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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0212

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313

1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST

Nr. 10.

und Plünderungen, welche gerade dieses Kloster
erfahren mufste, alle Spuren älterer Kunst-
thätigkeit gründlich ausgelöscht hätten. In den
russischen Ostseeprovinzen gibt es noch roma-
nische Kirchen, möglicherweise auch romanische
Werke der Kleinkunst; aber die dortigen Kunst-
denkmäler sind zu wenig erforscht oder bekannt,
als dafs darüber etwas Bestimmtes gesagt wer-
den könnte.1)

Man darf auch in dieser Periode hauptsäch-
lich drei Formen von Kreuzen unterscheiden:
Hängekreuze, Tragkreuze (Vortrage- oder Prozes-
sionskreuze) und Stehkreuze. Die letztere Form
ist erst viel später in Aufnahme gekommen
und hat die übrigen Formen fast verdrängt; ja
es sind augenscheinlich viele ursprünglichen
Hänge- oder Tragkreuze später zu Stehkreuzen
umgeformt worden, was nicht selten zu argen
Mifsbildungen geführt hat.

In der Periode, um die es sich hier handelt,
war an die Stelle des quadratisch erweiterten
Ansatzes an den Enden der Arme fast allge-
mein der Kleeblatt-Abschlufs getreten. Diese
Form hat so sehr den ästhetischen Sinn befrie-
digt und ist allgemein als eine so glückliche
empfunden worden, dafs sich dieselbe nicht nur
in die Renaissanceperiode hinüber gerettet, son-
dern geradezu als herrschend erhalten hat, um
erst in allerneuester Zeit dem viel nüchternem
geradlinigen Abschlufs zu weichen. Diese That-
sache ergibt eine Durchmusterung der ost- und
westpreufsischen Kirchen und ihrer Kruzifixe
bis zur Evidenz.

In der dekorativen Ausstattung dieser Grund-
form war nun dem Künstler ein weiter Spiel-
raum gelassen. So wurden die Flächen der
Kreuzbalken vielfach mit erhabenem oder ein-
gravirtem Linien- oder Pflanzenornament oder
den Leidenswerkzeugen geziert, und wurde ent-
weder das Ganze vergoldet oder doch das Or-
nament, welches sich dann von dem tiefer lie-
genden Silbergrunde sehr wirkungsvoll abhob.
Bei reicheren Kreuzen findet man die Flächen
auch durch Heiligenfigürchen unter Baldachinen,
gefafste edle Steine, silberne Rosetten u. dergl.
geschmückt. Die Kreuzung der Arme war die
natürliche Stelle für reich gefafste Reliquien;
auf der anderen Seite findet man in der Regel
ein plastisches oder eingravirtes Kruzifix, wohl

l) Es sei hier aufmerksam gemacht auf die sehr
interessante Schrift von Reinh. Guleke: »Figuren-
tafeln zum Dom von Riga« (nebst Text). Dorpat 1884.

auch das von einem Engel gehaltene Schweifs-
tuch der Veronika. Auf den Enden der Kreuzes-
arme wurden gleichfalls Theken mit Reliquien
angebracht, oder, was viel häufiger, die Sym-
bole der vier Evangelisten eingegraben oder
in farbigem Emailgrund eingelegt, oder endlich,
wie an einem werthvollen Kreuze zu Thorn,
rosettenartige Blumenornamente aufgesetzt. Die
Ränder wurden durch Krabben oder Blumen
oder wohl auch durch einen kräftigen spiral-
förmig gedrehten Draht eingefafst. Reicher
aber wurden die Kleeblatt-Abschlüsse der Arme
behandelt, indem sich nicht nur die Krabben-
ornamente um sie herumzogen, sondern auch
die Scheitelpunkte der Kleeblätter mit weit aus-
ladenden Kreuzblumen oder in Silber gefafsten
Korallen oder Edelsteinen oder auch silberver-
goldeten Kügelchen bezw. Rosetten ausgezeich-
net wurden. Aehnliche Ornamente steigen nicht
selten aus den vier Ecken der Kreuzung her-
vor. Meistens ist das Kruzifix nicht rhassiv,
sondern nur durch aufeinandergelegte Kupfer-
oder Silberplatten, die im Innern durch eine
Eisenkonstruktion fest zusammengehalten wer-
den, gebildet.

Die also geformten und dekorirten Hänge-
bezw. Tragkreuze wurden nun, wie schon er-
wähnt, vielfach mit einem Fufse versehen und
so zu Stehkreuzen umgestaltet. Bezüglich der
Form des Fufses war man nicht in Verlegen-
heit. Wie fast alles in der gothischen Periode,
mufste auch er architektonisch sich aufbauen,
und so wählte man jene Form des Fufses, wie
sie längst bei Kelchen und Ostensorien üblich
war, d. h. auf polygoner Grundfläche mufste
sich ein mehrfach gegliederter Schaft erheben,
der bei Ostensorien und Kreuzen einfach die
Gestalt eines gothischen Thurmes erhielt. Dafs
wirklich den Künstlern diese Idee vorgeschwebt
hat, tritt namentlich dort sehr klar hervor, wo
über dem Hauptknaufe zwischen Zinnen sich
ein pyramidales, geschupptes Dach erhebt, dem
weiter nichts fehlt, als die abschliefsende Kreuz-
blume. Diese letztere vertrat eben das Reli-
quienkreuz selbst. Also ein gothischer Thurm
mit Reliquienkreuz auf der Spitze — das ist
bei sehr vielen dieser Kreuze die Grundidee.
Dafs da aber in den allermeisten Fällen ein
Mifsverhältnifs zwischen Unterbau und Kreuz
obwalten mufste, liegt auf der Hand. Das Ganze
machte meistens den Eindruck, als ob es aus
zwei gar nicht zu einander gehörenden und für
 
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