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Brauer, Ludolph [Hrsg.]; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht [Hrsg.]; Meyer, Adolf [Hrsg.]
Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (2. Band) — Hamburg: Paul Hartung Verlag, 1930

DOI Artikel:
Herzog, Reginald Oliver: Das Kaiser Wilhelm-Institut für Faserstoffchemie
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https://doi.org/10.11588/diglit.57254#0278

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DAS KAISER WILHELM-INSTITUT FÜR
FASERSTOFFCH EM IE
Von
Professor Dr. REGINALD OLIVER HERZOG
Direktor des Kaiser Wilhelm - Instituts für Faserstoffchemie, Berlin-Dahlem
DIE Rohstoffnot im Weltkriege hat die Ungleichartigkeit der Leistungsfähigkeiten
in den verschiedenen Zweigen der Technik den Stellen nahegebracht, deren
Aufgabe die Versorgung der Bevölkerung und des Heeres mit dem Lebensnotwendi-
gen gewesen war. Während z. B. die chemische Industrie völlig neuartige An-
sprüche befriedigen konnte, war das Versagen dort am größten, wo biologische
Rohstoffe verwendet werden, wie bei der Verarbeitung der natürlichen Textilfasern,
der tierischen Haut usw. Die aus solchen uralten Gewerben hervorgegangenen
Industrien haben heute insoweit den Vergleich mit der allgemeinen technischen
Entwicklung nicht zu scheuen, als sie sich der Maschinen-, der elektrotechnischen
oder der chemischen Industrie bei den Veredelungsarbeiten bedienen; nicht ge-
lungen ist es aber, in gleichem Maße die Rohstoffeigenschaften mit wissenschaft-
lichen Methoden zu beherrschen. Lange Zeit erschien das biologische Rohmaterial
den Methoden des organischen Chemikers nicht zugänglich, und in weitem Um-
fange ist dies auch heute noch so geblieben. Und ebenso fehlten die physikalischen
und physikalisch-chemischen Mittel, um die geometrische Feinstruktur und die da-
mit zusammenhängenden physikalischen Eigenschaften zu erschließen, auf denen
die Verwendung des Holzes, der Textilien, der tierischen Haut beruht.
Gekennzeichnet ist dieser Zustand unzulänglichen Wissens dadurch, daß die
Technischen Hochschulen Abteilungen für Elektrotechnik und Chemie besitzen,
aber nur ausnahmsweise und dann im unzulänglichen Umfange eine solche für
Textilindustrie, obwohl in Deutschland das Verhältnis der Produktionswerte dieser
Industrien etwa 1 : 2 : 3 ist (die erste Zahl ist etwas zu klein, die zweite etwas zu
groß), die Zahl der in der Textilindustrie (ausschließlich der Bekleidungsindustrie)
beschäftigten Personen etwa drei- bis viermal so groß ist als die in den beiden
anderen Industrien.
Die neu entstandenen Industrien erlahmen nicht in der Initiative für die Förde-
rung der Wissenschaft, während die Tradition älterer Gewerbe eher zu einer ent-
gegengesetzten Stellung geneigt ist. Mittel für Forschungsstätten, zumal im all-
gemeinen Interesse, werden in großem Maßstabe eher von jenen als von diesen auf-
gebracht.
Als die Sorge um die technische Leistung solche Vergleiche auf drängte, hoffte
man, durch Begründung von Forschungsinstituten den Übergang von dem durch
die Empirie geleiteten Gewerbe zur Technik, deren Leistung auf wissenschaftlicher
Beherrschung beruht, zu beschleunigen. Diesem Ziele können Institute von ver-
schiedenem Typus dienen. Einen solchen bildeten z. B. Laboratorien für Industrien,
in denen es dem einzelnen industriellen Unternehmen an wissenschaftlich geschul-
ten Kräften fehlt.
Die Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften hat nicht
ein ,,Textilinstitut“, sondern ein Institut für Faserstoff chemie gegründet. Dies ent-

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