seinem
innersten Wesen ist die Kunst des Mittelalters dem der
Blüte hellenischer Skulptur verwandter als die Renais-
Königsstatue v. einem Skebe-
pfeiter d. Kathedrale i. Reims.
Si-nagoge am Südtransept
des Straßburger Münster.