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1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
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mei, welche gleich den Bleigruben von Gresse-
nich und Stolberg bereits zur Römerzeit be-
trieben und nach Ausweis der Stadtrechnungen
im XIV. Jahrh. stark ausgebeutet wurden. In
der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. besafs Aachen
bedeutende Messingfabriken, deren Besitzer 1505
einen Zunftbrief erhielten. Das oft genannte
Todtenbuch sowie das Zinsbuch des Münsters
aber erwähnen bereits unter den Wohlthätern
einen „Topfgiefser" Heinrich, welcher um 1320
gelebt haben mufs.12)
Nachdem wir gezeigt haben, welche Gründe
wahrscheinlich machen, Aachen habe im Mittel-
alter, wenigstens in dessen zweiten Hälfte, Gold-
schmiede und kundige Kupferarbeiter besessen,
können wir zur Frage nach den Meister der
beiden grofsen Schreine des Münsters über-
gehen. Ueber den älteren, den Karlsschrein,
meldet Reiner in seinen Annalen1?) zweierlei:
„Friedrich II. habe ihn mit Hilfe des Gold-
schmiedes geschlossen und die Aachener hätten
ihn gemacht." Man kann freilich die zweite Aus-
sage auch dahin deuten, die Aachener, nicht
der Kaiser, hätten das zu dem Werk nöthige
Geld beigesteuert. Würden sie aber zugegeben
haben, dafs der Goldschmied bei der feierlichen
Einschliefsung der Reliquien Karls in so hervor-
ragender Weise bethätigt gewesen wäre, wenn
sie ihm nicht als Bürger ihrer Stadt solche Ehre
gegönnt hätten?
Ueber die Anfertigung des zweiten, weit
kostbareren, aber unmittelbar nach Vollendung
des erstem begonnenen Schreines handelt eine
1220 zu. Frankfurt ausgestellte Urkunde Frie-
drichs II.14) Sie verordnet: aus dem vor dem
Paradiese der Aachener Münsterkirche aufge-
stellten Opferstock solle der Propst zum In-
standhalten der Kirche nur ein Viertel erhalten,
so lange der Marienschrein in Arbeit sei, nach
Vollendung desselben aber die Hälfte. Nun
nennt das Todtenbuch der Marienkirche unter
den Wohlthätern des Stiftes einen Goldschmied
12) Haagen »Geschichte Achens« IL, S. 25, 70,
10G, 162 f., 185 u. s. w. »Zeitschrift des Aachener Ge-
schichtsvereins« IL, S. 145 f.; III., S. 146 f.; V., S. 315;
XL, S. 242. »Necrologium« S. 45: Ubiit Gertrudis
uxor Henrici fusoris pottorum in cujus anniversario
fratres habent VI. solidos; S. 76: De domo Henrici
fusoris pottorum XIX. solidi.
,8) Reinerii Leodinensis Annales ad annum 1215.
»Mon. Germ.« XVI. 673.
u) Abgedruckt in Lacomblets »Urkundenbuch«
IL, Nr. 84.
Johannes, der vor 1250 gestorben sein mufs.
Das Zinsbuch aber bringt den Namen der
„Druda, der Wittwe des Goldschmiedes",15)
Dieser Johannes dürfte aller Wahrscheinlichkeit
nach einer der Meister sein, denen jener Schrein
seine Entstehung verdankte. Ich sage: „einer
der Meister", denn wie ich anderweits16) nach-
gewiesen habe, sind die beiden Langseiten in
Anlage und Technik so verschieden, dafs sie
nicht derselben Werkstatt entstammen werden.
Zur Beurtheilung dieser Unterschiede sind die
Artikel 3 und 5 der Strafsburger Goldschmiede-
ordnung von 1363 herbeizuziehen. Sie besagen:
„Es sol dehein golismid me haben danne zwene
lereknehte. wenne der knehte einer vier jar ge-
leret, so mag er wol einen andern dingen und
keynen me". „Es sol och dehein golismid me
haben danne zwene gedingete knehte, den er Ion
git, ane geverde. 7volle aber einre von dem
stücke wircken und kein gedinget kneht sin, der
soll sinen halben einung hoffen und sinen gan-
tzen harnesch haben ane alle Widerrede."
Es war also 1363 zu Strafsburg Regel, dafs
kein Goldschmied mehr als zwei Lehrjungen
und zwei Gesellen hatte. Solche Handwerks-
ordnungen sind nun aber keine plötzlich und
an einem Ort entstandene Gesetze. Sie ent-
wickelten sich langsam aus weit verbreiteten
Gewohnheiten. In der ersten Hälfte des XIII.
Jahrh., als der Marienschrein entstand, wird
also auch zu Aachen einem Meister schwerlich
erlaubt gewesen sein, beliebig viele Gesellen'
zu haben. Die Beschränkung der Gesellenzahl
zwang dann aber, so grofse Werke wie den
Marienschrein, mehreren Meistern zugleich zu
übertragen.
Die Technik des Kronleuchters (um 1160)
erinnert so sehr an jene des Karlsschreins (ca.
1200), dafs beide auf nahe verwandte Werk-
stätten hinweisen, beim Marienschrein (ca. 1220)
aber sind Stanzen benutzt, welche schon beim
Karlsschrein dienten. Das aber berechtigt zur
Vermuthung, Nachfolger und Landsleute Wi-
berts, des Meisters der Krone, hätten jene
beiden Prachtschreine vollendet. Besafs aber
Aachen ca. 1160 bis 1220 so hervorragende
Meister, dafs sie drei so bedeutende Kunst-
werke herzustellen vermochten, dann mufs das
Goldschmiedehandwerk auch vorher und nach-
J5) »Necrologium« 1. c, S. 18, 10, 73.
1G) »Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins«
V., 1 ff.
1891. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 12.
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mei, welche gleich den Bleigruben von Gresse-
nich und Stolberg bereits zur Römerzeit be-
trieben und nach Ausweis der Stadtrechnungen
im XIV. Jahrh. stark ausgebeutet wurden. In
der zweiten Hälfte des XV. Jahrh. besafs Aachen
bedeutende Messingfabriken, deren Besitzer 1505
einen Zunftbrief erhielten. Das oft genannte
Todtenbuch sowie das Zinsbuch des Münsters
aber erwähnen bereits unter den Wohlthätern
einen „Topfgiefser" Heinrich, welcher um 1320
gelebt haben mufs.12)
Nachdem wir gezeigt haben, welche Gründe
wahrscheinlich machen, Aachen habe im Mittel-
alter, wenigstens in dessen zweiten Hälfte, Gold-
schmiede und kundige Kupferarbeiter besessen,
können wir zur Frage nach den Meister der
beiden grofsen Schreine des Münsters über-
gehen. Ueber den älteren, den Karlsschrein,
meldet Reiner in seinen Annalen1?) zweierlei:
„Friedrich II. habe ihn mit Hilfe des Gold-
schmiedes geschlossen und die Aachener hätten
ihn gemacht." Man kann freilich die zweite Aus-
sage auch dahin deuten, die Aachener, nicht
der Kaiser, hätten das zu dem Werk nöthige
Geld beigesteuert. Würden sie aber zugegeben
haben, dafs der Goldschmied bei der feierlichen
Einschliefsung der Reliquien Karls in so hervor-
ragender Weise bethätigt gewesen wäre, wenn
sie ihm nicht als Bürger ihrer Stadt solche Ehre
gegönnt hätten?
Ueber die Anfertigung des zweiten, weit
kostbareren, aber unmittelbar nach Vollendung
des erstem begonnenen Schreines handelt eine
1220 zu. Frankfurt ausgestellte Urkunde Frie-
drichs II.14) Sie verordnet: aus dem vor dem
Paradiese der Aachener Münsterkirche aufge-
stellten Opferstock solle der Propst zum In-
standhalten der Kirche nur ein Viertel erhalten,
so lange der Marienschrein in Arbeit sei, nach
Vollendung desselben aber die Hälfte. Nun
nennt das Todtenbuch der Marienkirche unter
den Wohlthätern des Stiftes einen Goldschmied
12) Haagen »Geschichte Achens« IL, S. 25, 70,
10G, 162 f., 185 u. s. w. »Zeitschrift des Aachener Ge-
schichtsvereins« IL, S. 145 f.; III., S. 146 f.; V., S. 315;
XL, S. 242. »Necrologium« S. 45: Ubiit Gertrudis
uxor Henrici fusoris pottorum in cujus anniversario
fratres habent VI. solidos; S. 76: De domo Henrici
fusoris pottorum XIX. solidi.
,8) Reinerii Leodinensis Annales ad annum 1215.
»Mon. Germ.« XVI. 673.
u) Abgedruckt in Lacomblets »Urkundenbuch«
IL, Nr. 84.
Johannes, der vor 1250 gestorben sein mufs.
Das Zinsbuch aber bringt den Namen der
„Druda, der Wittwe des Goldschmiedes",15)
Dieser Johannes dürfte aller Wahrscheinlichkeit
nach einer der Meister sein, denen jener Schrein
seine Entstehung verdankte. Ich sage: „einer
der Meister", denn wie ich anderweits16) nach-
gewiesen habe, sind die beiden Langseiten in
Anlage und Technik so verschieden, dafs sie
nicht derselben Werkstatt entstammen werden.
Zur Beurtheilung dieser Unterschiede sind die
Artikel 3 und 5 der Strafsburger Goldschmiede-
ordnung von 1363 herbeizuziehen. Sie besagen:
„Es sol dehein golismid me haben danne zwene
lereknehte. wenne der knehte einer vier jar ge-
leret, so mag er wol einen andern dingen und
keynen me". „Es sol och dehein golismid me
haben danne zwene gedingete knehte, den er Ion
git, ane geverde. 7volle aber einre von dem
stücke wircken und kein gedinget kneht sin, der
soll sinen halben einung hoffen und sinen gan-
tzen harnesch haben ane alle Widerrede."
Es war also 1363 zu Strafsburg Regel, dafs
kein Goldschmied mehr als zwei Lehrjungen
und zwei Gesellen hatte. Solche Handwerks-
ordnungen sind nun aber keine plötzlich und
an einem Ort entstandene Gesetze. Sie ent-
wickelten sich langsam aus weit verbreiteten
Gewohnheiten. In der ersten Hälfte des XIII.
Jahrh., als der Marienschrein entstand, wird
also auch zu Aachen einem Meister schwerlich
erlaubt gewesen sein, beliebig viele Gesellen'
zu haben. Die Beschränkung der Gesellenzahl
zwang dann aber, so grofse Werke wie den
Marienschrein, mehreren Meistern zugleich zu
übertragen.
Die Technik des Kronleuchters (um 1160)
erinnert so sehr an jene des Karlsschreins (ca.
1200), dafs beide auf nahe verwandte Werk-
stätten hinweisen, beim Marienschrein (ca. 1220)
aber sind Stanzen benutzt, welche schon beim
Karlsschrein dienten. Das aber berechtigt zur
Vermuthung, Nachfolger und Landsleute Wi-
berts, des Meisters der Krone, hätten jene
beiden Prachtschreine vollendet. Besafs aber
Aachen ca. 1160 bis 1220 so hervorragende
Meister, dafs sie drei so bedeutende Kunst-
werke herzustellen vermochten, dann mufs das
Goldschmiedehandwerk auch vorher und nach-
J5) »Necrologium« 1. c, S. 18, 10, 73.
1G) »Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins«
V., 1 ff.