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Brauer, Ludolph [Hrsg.]; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht [Hrsg.]; Meyer, Adolf [Hrsg.]
Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (2. Band) — Hamburg: Paul Hartung Verlag, 1930

DOI Artikel:
Pender, Herdman R.: Wissenschaftliche Forschung und Forschungsinstitute in England
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https://doi.org/10.11588/diglit.57254#0565

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stellt, absolut ähnlich. Der Unterschied besteht darin, daß die Konvention göttlicher
Autorität entbehrt und sich daher innerhalb gewisser Grenzen, je nach Orts- und
Zeitbedingungen, ändern kann. Für die Mode sind zwar schneller Wechsel und
willkürliche Entscheidungen kleinerer Gruppen charakteristisch, aber das im Grunde
wirkende Prinzip ist hier das gleiche wie bei den religiösen und gesellschaftlichen
Dogmen. Es ist dem Grundprinzip der Wissenschaft diametral entgegengesetzt.
Der Gegensatz zwischen den beiden Arten des Wissens kann noch schärfer an
ihren Methoden — Offenbarung und Forschung — erkannt werden.
Was ist, genau genommen, Offenbarung?
Eine erschöpfende Beantwortung dieser Frage würde zu weit führen, aber man
kann kurz sagen, daß Offenbarung die Schöpfung von gewissen Ideen und Werten
bedeutet. In der Offenbarung schafft sich die Kultur ein System von Wahrheiten und
verpflichtet ihre Mitglieder darauf. Es ist verbindlich für sie in dem Maße, in dem
die Kultur Autorität über ihre Gläubigen besitzt. Eine solche Offenbarungswahrheit
bedarf zu ihrer Rechtfertigung nicht der bestätigenden Erfahrung ihrer Anhänger.
Sie wird nicht durch die äußere Welt der Tatsachen begrenzt. In gewissen Fällen,
wo sie etwa einem praktischen Zweck der Gruppe dient (wie beim Ackerbau), ist sie
vielleicht objektiv genau und stimmt mit den Naturgesetzen überein; in andern
Fällen, wo sie mehr Wesensausdruck der Gruppe selbst ist, läßt sie entweder die
Tatsachen der äußeren Welt völlig außer acht (wie beim Begriff der Trinität) oder
leugnet sie ganz und gar (wie im Dogma von der Transsubstantiation). Die geoffen-
barte Wahrheit stellt daher vielmehr den Selbstausdruck der Gruppe dar als eine
Formel für die Weltordnung. Wenn man es so betrachtet, wird es klar, daß Dogma,
Konvention und Mode als Formen des Wissens hinsichtlich ihrer geistigen Grund-
lagen identisch sind. Ob es sich um Dogmen von der Trinität oder Transsubstan-
tiation handelt oder um die Überzeugung, daß Hosen das gegebene Kleidungsstück
für Männer und Röcke für Frauen sind, oder um das vage Gefühl, daß Kniehosen
doch die geziemendste Kleidung bei Hofe sind — es sind Glaubenssätze, welche die
Gruppe ihren Gliedern bei Strafe des Ausschlusses auferlegt. Sie sind bindend je
nach dem Maße von Autorität, das die Gruppe genießt, und sind in erster Linie
charakteristisch für die Eigenart der Gruppe, sei sie eine Kulturgemeinschaft oder
nur eine elegante Clique.
Die Forschung dagegen beginnt bei dem Individuum und seiner besonderen
Reaktion auf eine Reihe von Tatsachen. Der Forschungstrieb scheint ein Verlangen
des Individuums zu sein, entweder aus innerer Kraft oder, was vielleicht häufiger
ist, weil seine Wünsche durchkreuzt wurden, seine eigene Macht zu verstärken und
sich so gegen die Gruppe zu behaupten. Daher werden alle solche Strömungen zu-
nächst von der Gruppe durchweg als Übel verurteilt. In unserer westeuropäischen
Kultur wurden die frühesten Versuche in dieser Richtung als schwarze Magie und
Alchimie gebrandmarkt. Das sind natürlich extreme Formen dieser Tendenz des
Individuums, zu einer Wissenschaft zu gelangen, die ihm eine absolute Macht über
die äußere Welt verleihen sollte, eine größere Macht, als das jeweilige Kultur-
system selbst besaß. Sie sollte dem Individuum die Überwindung des Todes sichern
und die Verwandlung der unedlen Metalle in Gold, das anerkannte Symbol der
Macht. Die Gruppe, die beansprucht, allmächtig zu sein, muß die Beschränkungen
ihrer Macht durch die äußeren Tatsachen „wollen“. Diese Allmacht in Frage zu

II, 35.

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