Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

DOI chapter:
Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0038

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
belin“, ſagte er entſchloſſen. „Eure Tochter iſt ſchön,
iſt ficherlich auch gut; ein glücklicher Mann wird es
ſein, der einen ſo lieben Eheſchatz heimführt. Allein ich
kann dieſer Mann nicht ſein. Werde darum ihren
Pfad nie wieder mit Abſicht kreuzen und meine Augen
nicht auf ihr verweilen laſſen, wenn ich ihr zufällig be-
gegne. Verſteht Ihr mich?“
Sie ſchaute ihn groß und ſeltſam an, daß er wohl
an ihrem Verſtändniß zweifeln mußte. „Und nun ge-
habt Euch wohl “.
Beide hatten nahezu den Schönhof erreicht, wo er
Herberge genommen. Nach dem Abſchiedswort beſchleu-
nigte er ſeinen Schritt.
Allein ſie blieb nicht zurück, hielt ſich vielmehr an
ſeiner Seite und ſchrie faſt auf, drohend, verzweiflungs-
voll: „Ein Spiel alſo? Das ſollt Ihr mir bezahlen.
Jetzt verſtehe ich Euch! Weiß, woher Ihr mir bekannt
vorkommt. Haben uns ſchon geſehen in Groß⸗Wolters-
dorf, obgleich Ihr damals andere Kleidung —“
„Schweigt!“ herrſchte er ſie in zwar unterdrücktem,
doch ſo finſterem Tone an, daß ſie unwillkürlich zuſam-
menfuhr. Wohl ſchwieg ſie nicht, vermochte ihre maß-
loſe Aufregung nicht zu unterdrücken, allein die Stimme
ſenkte ſich doch ein wenig, ſo daß ihre Unterhaltung
nicht durch den lauten Ton bei den Vorübergehenden
Aufſehen verurſachte. „Alſo der, der galt es, ſchleichet
Ihr nach? Hahaha! In Wahrheit ein hohes Spiel
für einen armen Magiſter. Aber nehmt Euch in Acht
daß Ihr Euch die Flügel nicht verbrennt — die iſt für-
Euresgleichen nicht, wird ſich wohl hüten, zu Euch —
herabzuſteigen. Und ſelbſt, wenn ſie es wollte, würde
ich ſie daran hindern. Ja, ich! Und — —“ ſie brach
ab. Sein oft von einem übermüthigen Lächeln über-
hauchtes Geſicht hatte ſich in einer Weiſe verändert, daß
ſelbſt ſie in ihrer an Geiſtesſtörung grenzenden Heftig-
keit ſich davor entſetzte. Die dunkeln Augen flammten
ſo drohend, die verzerrten Züge verriethen einen ſolchen
Grad heſtiger Leidenſchaften: Wuth, Jähzorn, Rachgier,
daß er gar nicht mehr als derſelbe Menſch, ja kaum
als Menſch erſchien. Der Ausdruck hatte etwas Dä-
moniſches.
Eine Secunde bohrte er noch ſchweigend ſeinen fun-
kelnden Blick in den ihrigen. Dann ſchlug er den
Mantel empor, wie es die Leidtragenden bei Begräbniſſen
zu thun pflegten, wandte ihr den Rücken und verſchwand
in dem Gaſthofe.
Zuerſt begab er ſich
Knecht zur Eile beim Satteln der Pferde und ſuchte da-
bei ſeine Aufregung nie derzuringen. Doch noch ſpäter
blickte Joſt etwas ſcheu und verwundert auf ſein blaſſts,
verſtörtes Geſicht und wagte kein Wort zu ſagen, kannte
er doch ſeine leiden ſchaftliche Heftigkeit. In wenigen Mi-
nuten ſchon hatten ſie die Herberge hinter ſich und bald
auch die Mauern und Thore der Stadt. Joſt warf
einen Blick nach der Schmiede am Reichenbacher Thurm,
in der heute ſonntägliche Stille herrſchte, ſein Begleiter
nicht. Er war ſichtlich von widerſtreitenden Gefühlen

nech dem Stall, trieb barſch den

und Gedanken ſo eingenommen, daß er guf nichts achtete

und faſt einen Bürger über ven Hanſen geritten hätte,

der ihnen bei den Radeläuben, zwiſchen dem inneren und
äußeren Thor entgegenkam und nicht ſchnell genug auswich.
Die Kerbelin ſchwankte nach Hauſe. Benigna zog
eben das neue Mieder aus, ein Geſchenk der alten En-
gernſteinin, das ſie jedesmal anlegte, wenn ſie die gütige
Geberin beſuchte. Ihre weißen Schultern waren ent-
blößt. Auf der linken befand ſich eine kleine Narbe.
Raſch warf ſie das Tuch über. Sie wußte ſich nicht
zu beſinnen, wovon die Narbe herrühre — beſaß die-
ſelbe, ſeitdem ſie denken konnte — wohl aber, daß die
Mutter früher auf ihre von kindlicher Neugier eingege-
benen Fragen nicht geantwortet hatte, darüber entweder
zornig oder betrübt geworden, auch ſpäter ſtets durch
den Anblick der Narbe in Aufregung gerathen war. Da
ſie wahrſcheinlich von einer Verwundung herrührte, meinte
das Mädchen, die Geſchichte ſtehe im Zuſammenhang
mit dem traurigen Ende des Vaters, der von auſſtändi-
ſchen Bauern erſchlagen worden, weil er, obgleich dem
niederen Bürgerſtande angehörend, doch zum Adel gehal-
ten hatte. Genau kannte ſie die Geſchichte nicht und
überhaupt Niemand. Die Wittwe hatte es niemals über
ſich vermocht, ſie zuſammenhängend zu erzählen und ward
unruhig, wenn die Rede auf jene Zeit kam. Allein ſo
viel hatte Benigna doch erfahren und errathen, daß auch
die Mutter und ſie ſelber damals in großer Gefahr ge-
weſen; in noch größerer Frau von Vohtal mit ihrem
Kinde. Die unglückliche Tochter des Engernſteinſchen
Hauſes war in Folge dieſer Schreckniſſe erkrankt und
geſtorben. ö
So widerwärtig war übrigens der Leineweberwittwe
jede Erörterung, die etwa durch das Erinnerungszeichen
an die ſchreckenvolle Vergangenheit hervorgerufen werden
konnte, da ſie ſchon vor vielen Jahreu, als Benigna noch
ein Kind, ihr in einem Anfall ihrer gewöhnlichen Heftig-
keit ſtreng verboten hatte, die Narbe Jemand zu zeigen
oder davon auch nur zu reden, weder zu ihr, noch zu
Andern. Deßhalb beeilte ſich denn das Mädchen, das

unglückliche Zeichen zu bedecken.

Zu ſpät. Die graublauen Augen hafteten auf der

Schulter, als ſchauten ſie durch das Tuch hindurch. Auch

hätte es des äußeren Merkzeichons nicht bedurſt — die
Vergangenheit war ohnehin lebendig genug geworden in
ihrem Herzen. Dazwiſchen miſchten ſich jedoch auch Zu-
kunftspläne, wie ſchon ihre nächſten Worte andeuteten.
„Nicht das elende Zeug — es war Thorheit von mir,
daß ich Dich's bisher tragen ließ.“ Sie legte die Hand
auf das Alltagswams, hinderte ſo Benigna, es auzu-
ziehen. „Vergieb mir, daß ich Dich in ſolcher Dürftig-
keit aufwachſen und leben ließ. Es ſoll künftig anders
werden. Du kannſt Dich auch ſchmücken, wie es Deiner
Schönheit gebührt. Die Leute dürfen nicht denken, daß
Du ſo arm biſt, wie ſie meinen. Du biſt es nicht, ſo-
bald ich es will, ſobald Du es willſt“⸗
Benigna blickte ſie an. „Aber liebe Mutter —“
„Guk, daß ich nichts davon geſagt habe, daß fie nicht
 
Annotationen