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Brauer, Ludolph [Hrsg.]; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht [Hrsg.]; Meyer, Adolf [Hrsg.]
Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (2. Band) — Hamburg: Paul Hartung Verlag, 1930

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Horneffer, Ernst: Die Stellung der Wissenschaft in Geschichte und Gegenwart
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https://doi.org/10.11588/diglit.57254#0015

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DIE STELLUNG DER
WISSENSCHAFT IN GESCHICHTE UND GEGENWART
Von
Dr. ernst horneffer
a. o. Professor der Philosophie an der Universität Gießen
UNTER den geistigen Werten hat die Wissenschaft in dem Verbände des mensch-
lichen Lebens von jeher eine unsichere, fragwürdige Stellung eingenommen.
Religion und Kunst reichen bis in die fernsten Anfänge menschlichen Daseins
zurück. Mögen ihre Erzeugnisse zuletzt auch dem Schaffensdrange einzelner ent-
stammen, sofort stoßen sie auf einen sozialen Widerhall. Sie werden von der
genossenschaftlichen Umwelt aufgenommen und getragen. Ganz anders die Wissen-
schaft. Sie ist das Werk einer sehr viel späteren Zeit, da die allgemeine Kultur bereits
einen hohen Stand erreicht hat. Und sie ist in viel höherem Grade als die anderen
geistigen Schöpfungen der selbständigen, unabhängigen Betätigung einzelner, be-
stimmter Persönlichkeiten entsprungen, ist in viel bedeutsamerem Sinne eine Frucht
des Individualismus, der eine reiche Entfaltung der menschlichen Kräfte voraus-
setzt. Nicht auf Widerhall, Zustimmung, Bewunderung kann die wissenschaftliche
Arbeit rechnen, sondern sie muß im Gegenteil auf Widerstand und Ablehnung
gefaßt sein. Der kühne Forscher hebt sich aus den allgemeingültigen und anerkann-
ten Vorstellungen heraus, setzt sich mit diesen in Widerstreit. Dadurch entsteht eine
Spannung zwischen ihm und der Gemeinschaft. Er wird von dieser in seinen Be-
strebungen und Leistungen nicht gehoben und gefördert, sondern wird mit offen-
barem Mißtrauen betrachtet und oft genug gehemmt und gestört. Darauf beruht die
schwierige Stellung der Wissenschaft im menschlichen Leben. Sie war auch nach
ihrem Entstehen noch lange Zeit heimatlos, war noch nicht im Bewußtsein der
Allgemeinheit verankert, und auch jetzt noch sucht sie nach sicherem Halt und
fester Grundlage, um ihre hohe Aufgabe vollbringen zu können.
Schon im ersten Bande dieses Werkes sind geschichtliche Betrachtungen über
die äußere Stellung und Organisation der Wissenschaft innerhalb des Gesamtlebens
entworfen worden. Mit kurzen Andeutungen muß ich auf die Geschichte der
äußeren Form der Wissenschaft zurückgreifen, um die gegenwärtige Lage und die
daraus erwachsenden Aufgaben zu kennzeichnen.
Die Wissenschaft als Erforschung der Wahrheit um ihrer selbst willen ist ein
Werk der Griechen, die eben damit wie mit allen anderen Kulturleistungen ihre
wunderbare, ewig staunenswürdige Begabung bewiesen haben. Die ältesten Denker
aber lebten und schufen in völliger Einsamkeit. Es scharten sich um sie wohl
wenige ältere und jüngere Männer, die von ähnlichem Wissensdrange beseelt waren.
Aber auf das allgemeine Leben übten sie nicht den geringsten Einfluß aus. Allein
der Pythagoreische Bund hat einen solchen Einfluß angestrebt und erreicht, aber
nicht dank seiner wissenschaftlichen Ideen, sondern auf Grund seiner praktisch-
politischen Ziele. Erst die Sophisten haben im griechischen Kulturleben die Wissen-
schaft und wissenschaftliche Bildung zu einer sozialen Angelegenheit erhoben,
haben sie zu einer Sache der allgemeinen Bildung gemacht. Die Vorstellung von
den Sophisten in der geschichtlichen Nachwelt ist bis auf den heutigen Tag durch

Forschungsinstitute II, 1.

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