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Brauer, Ludolph [Hrsg.]; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht [Hrsg.]; Meyer, Adolf [Hrsg.]
Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (2. Band) — Hamburg: Paul Hartung Verlag, 1930

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Pollock, Friedrich: Das Institut für Sozialforschung an der Universität Frankfurt am Main
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https://doi.org/10.11588/diglit.57254#0363

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DAS INSTITUT FÜR SOZIALFORSCHUNG AN DER
UNIVERSITÄT FRANKFURT AM MAIN
Von
Dr. FRIEDRICH POLLOCK1
Privatdozent an der Universität Frankfurt am Main
I.
UBER das Problem einer Umgestaltung der Gesellschaftsordnung war vor 1918 in
Deutschland wenig wissenschaftlich diskutiert worden. Eine gründliche wissen-
schaftliche Auseinandersetzung mit den Kritikern der bürgerlichen Gesellschafts-
ordnung und den sozialistischen Vorschlägen zu ihrer Umgestaltung lag nicht vor.
Nun stand im Jahre 1918 der Sozialismus in seiner marxistischen Form plötzlich
im Mittelpunkt des leidenschaftlichen Interesses. Wenn von den Nachkriegsjahren
gesagt wird, daß sie für die nationalökonomischen Laien ein praktischer Lehrgang
über verwickelte Probleme der Preis-, Geld- und Außenhandelstheorie gewesen
seien, so gilt das noch viel mehr für die schwierigen und unübersichtlichen Fragen
der Grundlagen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Aber während die
Diskussionen über Inflation und Valuta insofern wenigstens zu einem praktischen
Ergebnis geführt haben, als heute jeder junge Student der Nationalökonomie lernt,
wie die Stabilisierung einer Währung durchzuführen ist, läßt sich von der massen-
haften Literatur über Sozialisierung, Gemeinwirtschaft usw. nichts Analoges sagen.
Die gesellschaftlichen Erfahrungen der Revolutionsjahre in Deutschland und an-
derswo wurden nur zum geringsten Teil wissenschaftlich gesichtet, und die Klagen
über die geringen Ergebnisse jener Erörterungen sind allgemein.
Daß die Universitäten allein nicht in der Lage sind, sich eindringlich genug mit
den durch die Revolution neu gestellten Fragen nach der Grundstruktur der bürger-
lichen Gesellschaft auseinanderzusetzen, wurde bald nach dem Umsturz sichtbar.
Es zeigten sich auch hier in jenen Jahren mit besonderer Schwere die Nachteile der
im Geiste Wilhelm v. Humboldts eingeführten engen Verbindung von Forschung
und Lehre an den Universitäten. Die Nachkriegsjahre brachten allen deutschen
Universitäten und vor allem den nationalökonomischen Fakultäten eine bisher un-
erreichte Zahl von Studenten. Infolgedessen wurden die akademischen Lehrer mit
Lehr- und Prüfungsverpflichtungen derartig in Anspruch genommen, daß sie
weniger Zeit als je zur Durchführung ihrer Forschungsaufgaben hatten. Hier liegt
einer der Gründe, warum die Beteiligung der offiziellen deutschen Wissenschaftler
an der Bewältigung der strittigen gesellschaftlichen Probleme relativ schwach ge-
wesen ist und ihr Einfluß auf die Klärung der Streitfragen nur sehr gering blieb.
Aus dieser Überlastung der akademischen Lehrer wird es zum Teil verständlich,
daß die seltsamsten Meinungen sich lange Zeit breitmachen konnten, ohne auf eine
ernsthafte Kritik zu stoßen, und daß tiefere Einsicht in die gesellschaftlichen
Zusammenhänge fehlte. In jenen Jahren mußte die Wissenschaft eine Zeitlang
wegen ihrer mangelnden Vorbereitung und der Überlastung mit Tagesarbeit der
Pseudowissenschaft, der Phrase und der politischen Demagogie das Feld räumen.
1 Im Auftrag des erkrankten Direktors, Professor C. Gruenberg.

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