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Zeitschrift für christliche Kunst — 4.1891

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https://doi.org/10.11588/diglit.3823#0233

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347

1891.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 11.

348

Uebergang in den Kirchenschatz durch Hinzu-
fügung eines kirchlichen Symbols, einer Heiligen-
figur oder dergl., für den religiösen Dienst ge-
weiht wurden.

Wie unermefslich reich, weit über unser Vor-
stellungsvermögen hinausgehend, diese Kirchen-
schätze waren, können wir nur ahnen, wenn wir
das heute noch Vorhandene betrachten und die
ungeheueren Verluste in Rechnung ziehn, welche
die Religionskriege und die Umwälzungen zu
Beginn unseres Jahrhunderts sowie die sich jeder
Berechnung entziehenden Verschleuderungen
durch Unverstand und Habsucht im Gefolge
hatten. Aber ebenso unermefslich wie den Reich-
thum dieser Kirchenschätze müssen wir uns den
Einflufs vorstellen, den dieselben auf das Kunst-
gewerbe ihrer Zeit ausübten. Hier trat genau das
Gleiche ein, was wir nach dem Bericht glaub-
würdiger Schriftsteller im griechischen Alterthum
fanden: Die hohe Verehrung des Ortes, an wel-
chem diese Werke der Kleinkunst aufbewahrt
wurden, die Heiligkeit des Gebrauches, welchem
sie dienten, spornten den Künstler, der von der
Geistlichkeit mit Aufträgen geehrt wurde, zum
höchsten Einsetzen seines Könnens an, um die
alten, der Gemeinde bekannten Werke womöglich
zu übertreffen.

Und nun kommen wir zum Kernpunkt des
Gedankens, der uns beschäftigt: Bestehen bei
uns Einrichtungen, um das viele und künstlerisch
Werthvolle, was sich trotz aller Ungunst der
Zeiten in den Sakristeien unserer Kirchen er-
halten hat, in gleicher Weise für das moderne
Kunsthandwerk als Vorbild nutzbar zu machen,
wie es nach unbestreitbarer Ueberlieferung früher
der Fall war? Wir glauben diese Frage mit Nein
beantworten zu müssen.

Wir haben wohl kaum nöthig, an dieser Stelle
/ näher auf die überaus grofse Wichtigkeit einzu-
gehen, welche die Vorbilder der Vergangenheit
und ihr allgemeines Bekanntwerden für das mo-
derne Kunstgewerbe besitzen. Wenn selbst ein
pessimistisches Urtheil dem letzteren einen fri-
scheren Aufschwung, eine erhöhte Leistungsfähig-
keit in den letzten zwei Jahrzehnten nicht ab-
sprechen kann, so wissen wir auch, dafs zu diesem
erfreulichen Resultat die in Kunstgewerbemuseen
und Sonderausstellungen einem weiten Kreise be-
kannt gewordenen Meisterwerke der Vergangen-
heit in zweifachem Sinne beigetragen haben:
Einmal haben sie dem modernen Arbeiter den
Kopf mit guten Gedanken, mit neuen Motiven

gefüllt, sein Urtheil über die nothwendige Voll-
endung der Arbeit geläutert; anderseits haben
sie dem kaufenden und bestellenden Publikum
ein lebhaftes Interesse an den Werken des Kunst-
handwerks, und mit der Lust zum Besitz einen
richtig gestellten Begriff von dem Marktwerth
künstlerisch durchgeführterHandarbeit verschafft.
Diese beiden grofsen, gar nicht wegzuleugnen-
den Erfolge der letzten zwanzig Jahre sollte man
immer wieder rühmend hervorheben, und na-'
mentlich Denen entgegenhalten, die geneigt sind,
über die bis in kleinere Orte hinein sich er-
streckenden Museumsgründungen, über die bei
jeder Gelegenheit unternommenen Alterthums-
ausstellungen abfällig oder spöttisch zu urtheilen.
Vornehmlich diesen Veranstaltungen haben wir
es zu verdanken, wenn, um nur auf dem Gebiete
der kirchlichen Kunst zu bleiben, auch in der
weltfernsten Pfarre der Geistliche Interesse für
die kunstschöne Ausstattung seiner Kirche be-
kommt, wenn er gute alte Stücke, die sich im
Kircheninventar erhalten haben, konservirt und
bei Neuerwerbungen über stilrichtige Formen
wacht. Und sollte es zu rechtfertigen, oder auch
nur zu entschuldigen sein, wenn wir in der Kette
dieser Bestrebungen auf ein Glied so gut wie
völlig verzichten, welches grade für die kirch-
liche Kunst in hervorragender Weise befruchtend
wirken könnte? Wir meinen diejenigen Werke
dieser Kunst, die Monstranzen, Reliquarien, Vasa
sacra, die alten Chorbücher und Paramente, die
in den Sakristeien unserer alten Kirchen gleich-
sam vergraben sind.

Thatsächlich vergraben! Denn wer bekommt
dieselben zu Gesicht? Alle fünf bis zehn Jahre
giebt eine „kirchliche Ausstellung" Gelegenheit,
dieselben einer gröfseren Beschauerzahl vorzu-
führen, die dann mit Recht erstaunt ist über diese
so gut wie unbekannten2) Schätze. Zwischen?

2) [Was in unseren Kirchen an alten Kunstgegen-
ständen noch erhalten ist, dürfte doch, Dank den zahl-
reichen Ausstellungen und Veröffentlichungen (zumal in
den Denkmäler-Statistiken) der letzten drei Jahrzehnte,
ziemlich bekannt, die Zahl der eigentlichen Kirchen-
schätze aber, d. h. gröfserer Sammlungen kirchlicher
Kunstobjekte, nicht so grofs sein, wie der verehrte
Herr Verfasser anzunehmen scheint. Diesen ist gewifs,
insoweit ihre Gefäfse, Geräthe, Paramente nicht dem
täglichen liturgischen Gebrauche dienen, überall eine
leicht zugängliche, übersichtliche Aufstellung zu wün-
schen, die sie an verschiedenen, durch ihren bezüg-
lichen Reichthum ausgezeichneten Stätten (z. B. in
Xanten, Paderborn, Osnabrück) leider noch immer
entbehren. D. H.]
 
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