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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 17.1909

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Heft 6
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Lissauer, Ernst: Zur Charakteristik Martin Greifs: (geboren 18. Juni 1839 zu Speier)
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Münch, Mimi: Lied der jungen Frau
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https://doi.org/10.11588/diglit.26460#0231

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Zur Eharakteristik Martin Äreifs.

Es ist, als ahnten sie alle
der Sichel Schnitt —

Die Blumen und fremden Halme
erzittern mit.

Hier ist das Schwebende, fast Unsagbare einer Stim-
mung mit vollkommener Sicherheit eingefangen. Dies
Gedicht ist ganz Wort gewordene Seele der Natur
selbft; als ob ein Nerv der Landschast in unsere Hände
geleitet ist und wir mit heimlicher Elektrizität ihn wider
unsere Adern pochen hören. Das Wesentliche dieser
Wirkung beruht darauf, daß zwischen den Zeilen der
tiefere „Sinn" geheimnisvoll, spürbar, doch ungreifbar
schwebt; dies eigentliche Gesetz der Lyrik aber hat sich
Greif allzu selten erschloffen, und er zerstört sich andere
Gedichte durch verstandeSmäßiges, kühles Erklären:

Iwei Falter.

Awei Falter sah ich fliegen
vereint durchs Gartenland,
als hielte sie im Wiegen
ein unsichtbares Band.

Bald schien sichs zu entfalten,
bald zvg sichs wieder ein!
das Band, das sie gehalten,
kann nur die Liebe sein.

Jn den ersten sechö Ieilen ift dieS Gedicht vollkommen
wie jenes; die beiden letzten machen es zu einem
Bonbonvers. Das seinste leicht und licht schwebende
Netz wird durch eine plumpe, ahnungslose Fauft zer-
riffen: selten ist wohl eine große Gnade der Natur
mit geringerer Sorgsamkeit verwaltet worden.

Solche Gedichte sind volkstümlich im Sinnc von
Uhlandö „Die linden Lüfte sind erwacht", nicht Jmi-
tation des „Volkstoncs"; aber auch untcr den Gedichten,
die im „Volkston" geschrieben sind, finden sich eine
Anzahl vortrefflicher Stücke:

Die Schnitterin.

Vor einem grünen Walde,
da liegt ein sanfter Rain,
da sah ich auf der Halde
cin rosig Mägdelcin.

Das fährt mit ihrer blankcn,
geschliffnen Sichel 'rum
und mähet in Gedanken
die schönsten Blümlcin um.

Kuckuck ruft immer weiter,
er ruft den ganzen Tag,
und alles prophezeit er,
was ihr gefallen mag.

Dcr stoffliche Umkreis dieser Gedichte entspricht dcm
der Volkslieder: einsaches dörflichcs Leben, Liebschaft,
Arbeit, Hochzeit, Tod; verlaffene Mägdlein trauern;
volkstümliche Bcrufe treten auf: Schnitterinnen, wie
hier, Spinnerinnen, Soldaten, Matrosen, Hirten; wie
hier die alte Volkssage vom Prophezeien des Kuckucks
verwandt wird, so vielfach alte Volkssagen und -bräuche:
zwei springen in der Sunnwendnacht durchs Feuer,
drei Kirschenzwcige werden am Barbaratag gepflanzt,
Blei wird in der Thomasnacht gegoffen.

Ein Motiv von starker lyrischer Wirkung ist bei
Greis mehrsach vorhanden: er schließt öfters ein Gc-
dicht, indcm er den Rus eincs Vogels sort und fort

ertönen läßt: wie dort die Lerche sortsingt, so ruft
hier der Kuckuck immer weiter, und das holde Zeit-
vertreiben des lieblichen „Frauengemach"-Liedes klingt
so aus:

Jn einem goldnen Ringe
wiegt sich ein Papagei
und schwaHt »iel tolle Dinge —
so geht der Tag vorbei.

Das Grundgesühl des Gedichtes hat sein klingendes
Abbild in dem Ton der Vögcl gesunden; wie eine
reizende unendliche Melodie tönt das Rufen und
Schwatzen vor unserem innern Gehör nach, und mit
ihm schwingt das Grundgesühl deS LiedeS lang und
lieblich in uns fort.

Unter den Balladen Greifs, die sich im allgemeinen
über den Durchschnitt nicht erhebcn, ift die stärkste die
vom „klagenden Lied", die zum Teil an visionärer
Kraft den Mörikeschen Zaubcrballaden nahekommt.

Die wesentlichen Leiftungen Greifs liegen aus dem
Gebiete der spezifischen, vor allem der Naturlyrik. Weder
in seinen Sprüchen, Hymnen, Epigraminen, noch in
seinen Schauspielen und Tragödien ift er von Be-
deutung. DaS ift nicht vcrwunderlich, denn dem Dichter
sehlt, wie dargelegt wurde, die ordnende, sichtende Be-
wußtheit, und ohne sie kann wohl aus Grund großer
Gnade hie und da ein lyrisches Wunder entstehen, alle
anderen Gattungen aber, vom gedanklichen Gedicht biS
zur Tragödie, verlangen eine künftlerische Jntelligenz.
Aber auch die eigentliche lyrische Sammlung des Dichters
wird dadurch beeinträchtigt, nicht nur in sprachkünst-
lerischer Beziehung, sondern ,auch in bezug auf Weite
des Blickes und Mannigfaltigkeit der Bcziehungen zum
Leben. Es offenbart sich eine schlichte, freundliche,
innige Natur, der aber die Kraft der Persönlichkeit
mangelt. Und somit kann man Greis nicht unter die
großen Lyriker rechnen; man muß sich begnügen, aus-
zusprechen, daß wir von ihm eine Anzahl lauterster
lyrischer Strophen besitzen, und daß er den Bestand
an „ewigen" Gedichten gemehrt hat. Manchem mag
dies wenig dünken; wem aber die Lyrik sich offenbart
hat, dem ift es DankeS und Glückeö genug.

Ernst Lissauer.

Lied der jungen Frau.

Du bift nun König,
ich bin Königin;
bist du so selig,
wie ich selig bin?

Du schwingft das Zeptcr,
und ich trag die Krone,
du sollst regieren —
aber ich belohne.

Wie ich so selig,
ach, so selig bin.

Du bist nun König,

ich - bin Königin! Mimi Münch.

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