DAS FORSCHUNGSINSTITUT
FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN IN KÖLN
Von
Geheimrat Professor Dr. iur., Dr. phil., Dr. rer. pol. h. c.
CHRISTIAN ECKERT, Köln
Wie andere deutsche Großstädte, hat Köln an Stelle seiner alten, 1388 gegründeten,
1797 von den Franzosen geschlossenen Universität zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts aus eigener Kraft akademische Forschungs- und Lehreinrichtungen
geschaffen. Die erste selbständige Handelshochschule Deutschlands, ihr angegliedert
eine Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung, daneben die Akademie
für praktische Medizin sind in der zweitausendjährigen Stadt schnell hinterein-
ander seit 1901 eröffnet worden. Nachdem die nächstliegenden pädagogischen Auf-
gaben dieser Fachhochschulen gelöst werden konnten, zugleich deren Ausgestaltung
zu einer neuartigen Universität infolge des Widerstandes der preußischen Staats-
regierung sich hinauszögerte, ging Köln daran, für wissenschaftliche Untersuchun-
gen eine weitere Arbeitsstätte einzurichten. In Ergänzung, nicht zum Ersatz bereits
bestehender deutscher Anstalten, sollte auch in Köln, in Fühlungnahme mit den hier
schon eingerichteten Hochschulen, ein Forschungsinstitut ins Leben treten. Es hatte
die wissenschaftlichen Zielrichtungen zu erweitern, die an den neugegründeten
Hochschulen bis dahin hauptsächlich gepflegt worden waren, sollte lebensnahen,
vom Wesen der Zeit berührten Aufgaben seine Aufmerksamkeit schenken. 1917
hatte man zunächst in Kölner Hochschulkreisen daran gedacht, weltwirtschaftliche
Probleme in einem Forschungsinstitut zu fördern. Schon vor Beendigung des Welt-
krieges kam aber die Idee zum Durchbruch, daß die wachsende Problematik des
sozialen Lebens, wie sie gerade in der Großstadt deutlich vor Augen tritt, wissen-
schaftliche Durchforschung dringend benötige. Auf Anregung des Oberbürger-
meisters Dr. Adenauer legte ich zu Beginn des Jahres 1918 der Stadtverwaltung
eine Denkschrift über die Einrichtung eines Forschungsinstituts für Sozialwissen-
schaften vor. Ich wies auf die Hauptprobleme hin, die bei Wiederkehr friedlicher
Zustände gelöst werden müßten und führte aus, daß Änderungen bestehender Zu-
stände unvermeidlich kommen würden. Frage sei, ob wir vor einer völligen Neu-
gestaltung der Gesellschaftsordnung stünden, oder ob wir uns mit einem Umbau
begnügen könnten, ob wir mit Reformen auskämen oder dem völligen Umsturz des
Bestehenden entgegensehen müßten. Richtlinien des großen sozialen Umbaues galt
es aufzuzeigen, den jeder statt der völligen Verneinung, statt des rücksichtslosen
Umsturzes überlieferter Zustände anstreben muß, soweit er Sinn für historisch Ge-
wordenes hat und weiß, daß der Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung neben
Überlebtem auch vieles von dem vernichtet, was erhaltungs- und entwicklungs-
fähig ist. Daher, so schien es mir, gehöre zu den drängendsten Aufgaben wissen-
schaftlicher Forschung, neue, tiefer dringende Einblicke in die Voraussetzungen
für die Umgestaltung und Wandlungen der sozialen Verhältnisse zu gewinnen.
Jeder, der seine Kräfte für Verbesserung des Überkommenen einsetzen will, bedarf
dazu einer wirklichen Einsicht in die Gesetze wie Formen des gesellschaftlichen Zu-
Forschungsinstitute II, 19.
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FÜR SOZIALWISSENSCHAFTEN IN KÖLN
Von
Geheimrat Professor Dr. iur., Dr. phil., Dr. rer. pol. h. c.
CHRISTIAN ECKERT, Köln
Wie andere deutsche Großstädte, hat Köln an Stelle seiner alten, 1388 gegründeten,
1797 von den Franzosen geschlossenen Universität zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts aus eigener Kraft akademische Forschungs- und Lehreinrichtungen
geschaffen. Die erste selbständige Handelshochschule Deutschlands, ihr angegliedert
eine Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung, daneben die Akademie
für praktische Medizin sind in der zweitausendjährigen Stadt schnell hinterein-
ander seit 1901 eröffnet worden. Nachdem die nächstliegenden pädagogischen Auf-
gaben dieser Fachhochschulen gelöst werden konnten, zugleich deren Ausgestaltung
zu einer neuartigen Universität infolge des Widerstandes der preußischen Staats-
regierung sich hinauszögerte, ging Köln daran, für wissenschaftliche Untersuchun-
gen eine weitere Arbeitsstätte einzurichten. In Ergänzung, nicht zum Ersatz bereits
bestehender deutscher Anstalten, sollte auch in Köln, in Fühlungnahme mit den hier
schon eingerichteten Hochschulen, ein Forschungsinstitut ins Leben treten. Es hatte
die wissenschaftlichen Zielrichtungen zu erweitern, die an den neugegründeten
Hochschulen bis dahin hauptsächlich gepflegt worden waren, sollte lebensnahen,
vom Wesen der Zeit berührten Aufgaben seine Aufmerksamkeit schenken. 1917
hatte man zunächst in Kölner Hochschulkreisen daran gedacht, weltwirtschaftliche
Probleme in einem Forschungsinstitut zu fördern. Schon vor Beendigung des Welt-
krieges kam aber die Idee zum Durchbruch, daß die wachsende Problematik des
sozialen Lebens, wie sie gerade in der Großstadt deutlich vor Augen tritt, wissen-
schaftliche Durchforschung dringend benötige. Auf Anregung des Oberbürger-
meisters Dr. Adenauer legte ich zu Beginn des Jahres 1918 der Stadtverwaltung
eine Denkschrift über die Einrichtung eines Forschungsinstituts für Sozialwissen-
schaften vor. Ich wies auf die Hauptprobleme hin, die bei Wiederkehr friedlicher
Zustände gelöst werden müßten und führte aus, daß Änderungen bestehender Zu-
stände unvermeidlich kommen würden. Frage sei, ob wir vor einer völligen Neu-
gestaltung der Gesellschaftsordnung stünden, oder ob wir uns mit einem Umbau
begnügen könnten, ob wir mit Reformen auskämen oder dem völligen Umsturz des
Bestehenden entgegensehen müßten. Richtlinien des großen sozialen Umbaues galt
es aufzuzeigen, den jeder statt der völligen Verneinung, statt des rücksichtslosen
Umsturzes überlieferter Zustände anstreben muß, soweit er Sinn für historisch Ge-
wordenes hat und weiß, daß der Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung neben
Überlebtem auch vieles von dem vernichtet, was erhaltungs- und entwicklungs-
fähig ist. Daher, so schien es mir, gehöre zu den drängendsten Aufgaben wissen-
schaftlicher Forschung, neue, tiefer dringende Einblicke in die Voraussetzungen
für die Umgestaltung und Wandlungen der sozialen Verhältnisse zu gewinnen.
Jeder, der seine Kräfte für Verbesserung des Überkommenen einsetzen will, bedarf
dazu einer wirklichen Einsicht in die Gesetze wie Formen des gesellschaftlichen Zu-
Forschungsinstitute II, 19.
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