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1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. — Nr. 1.
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und des für sie zu wünschenden Schmuckes
zum Ausdruck zu bringen.
Aus kleinen und schlichten Anfängen her-
vorgegangen, entwickelte sich diese gothische
Altarbaukunst rasch immer reicher und reicher,
bis sie zu Anfang des XVI. Jahrh. ihre vollste
Entfaltung in einem wahrhaft unerschöpflichen
Reichthum der Formen fand. Der Flügelaltar-
Aufsatz wurde jetzt so beliebt, dafs er fast alle
Altäre in Deutschland ih Besitz nahm. Unter
den uns bis jetzt innerhalb der Grenzen des
alten deutschen Reiches bekannt gewordenen
etwa 3000 der gothischen Kunst angehörigen
Altären befinden sich vielleicht blofs 50, die aus
Stein gearbeitet sind, obwohl gerade diese der
Natur der Sache gemäfs am ersten auf eine die
Jahrhunderte überdauernde Existenz Anspruch
erheben konnten; von den in Holz gearbeiteten
Schreinaltären, sowohl den blofs gemalten als
den Schnitzwerk mit Malerei verbindenden, läfst
sich aber mit Gewifsheit behaupten, dafs min-
destens vier Fünftel aller bestehenden der Zeit
zwischen 1500 und 1525 bis 30 ihr Entstehen
zu verdanken haben. Für einzelne deutsche
Landschaften, namentlich des Nordens, so für
Sachsen, Brandenburg, Schlesien, ist dieser Pro-
zentsatz sogar noch um ein Bedeutendes höher
anzunehmen. Welch' grofsen, allgemeinen, in
unserer Zeit kaum begreiflichen Beifall diese
deutsche Altarkunst sich gerade zu Anfang des
XVI. Jahrh. errang, geht auch daraus hervor,
dafs zahlreiche Erzeugnisse derselben, nament-
lich aus den flandrischen Werkstätten, weit über
die Grenzen des Vaterlandes hinaus, trotz der
damals so ungleich schwierigeren Verkehrs-
verhältnisse, versendet wurden, so nach Däne-
mark, nach Schweden und Norwegen, nach
Frankreich und Spanien.
Trotz der angedeuteten reichen Entwicklung,
die dieser gothische Altarbau in Deutschland im
Laufe der Zeiten genommen hat und trotz der
unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Formen,
zu denen er von seinen ersten Anfängen an
gelangte, hat doch diese ganze Kunst ebenso wie
die gothische Architektur selbst, an die sie sich
anlehnte, von Anfang an feste und bestimmte
Grundregeln gehabt und bis zum Ende behauptet.
In entschiedenster Weise zeigt sich dies nun
auch bezüglich der farbigen Ausstattung, die
man den Altären in der gothischen Zeit gab
und die von so überaus grofser Wichtigkeit für
die künstlerische Wirkung derselben ist.
Wie schon gesagt, hatte die deutsche Altar-
baukunst des XIV. Jahrh., jener Zeit, in der
eine ständige Schmückung des Altartisches durch
geschnitzte oder gemalte Aufsätze mehr und
mehr begehrt zu werden anfing, als Vorbilder
hierfür nur jene schönen, meist aus edlem
Metall angefertigten, in allen Fällen aber reich
vergoldeten Reliquienschreine und Altartafeln
vor Augen, und es galt nun, mit ihnen in ganz
anderem Material und ganz anderer Form und
dennoch in möglichst würdiger und der Heilig-
keit der Sache entsprechender Weise zu wett-
eifern. Ganz gewifs wäre es nicht möglich ge-
wesen, entsprechender dies zu thun, als es durch
die damalige gothische Altarkunst in Wirklich-
keit geschehen ist. Ganz wie die romanische
Kunst es gethan hatte, fafst auch nun die
gothische die auf den Altären darzustellenden
heiligen Gegenstände in idealster und verklär-
tester Weise auf. Natur und Körperlichkeit sind
die Mittel, mit denen sie wirkt, aber sie schafft
sie in verklärender Weise um; handelte es sich
ja auch um Dinge, die in der religiösen Phan-
tasie mit dem Lichte himmlischer Verklärung
Übergossen sind und die sich ein gläubiger
Geist in mittelalterlicher Zeit gar nicht anders
als in diesem Lichte vorstellen konnte. Daher
erhalten jene Figuren jetzt jenen idealen Schwung
und jene von den natürlichen Proportionen
vielfach absehende Bewegung, daher giebt man
ihnen jenen unnachahmlichen Zug der Fröm-
migkeit und Innigkeit, jene übernatürliche Schön-
heit, die dabei doch so einfach und ungesucht
ist; daher fällt es den Künstlern, namentlich
in der früheren Zeit, auch oft gar nicht ein,
in der Umgebung und in den Hintergründen
ihrer heiligen Gestalten die wirkliche Natur der
Regel nach zum Vorbild zu nehmen; sie konn-
ten es wohl; denn gar manches originelle alte
Werk zeigt, dafs dieselben Künstler, wenn sie
nach dem Leben schildern wollten, oft in einer
überraschend demselben entsprechenden Weise
dies vermochten: der Regel nach aber genügt es
ihnen, die heiligen Personen allein darzustellen,
oder Umgebung und Hintergrund nur in typisch
herkömmlicher Weise anzudeuten und zu be-
zeichnen. Den herrlichen Glanz des edlen Me-
talls aber, durch den der romanische Altar-
schmuck ausgezeichnet war, ersetzten die gothi-
schen Künstler durch die reiche Vergoldung,
die sie bei ihren Altarschreinen von Anfang an
angewendet haben und die auch ohne Zweifel
1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST. — Nr. 1.
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und des für sie zu wünschenden Schmuckes
zum Ausdruck zu bringen.
Aus kleinen und schlichten Anfängen her-
vorgegangen, entwickelte sich diese gothische
Altarbaukunst rasch immer reicher und reicher,
bis sie zu Anfang des XVI. Jahrh. ihre vollste
Entfaltung in einem wahrhaft unerschöpflichen
Reichthum der Formen fand. Der Flügelaltar-
Aufsatz wurde jetzt so beliebt, dafs er fast alle
Altäre in Deutschland ih Besitz nahm. Unter
den uns bis jetzt innerhalb der Grenzen des
alten deutschen Reiches bekannt gewordenen
etwa 3000 der gothischen Kunst angehörigen
Altären befinden sich vielleicht blofs 50, die aus
Stein gearbeitet sind, obwohl gerade diese der
Natur der Sache gemäfs am ersten auf eine die
Jahrhunderte überdauernde Existenz Anspruch
erheben konnten; von den in Holz gearbeiteten
Schreinaltären, sowohl den blofs gemalten als
den Schnitzwerk mit Malerei verbindenden, läfst
sich aber mit Gewifsheit behaupten, dafs min-
destens vier Fünftel aller bestehenden der Zeit
zwischen 1500 und 1525 bis 30 ihr Entstehen
zu verdanken haben. Für einzelne deutsche
Landschaften, namentlich des Nordens, so für
Sachsen, Brandenburg, Schlesien, ist dieser Pro-
zentsatz sogar noch um ein Bedeutendes höher
anzunehmen. Welch' grofsen, allgemeinen, in
unserer Zeit kaum begreiflichen Beifall diese
deutsche Altarkunst sich gerade zu Anfang des
XVI. Jahrh. errang, geht auch daraus hervor,
dafs zahlreiche Erzeugnisse derselben, nament-
lich aus den flandrischen Werkstätten, weit über
die Grenzen des Vaterlandes hinaus, trotz der
damals so ungleich schwierigeren Verkehrs-
verhältnisse, versendet wurden, so nach Däne-
mark, nach Schweden und Norwegen, nach
Frankreich und Spanien.
Trotz der angedeuteten reichen Entwicklung,
die dieser gothische Altarbau in Deutschland im
Laufe der Zeiten genommen hat und trotz der
unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Formen,
zu denen er von seinen ersten Anfängen an
gelangte, hat doch diese ganze Kunst ebenso wie
die gothische Architektur selbst, an die sie sich
anlehnte, von Anfang an feste und bestimmte
Grundregeln gehabt und bis zum Ende behauptet.
In entschiedenster Weise zeigt sich dies nun
auch bezüglich der farbigen Ausstattung, die
man den Altären in der gothischen Zeit gab
und die von so überaus grofser Wichtigkeit für
die künstlerische Wirkung derselben ist.
Wie schon gesagt, hatte die deutsche Altar-
baukunst des XIV. Jahrh., jener Zeit, in der
eine ständige Schmückung des Altartisches durch
geschnitzte oder gemalte Aufsätze mehr und
mehr begehrt zu werden anfing, als Vorbilder
hierfür nur jene schönen, meist aus edlem
Metall angefertigten, in allen Fällen aber reich
vergoldeten Reliquienschreine und Altartafeln
vor Augen, und es galt nun, mit ihnen in ganz
anderem Material und ganz anderer Form und
dennoch in möglichst würdiger und der Heilig-
keit der Sache entsprechender Weise zu wett-
eifern. Ganz gewifs wäre es nicht möglich ge-
wesen, entsprechender dies zu thun, als es durch
die damalige gothische Altarkunst in Wirklich-
keit geschehen ist. Ganz wie die romanische
Kunst es gethan hatte, fafst auch nun die
gothische die auf den Altären darzustellenden
heiligen Gegenstände in idealster und verklär-
tester Weise auf. Natur und Körperlichkeit sind
die Mittel, mit denen sie wirkt, aber sie schafft
sie in verklärender Weise um; handelte es sich
ja auch um Dinge, die in der religiösen Phan-
tasie mit dem Lichte himmlischer Verklärung
Übergossen sind und die sich ein gläubiger
Geist in mittelalterlicher Zeit gar nicht anders
als in diesem Lichte vorstellen konnte. Daher
erhalten jene Figuren jetzt jenen idealen Schwung
und jene von den natürlichen Proportionen
vielfach absehende Bewegung, daher giebt man
ihnen jenen unnachahmlichen Zug der Fröm-
migkeit und Innigkeit, jene übernatürliche Schön-
heit, die dabei doch so einfach und ungesucht
ist; daher fällt es den Künstlern, namentlich
in der früheren Zeit, auch oft gar nicht ein,
in der Umgebung und in den Hintergründen
ihrer heiligen Gestalten die wirkliche Natur der
Regel nach zum Vorbild zu nehmen; sie konn-
ten es wohl; denn gar manches originelle alte
Werk zeigt, dafs dieselben Künstler, wenn sie
nach dem Leben schildern wollten, oft in einer
überraschend demselben entsprechenden Weise
dies vermochten: der Regel nach aber genügt es
ihnen, die heiligen Personen allein darzustellen,
oder Umgebung und Hintergrund nur in typisch
herkömmlicher Weise anzudeuten und zu be-
zeichnen. Den herrlichen Glanz des edlen Me-
talls aber, durch den der romanische Altar-
schmuck ausgezeichnet war, ersetzten die gothi-
schen Künstler durch die reiche Vergoldung,
die sie bei ihren Altarschreinen von Anfang an
angewendet haben und die auch ohne Zweifel