Gedanken über Volkskunst.
cindrucksvoll, wie die sachlichcn Fvrmcn, die die Material-
sprache untrüglich reden, die oben erwähnt wurde. Mit
der tumben Biederkeit allein ist es nicht getan. Jn
der Volkskunst sind Fähigkeiten, ein handwerkliches, tech-
nischeS Können und Geschmack, wie in der hohen Kunst.
Sie können verrohen, getilgt werden oder sich klären.
Von hier aus geht dann eine natürliche Verbindung zur
höheren Kunst, zur Kulturkunst, die auch nichts weiter
ist, als Volkskunst im höheren Sinne; in bezug auf Stil-
übernahme, Beeinflussung im wesentlichen der alten
Volkskunst gleich; nur ift hier alles verzweigter, um-
faffender, verwirrter oder geklärter.
Jn der Tat hat ja die höhere Kunst die Volkskunst
in ihren besten Erscheinungen, in ihrem Wesentlichen
ausgesaugt. Waö über Form und Farbe gesagt ist,
das hat im guten Sinn (auch im schlechten) besruchtend
aus die Kunft gewirkt und gelehrt, das Schwächliche
allzu unentschiedener Nuanccn zu meiden, das Sachliche,
Charaktervolle zu betonen. Jn vorbildlicher Weise ift
die Volkskunst nutzbar gemacht im Unterricht an den
Volksschulen Münchens; der kmdlichen Psyche entspricht
die Seele der Volkskunft in ihren einzelnen Regungen.
In schlechtcr Weise — damit ist die Jndustric ge-
meint, die nur die Note der Biederkeit und Unbeholsen-
heit übcrnahni und daö Land überschwemmte mit jcnen
billigen Erzeugnissen, die die Leute jetzt tragen. So-
daß man nur noch in den älteren Generationen das
Echte findet und die „VolkSkunst" mancher Bezirke schon
ganz aus Jndustrievierteln stammt und auffallend den
Basarwaren gleicht, womit der Städter sich behängt,
wenn er zum Alpenball geht.
III.
Wenn man sehen will, wie es in der Praxis bestellt
ist, so muß man sich von zwei Extremen sreihalten;
von dem naiv-komischen Standpunkt derer, die das
Kindische in dieser Kunstübung alö ein harmlos-heiteres
Spiel ansehen; diesen sehlt der Blick für das Wesent-
liche, das Ernft-Künstlerische; sie wiffen nicht, daß sie
hier Äußerungen von einer Ursprünglichkeit gcgenüber-
stehen, die immer seltener wird, die Aufklärung gebcn
kann über die Entstehung des Künstlerischcn überhaupt,
die in gleicher Weise vielleicht nur noch im Kind sich
regen, deffen primitiven Äußerungen wir ja jetzt auch
mit Jntcresse zusehen. Die anderen bilden die Partei
der stetig Entzücktcn; die meinen, so müsse Kunst übcr-
haupt aussehen; das sei das Echte, und dahin müßten
wir zurückkchrcn. Diese überschcn, daß jedeö Ding seine
Zeit hat, und daß auch das Gute einmal absterben
muß, weil die Bedingungen fehlen. Und auch der
Pessimist wie der Optimist haben hier nicht die Ent-
scheidung. Was nicht mehr in sich die Kraft zur Eigen-
existenz hat, das mag sterben; überflüssig wäre eö,
künstlich das Absterbende am Lebcn crhalten zu wollen,
womit doch nichtö Ganzes gewonnen wird, und die
organische Entwicklung nur gehemmt wird. Damit ist
schließlich noch nichts gesagt gegen die Versuche, die
Volkskunst neu zu bcleben, wie es so schön heißt.
Speziell sür dic Damcn hat es einen rührenden Reiz,
das anschcinend Hilslosc zu uutcrstützen. Das steht
aus einem anderen Blatt und berührt die Sache, das
Problem nicht. Um zur Erkenntnis zu kommen, muß
man diese HauSftciß- und Heimarbeitbestrebungen ftreng
ausscheiden, dercn Hauptnole im Sozialcn, Wirtschaft-
lichen liegt, nicht im Künstlerischen.
Die praktische Erkenntnis wird einige wesentliche
Sätze gewinnen, die hier aufnotiert seien.
Jm Leben der Völker ist eö wie im Lcben des
einzelnen. Das hcißt: ebenso wie es ein Unsinn ist,
vom Kinde (wie es jetzt üblich ist) allgemein, in Bauscb
und Bogen anzunehmen, daß es künftlerischen Trieb
besitze, so entspricht es auch nicht den Tatsachen, allge-
mein von „Volkskunst", als sei sie bei allen Völkern
so schlechthin vorhanden, zu sprechen. Es gibt künst-
lerische und unkünstlerische Völker. Der Jnstinkt ent-
scheidet; das Ursprüngliche muß vorhandeu sein. Dic
unkünstlerischen Völker mögen auf anderen Gebieten
Bedeutendes leiftcn. Aber so von vornherein jedcm
Volk „Volkskunst" suggerieren zu wollen, ist ein Unding.
Nutzanwendung: Wo ihr diese Anlage spürt, pflegt sie;
sucht daö Schädliche sernzuhalten; aber tragt nicht
Fremdes in Kreise, denen die Organe dazu fehlen; ihr
bringt höchstens Talmi zustande, Fremdenartikel, Basar-
ware. (Wiederum festzuhalten: die Heimarbeit, die dem
Volk in beschäftigungsloser Zeit Gewinn bringt, ist ein
anderes Kapitel.) Was aber sterben will, das laßt in
Ruhe sterben. Es gibt auch in der Kunst noch anderc
Ausgaben; Sentimentalität ist in Dingen der Kunst
nicht angebracht.
Denn es ist das zu beachten: die Kultur war früher
eine andere. Länder, Völker, Bezirke waren früher
abgeschlossener. Selbst wenn fremde Motive sichtbar
übernommen wurden, und die Volkökunst sich daran
entwickelte, so war doch eben Voraussetzung dieser Ent-
wicklung die Abgeschloffenheit, und in ihr reiste aus
dem Übernommenen in Umbildung daö Neue, Eigene
hervor. Heute aber? Wo alle Grenzcu erweitert, allc
Hinderniffe bescitigt werden, Schnellverkehr jede ruhigc
Eigenentwicklung hindert, und neue Motive allenthalbcn
hingetragen werden, ift dieses Ausreifen unmöglich.
Man möchte denen, die solchen Optimismus hegen,
zurufen: schraubt erst unsere ganze Entwicklung zurück;
schasft die Kulturbedingungen, wie sie früher waren!
Wo aber ein Untergang ift, da zeigt sich auch ein
Ausgang. Auf der auderen Seite ist unser Gewissen
erwacht sür die Geschmacklosigkeit unserer Lebens-
bedingungen. Eine neue dekorative Kunst, die die gleichen
Gebiete kultiviert wie die alte Volkskunst, die Ärchitek-
tur, die Raumkunst, das Kunstgewerbe, ist gekommen.
Sie hat die Anrcgungen auö der alten Volkskunst in
sich ausgesogen; auf Schritt und Tritt begegnen wir
den Beziehungen, und sür unscre erweiterten Kreise
nimmt sie dieselbe Stellung ein, wie die Volkskunst in
den engeren der Vergangenheit. In dieser Differenzie-
rung dokumentiert sich die Entwicklung.
Das alles, was wir in neuer Baukunft, neuen
Möbeln, neuem Gerät um uus sehen, in dem sich das
energievolle, bedachtsame Schaffen des künstlerischen
Jntellekts unserer Zeit konzentriert, daö ist in einem
neuen Sinne wahre Volkskunst. Jhr gehört die Iukunft,
und statt dem Alten, Schwindenden nachzutrauern (es
wird immer ein Problem bleiben, das Untergehende
20ü
cindrucksvoll, wie die sachlichcn Fvrmcn, die die Material-
sprache untrüglich reden, die oben erwähnt wurde. Mit
der tumben Biederkeit allein ist es nicht getan. Jn
der Volkskunst sind Fähigkeiten, ein handwerkliches, tech-
nischeS Können und Geschmack, wie in der hohen Kunst.
Sie können verrohen, getilgt werden oder sich klären.
Von hier aus geht dann eine natürliche Verbindung zur
höheren Kunst, zur Kulturkunst, die auch nichts weiter
ist, als Volkskunst im höheren Sinne; in bezug auf Stil-
übernahme, Beeinflussung im wesentlichen der alten
Volkskunst gleich; nur ift hier alles verzweigter, um-
faffender, verwirrter oder geklärter.
Jn der Tat hat ja die höhere Kunst die Volkskunst
in ihren besten Erscheinungen, in ihrem Wesentlichen
ausgesaugt. Waö über Form und Farbe gesagt ist,
das hat im guten Sinn (auch im schlechten) besruchtend
aus die Kunft gewirkt und gelehrt, das Schwächliche
allzu unentschiedener Nuanccn zu meiden, das Sachliche,
Charaktervolle zu betonen. Jn vorbildlicher Weise ift
die Volkskunst nutzbar gemacht im Unterricht an den
Volksschulen Münchens; der kmdlichen Psyche entspricht
die Seele der Volkskunft in ihren einzelnen Regungen.
In schlechtcr Weise — damit ist die Jndustric ge-
meint, die nur die Note der Biederkeit und Unbeholsen-
heit übcrnahni und daö Land überschwemmte mit jcnen
billigen Erzeugnissen, die die Leute jetzt tragen. So-
daß man nur noch in den älteren Generationen das
Echte findet und die „VolkSkunst" mancher Bezirke schon
ganz aus Jndustrievierteln stammt und auffallend den
Basarwaren gleicht, womit der Städter sich behängt,
wenn er zum Alpenball geht.
III.
Wenn man sehen will, wie es in der Praxis bestellt
ist, so muß man sich von zwei Extremen sreihalten;
von dem naiv-komischen Standpunkt derer, die das
Kindische in dieser Kunstübung alö ein harmlos-heiteres
Spiel ansehen; diesen sehlt der Blick für das Wesent-
liche, das Ernft-Künstlerische; sie wiffen nicht, daß sie
hier Äußerungen von einer Ursprünglichkeit gcgenüber-
stehen, die immer seltener wird, die Aufklärung gebcn
kann über die Entstehung des Künstlerischcn überhaupt,
die in gleicher Weise vielleicht nur noch im Kind sich
regen, deffen primitiven Äußerungen wir ja jetzt auch
mit Jntcresse zusehen. Die anderen bilden die Partei
der stetig Entzücktcn; die meinen, so müsse Kunst übcr-
haupt aussehen; das sei das Echte, und dahin müßten
wir zurückkchrcn. Diese überschcn, daß jedeö Ding seine
Zeit hat, und daß auch das Gute einmal absterben
muß, weil die Bedingungen fehlen. Und auch der
Pessimist wie der Optimist haben hier nicht die Ent-
scheidung. Was nicht mehr in sich die Kraft zur Eigen-
existenz hat, das mag sterben; überflüssig wäre eö,
künstlich das Absterbende am Lebcn crhalten zu wollen,
womit doch nichtö Ganzes gewonnen wird, und die
organische Entwicklung nur gehemmt wird. Damit ist
schließlich noch nichts gesagt gegen die Versuche, die
Volkskunst neu zu bcleben, wie es so schön heißt.
Speziell sür dic Damcn hat es einen rührenden Reiz,
das anschcinend Hilslosc zu uutcrstützen. Das steht
aus einem anderen Blatt und berührt die Sache, das
Problem nicht. Um zur Erkenntnis zu kommen, muß
man diese HauSftciß- und Heimarbeitbestrebungen ftreng
ausscheiden, dercn Hauptnole im Sozialcn, Wirtschaft-
lichen liegt, nicht im Künstlerischen.
Die praktische Erkenntnis wird einige wesentliche
Sätze gewinnen, die hier aufnotiert seien.
Jm Leben der Völker ist eö wie im Lcben des
einzelnen. Das hcißt: ebenso wie es ein Unsinn ist,
vom Kinde (wie es jetzt üblich ist) allgemein, in Bauscb
und Bogen anzunehmen, daß es künftlerischen Trieb
besitze, so entspricht es auch nicht den Tatsachen, allge-
mein von „Volkskunst", als sei sie bei allen Völkern
so schlechthin vorhanden, zu sprechen. Es gibt künst-
lerische und unkünstlerische Völker. Der Jnstinkt ent-
scheidet; das Ursprüngliche muß vorhandeu sein. Dic
unkünstlerischen Völker mögen auf anderen Gebieten
Bedeutendes leiftcn. Aber so von vornherein jedcm
Volk „Volkskunst" suggerieren zu wollen, ist ein Unding.
Nutzanwendung: Wo ihr diese Anlage spürt, pflegt sie;
sucht daö Schädliche sernzuhalten; aber tragt nicht
Fremdes in Kreise, denen die Organe dazu fehlen; ihr
bringt höchstens Talmi zustande, Fremdenartikel, Basar-
ware. (Wiederum festzuhalten: die Heimarbeit, die dem
Volk in beschäftigungsloser Zeit Gewinn bringt, ist ein
anderes Kapitel.) Was aber sterben will, das laßt in
Ruhe sterben. Es gibt auch in der Kunst noch anderc
Ausgaben; Sentimentalität ist in Dingen der Kunst
nicht angebracht.
Denn es ist das zu beachten: die Kultur war früher
eine andere. Länder, Völker, Bezirke waren früher
abgeschlossener. Selbst wenn fremde Motive sichtbar
übernommen wurden, und die Volkökunst sich daran
entwickelte, so war doch eben Voraussetzung dieser Ent-
wicklung die Abgeschloffenheit, und in ihr reiste aus
dem Übernommenen in Umbildung daö Neue, Eigene
hervor. Heute aber? Wo alle Grenzcu erweitert, allc
Hinderniffe bescitigt werden, Schnellverkehr jede ruhigc
Eigenentwicklung hindert, und neue Motive allenthalbcn
hingetragen werden, ift dieses Ausreifen unmöglich.
Man möchte denen, die solchen Optimismus hegen,
zurufen: schraubt erst unsere ganze Entwicklung zurück;
schasft die Kulturbedingungen, wie sie früher waren!
Wo aber ein Untergang ift, da zeigt sich auch ein
Ausgang. Auf der auderen Seite ist unser Gewissen
erwacht sür die Geschmacklosigkeit unserer Lebens-
bedingungen. Eine neue dekorative Kunst, die die gleichen
Gebiete kultiviert wie die alte Volkskunst, die Ärchitek-
tur, die Raumkunst, das Kunstgewerbe, ist gekommen.
Sie hat die Anrcgungen auö der alten Volkskunst in
sich ausgesogen; auf Schritt und Tritt begegnen wir
den Beziehungen, und sür unscre erweiterten Kreise
nimmt sie dieselbe Stellung ein, wie die Volkskunst in
den engeren der Vergangenheit. In dieser Differenzie-
rung dokumentiert sich die Entwicklung.
Das alles, was wir in neuer Baukunft, neuen
Möbeln, neuem Gerät um uus sehen, in dem sich das
energievolle, bedachtsame Schaffen des künstlerischen
Jntellekts unserer Zeit konzentriert, daö ist in einem
neuen Sinne wahre Volkskunst. Jhr gehört die Iukunft,
und statt dem Alten, Schwindenden nachzutrauern (es
wird immer ein Problem bleiben, das Untergehende
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