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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Pecht, Friedrich: In Paris, [1]
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Fuchs, Georg: Die Ausstellung von 1894 und die Kunst der Zukunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0022

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In Paris, von F. Hecht. — Die Ausstellungen von und die Kunst der Hukunft.

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geschickte Maler hier, aber eine eigentlich klassische Kunst
auch nicht gab, wie sehr ich auch die romantischen Meister
von Gericault und Delacroix bis Delaroche und Vernet
oder Robert Fleury bewunderte. Nur den Klassizisten,
so dem steifleinenen Ingres konnte ich keinen Geschmack
abgewinnen. Umsomehr bezauberte mich der eben auf
der Höhe seines Ruhmes befindliche Winterhalter, an den
ich ebenfalls empfohlen war. Ter kleine schwarze Mann
mit dem blassen Teint und dem üppigen Lockenhaar nahm
mich freundlich auf und gestattete mir, ihn öfter zu be-
suchen, wo ich denn mit meinem ganz unreifen Geschmack
nie begreifen konnte, weshalb die Franzosen über seine
Erfolge in der vornehmen Welt immer die Nase rümpften.
Durch die heutigen Reklamemittel hat er sie jedenfalls
nicht errungen, dergleichen lag ihm ganz ferne. Im
Gegenteil war es vor allem die Leichtigkeit seines Schaffens
und sein feiner Geschmack für die modernste Eleganz,
welche ihm neben seinem an der Antike gebildeten Idealis-
mus die Frauen unfehlbar gewann. Es war überdies
so bequem und behaglich, ihm zu sitzen, denn auf die
Causerie verstand er sich vortrefflich. Und dabei waren
seine Frauenbildnisse immer ähnlich, angenehm schmeichelnd,
und nur die Männer gerieten ihm leicht fad. Indes ist
ihm auch hier Vortreffliches gelungen, wie sein Bild des

Grafen Jennison oder Louis Philipps selber. Hätte
nicht seine Farbe etwas so ganz modern Kühles und
Rosiges, Geschminktes gehabt, wie die all seiner Zeit-
genossen seit Gerard, so würden viele seiner Bilder sich
auch dauernd behaupten. Denke ich aber an den kolossalen
Atelier-Schwindel, der heute getrieben wird, so gab es
nichts Kahleres und Einfacheres als sein oder Delaroches
Werkstätte, deren einziger Luxus in einem Sopha und
Bodenteppichen bestand. Da hat denn doch die Reklame,
die man mit der fürstlich eingerichteten Werkstatt treibt,
seither sehr viel mehr Fortschritte gemacht, als die Treff-
lichkeit der Bilder selber. — Wenn man das Gute, was
frühere Zeiten hervorgebracht, der Gegenwart rühmen
will, die demselben fast immer mit kühler Gleichgültigkeit,
ja oft mit Verachtung und Widerwillen gegenübersteht,
kommt man sehr leicht in den Verdacht, zur Klasse der
„lanckatorss ternporis acti" zu gehören, die alles Alte
gut, das Neue schlecht finden. Wenn ich nun das da-
malige litterarische und künstlerische Frankreich dem heutigen
weit vorziehe, so blieb doch das schmutzige und übel-
riechende Paris selber ungeheuer weit hinter dem heutigen
so viel glänzenderen und selbst reinlicheren zurück, ob-
wohl auch dessen öffentliche Einrichtungen nur selten den
Vergleich mit denen Berlins aushalten.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)

Die Aufstellungen bon 1894 und die Kunst der Ankunft.

von Georg Fuchs.

icht um eine Prophetie willen — denn das wäre
unbescheiden und ohne guten Geschmack — nicht
darum lenke ich die Blicke nach der Zukunft, vielmehr,
um den höheren oder geringeren Wert des Gegenwärtigen
daran zu erproben: was es verspricht, wie es als
Werk eines Einzelnen eine Annäherung zur reinen
Aesthesie bedeutet, wie es als Gesamtheit auf ein Größeres,
Kommendes hoffen läßt. — So wenig man der exakten
Wissenschaft verbietet mit Hypothesen zu arbeiten, so
wenig darf man den Kunstpsychologen verhindern in
diesem Sinne sich auf die Zukunft zu beziehen, mehr
noch: es liegt ein zwingender Grund vor zur Annahme
einer ästhetischen Epoche, der wir zuströmen. Dieser
Grund ist Goethe, der, bisher fast vereinsamt und
wirkungslos, eines Tages zum befruchtenden Urquell
werden muß. — Wenn wir aber die wesentlichen
Grundzüge eines ästhetischen, das ist stilschaffenden
Zeitalters erkennen und als Maßstäbe gewinnen wollen,
so können wir die uns zeitlich am nächsten stehenden
Epochen: das Rokoko, die sogenannte „Renaissance", die
deutsche Kunst, von der Poesie des 12. Jahrhunderts
bis zu Dürer, hierzu nicht so unmittelbar verwenden,
als die Antike, vorzüglich die griechische Plastik.
Während die Geschichtsschreibung im höchsten Verstände,
das ist die Biologie des Geistes, auf jene erstgenannten
Sphären bisher nur stückweise Anwendung gefunden —
denn die großen Meister sind nur Gipfel, die „Schulen"
Register und Paradigmata, über welche der dem Bakel
des Lehrers entwachsene billig lächeln darf — hat
Heinrich von Brunn die Biologie der griechischen
Klassicität erschöpft. Man merkt: ich ziele auf die
„Griechischen Götterideale". Die plastische Verkörperung

des Ideals in der antiken Kunst besteht — und
das ist die grundlegende Abstraktion Brunns — „in der
organischen Entwickelung aller besonderen Formen
nach Maßgabe der einen, in welcher diejenige Idee,
welche im Geiste des Beschauers erweckt werden soll,
ihren dauernden Sitz hat oder gewissermaßen verkörpert
ist." Diese Idee kann rein Plastisch sein oder ein geistiges
Ideal. — Hiermit ist uns das Wesen des klassischen
Stiles offenbart, die Schleier sind von dem Geheimnis
gefallen, um welches sich die Meister, die Schulen, die
Traditionen im Kreise schließen wie eine Amphiktyonie
um das Götterbild. Aus diesem amphiktyonischen Leben
quillt in rhythmischen Pulsen das künstlerische Schaffen,
ihm ist kein Meister entzogen, auch nicht der größte,
selbst der kleinste empfängt Bedeutung, weil ihn der
mächtige Gesamtrhythmus ergriffen hat, welcher der
Träger der Tradition ist. Das schöpferische Individuum
wird unwillkürlich zur Entfaltung seiner höchsten Kräfte
getrieben, denn das, was man unter „Stoff" begreift,
existiert im amphiktyonischen Leben stilschaffender Zeit-
alter vom höchsten Range nicht. Wenige Göttergestalten
und einzelne Typen, die der Kult und das Gesamt-
empfinden der Gemeinschaft darbieten, sind dem Künstler
einzige Gelegenheit, seine selbsterschaffene Innenwelt zu
symbolisieren. Man erkennt daraus unmittelbar, daß
die äußerste Notwendigkeit zur stärksten Entwickelung und
Allentfaltung des Subjektiv-Schöpferischen vorliegt. Die
Aufgabe lautet nicht: füge zu tausend vorhandenen
Aphroditebildern das tausend und erste, sondern: deute
die Aphrodite neu, gieb unter dem Symbol des ideal-
schönen Frauenleibes etwas, was noch niemand gegeben
hat, was außer dir niemand geben kann! Das Wort
 
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