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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Relling, ...: Die Große Berliner Kunstausstellung, [3]
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Die Große Berliner Kunstausstellung.

325

Einfahrt. Von Earlos Gr et he.

Internationale Aunstausstellung ij895 des Vereins bildender Aünstler (Secession) zu München.

Die Grosze Berliner AunstauMellung.

III. Nachdruck verboten.

er amüsanteste Platz in dem ganzen weiten Aus-
stellungsgebäude ist der große, schöne Schaukel-
stuhl in dem Saale der Amerikaner. Selbst wenn dir
der Ärger über die Berliner Malerei noch so sehr die
Galle ins Blut getrieben hat, werden sich die Falten
auf deiner Stirn wieder glätten. Denn von diesem
Stuhl aus hat man nicht nur die entzückendste Auswahl
der amerikanischen Bilder vor Augen, sondern ein kleines
Schauspiel ganz besonderer Art, das einen nicht recht
erbaulichen Einblick in das Kunstinteresse unsres lieben
Publikums gewährt.

Mein geliebter Schaukelstuhl steht neben der offenen
Thür der französischen Abteilung, so daß man den
Leuten gerade ins Gesicht sieht, welche vor dem viel
genannten pikanten Bilde „Die Geldheirat" von dem
Pariser Genremaler Jose Frappa Halt machen.
Selbst die stumpfsinnigsten Gesichter der Ausstellungs-
besucher werden hier plötzlich wieder lebendig. Und
wodurch? Etwa durch die Zaubermacht der Kunst?
Durch eine schöne Symphonie von Farben oder durch
einen idealen zum Herzen sprechenden Gedanken? Ja,
wenn es das wäre! Dann sähe es um unser Kunst-
leben in Berlin besser aus. Dann würden die Leute
vor den Werken eines Eduard von Gebhardt, Hans
Thoma, Wilhelm Leibl, Franz Stuck, Albert Keller,
Graf Kalckreuth, Besnard, Jules Wenzel, Burne-Jones,
Millais, Guthrie, Lavery, Mesdag oder Alfred Stevens
und anderen großen Sternen unserer diesjährigen Aus-

') I. u. II. siehe in Heft 18 u, IS.

stellung in dichten Gruppen stehen bleiben. So hat
aber die kleine amüsant erzählte Anekdote von Jose
Frappa diesmal in Berlin den Vogel abgeschossen.
Man sehe nur das biedere Ehepaar, das dort heran-
kommt. Beim ersten Blick auf das Bild bleiben die
Gesichter natürlich genau ebenso dumm und gleichgültig
wie vorher. Der Philister muß bei jedem Bilde immer
zuerst im Katalog nachschlagen, was das Bild darstellt.
Aha, die Geldheirat! In der breiten, französischen
Bettstelle liegt das Ehepaar neben einander. Der
Mann schläft den Schlaf des Gerechten, während die
hübsche, lebhafte junge Frau dem schnarchenden Gesponst
den Rücken zudreht und sich nach einer anderen Welt
hinaussehnt — wo vielleicht etwas weniger geschnarcht
wird. Von den hohen künstlerischen Idealen der modernen
Franzosen ist in dem ganzen Bilde keine Rede. Aber
die verfängliche Indiskretion, mit der der Maler hier
den Schleier von dem intimen Leben einer modernen
Häuslichkeit lüftet, das ist es, was die Menge fesselt.
„Siehst du wohl"? ruft die Frau ihrem Manne zu,
indem sie ihn mit dem Ellenbogen anstößt. Dann
kommen ein paar junge Mädchen; zuerst blicken sie ver-
schämt weg. Aber es dauert nicht lange; dann fangen
sie an zu kichern, und schließlich sieht man, wie sie lang-
sam zurückkommen, um an allen Einzelheiten dieses ehe-
lichen Schlafgemachs ihre Wißbegierde zu befriedigen.
Wer nur ein Weilchen von meinem lieben amerikanischen
Schaukelstuhl diese Szenen beobachtet, Montags am
Elitetage, wenn Berlin VV. sich hier ein Stelldichein
giebt, und Sonntags, wenn Schuster und Schneider
 
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