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Brauer, Ludolph [Hrsg.]; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht [Hrsg.]; Meyer, Adolf [Hrsg.]
Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (2. Band) — Hamburg: Paul Hartung Verlag, 1930

DOI Artikel:
Saxl, Fritz: Die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.57254#0371

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DIE KULTURWISSENSCHAFTLICHE BIBLIOTHEK
WARBURG IN HAMBURG
Von
Professor Dr. FRITZ SAXL
Privatdozent an der Hamburgischen Universität
DIE Bibliothek Warburg ist sowohl Bibliothek wie Forschungsinstitut. Sie dient
der Bearbeitung eines Problems, und zwar so, daß sie erstens durch Auswahl,
Sammlung und Anordnung des Bücher- und Bildmaterials das Problem, das sie
fördern will, darstellt und zweitens die Resultate der Forschungen, die sich auf
dieses Problem beziehen, veröffentlicht.
Das Problem ist das vom Nachleben der Antike. Die europäischen wie die
vorderasiatischen Kulturen der christlichen Zeit haben das Erbe an geprägten For-
men, das die Antike hinterließ, übernommen, und zwar auf allen Gebieten, sei es in
der Kunst, sei es in den Naturwissenschaften oder auf dem Gebiet der religiösen und
literarischen Formen. Unsere Aufgabe ist einmal, die geschichtlichen Tatsachen der
Überlieferung zu untersuchen, die Wanderstraßen der Tradition aufzuzeigen, und
zwar so allseitig als möglich, dann aber aus solcher Erkenntnis allgemeine Schlüsse
auf die Funktion des sozialen Gedächtnisses der Menschheit zu ziehen: Welcher
Art sind die von der Antike geprägten Formen, daß sie nachleben? Warum kommt
es in bestimmten Zeiten zu der Erscheinung einer „Renaissance“ der Antike,
während andere Epochen, denen dasselbe Bildungserbe eignet, es nicht zu ihrem
lebendigen Besitz machen?
Solche Betrachtungsweise der nachklassischen Perioden führt einerseits an das
zentrale Problem der Kulturgeschichte des Mittelmeerbeckens und des westlichen
Europas heran, andererseits an das allgemeine geschichtsphilosophische Problem
der Prägung von gesteigerten und daher nachwirkungsfähigen Ausdrucksformen
durch die klassische Antike sowie des zeitweiligen Auftauchens und Wiederver-
schwindens dieser Formen im Mittelalter und Neuzeit bis zu unsern Tagen. Eine
Bibliothek, die sämtliche Bücher zur Bearbeitung dieses Problems besäße, müßte den
Umfang des British-Museums haben. Denn fast jedes Werk eines mittelalterlichen
Autors, eines Juristen des 19. Jahrhunderts oder naturwissenschaftlichen Schrift-
stellers der Renaissance läßt sich nutzvoll daraufhin betrachten, welche antiken
Elemente darin verarbeitet sind und wie deren Verarbeitung erfolgt. Immer wird
solche Untersuchung gleiches Licht auf die Wege der klassischen Tradition wie auf
das Neue werfen, zu dessen Erhellung überlieferte Formeln verwendet werden.
Aber nicht alle Epochen werden sich dieser Betrachtungsweise als gleich er-
giebig erweisen, da das von ihr in den Blickpunkt gerückte Problem für einige von
ihnen ein zentrales Problem darstellt, für andere ein bloß peripheres. Schon daher
kann es die Aufgabe der Bibliothek Warburg nicht sein, mit den universellen Biblio-
theken in der Vollständigkeit der Bücherbestände zu wetteifern. In der Bevor-
zugung derjenigen Zeiten und Gebiete, in denen das Nachleben der Antike besondere
kulturgeschichtliche Bedeutung gewinnt, in der entsprechenden Benachteiligung
derjenigen Epochen, in denen diese Bedeutung zurücktritt, wird sie die durch die
Wahl ihres Problems ihr auferlegte Schranke erkennen müssen. Die Philosophie
der Hochscholastik muß in ihr wesentlich schlechter vertreten sein als die des

II, 23.

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