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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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herausgeſtürzt und hatte die Pforte geſchloſſen. Beim
Klang der Löwenpfeife war alle Muftk verſtummt; in
der jetzt eintretenden Stille machte Eugelbrechta's Hilfe-
ruf ſich doppelt vernehmbar. Fackeln tauchten auf —
zunächſt am Thurm, an der Wärterwohnung. Maskirte
und unmaskirte Leute ſtürmten herbei, allen voran der
Magiſter Engernſtein.
Dieſer hatte das Schwert gezogen, ohne welches kein
Mann auszugehen pflegte. Das Licht der nahenden
Fackeln fiel auf den Reiter, der gleichfalls ſeine Waffe
zog. Engelbrechta trat möglichſt in den Schatten zurück.
Die Schwerter kreuzten ſich, zugleich fiel Jemand dem
Pferde in den Zügel ö
Thymo ſetzte die Sporen ein, Sigismund taumelte,
ſinkt zu Boden und die andern Herbeieilenven ſtieben
aus einander. Dahin jagt Jener, in die Stadt hinein,
da das äußere Thor geſchleſſen, er hier abgeſperrt iſt.
Hinter ihm Geſchrei — Verfolgung! Der Thürmer
oben gibt eben ein Signal, der Hüter des Reichenbacher
innern Thors will, da er nicht weiß was vorgeht, wie
immer in ſolchen Fällen ſperren — im litzten Moment
paſſirt es noch der Reiter, ehe das Fallgatter herab-
raſſelt. Der Wächter iſt niedergerannt unv erhebt ſich
fluchend. Nun lauter Lärm hinter dem Verfolgten. Und
vor ihm, am aͤndern öͤſtlichen Ende des langen Ober-
markts ſchimmern Fackeln, die einen größeren Masken-
zug geleiten. Auf das Signal des einen Thurmwarts
werden ſogleich alle Thore geſperrt, er iſt gefangen als
— Jungſrauenräuber!“ So ſchallt es hinter ihm. Ge-
fangen? Noch nicht, noch rennt das Pferd in großen
Sprüngen über den finſtern Platz.

8.

Benigna fand ibre Mutter nicht zu Hauſe und eilte
zu einer in der Nachbarſchaft wohnenden Bekannten, um
nachzufragen, ob dieſelbe nicht etwa bei ihr hinterlaſſen
habe, wohin ſie gegangen. Das war allerdings geſchehen
und faſt erſtarrt blieb ſie ſtehen bei der Nachricht:
„Ueber Land.“
Jetzt Abends, im Winter, bei dieſem Wetter! Faſt
vergaß ſie über dies Engelbrechta's und ihres Vorſatzes.
Die Mutter war allerdings zum Kräuterſuchen viel um-
hergeſtreift in Feld und Wald, doch nicht in dieſer Jahres-
zeit, in der es keine Pflanzen zum Sammeln gab. Und
nun gar in etner Schneenacht wie dieſe. Wenn ſie ſich
verirrte, ermüdet niederſank, erfror? Und geſchah das
nicht, ſo brachte ſie jedenfalls den Keim ſchwerer Krank-
heit mit, erkältete ſich tödtlich. Und warum — wozu
das? Dieſe Fragen konnte ſie ſich ebenſo wenig be-
antworten, wie Mancherlei im Weſen der Mutter er-
klären. Heute Nacht, während dieſelbe ſie ſchlafend
glaubte, hatte ſie vor ſich hingeſprochen: „Ich muß es
wiederholen. Oh, daß ich es damals nicht vernichtete,
daß ich nun beſtändig in der Furcht zittern muß, mein
Kind mit Schmach bedeckt zu ſehen. Was mit mir

würde, kümmert mich nicht.“ Wie andere ſeltſame Aeuße-

rungen hatte Benigna auch dieſe für den Aus-
druck der Gemüthskrankheit gehalten, an welcher die
Aermſte litt, die nicht gemildert, nur geſteigert ward,
wenn ſie zu tröſten, zu beſchwichtigen ſuchte, ſtatt ſie
gänzlich unbeachtet zu laſſen. Jetzt fiel ſie ihr mit er-
drückender Schwere auſ's Herz. Ohne Zweifel ſtand
ihre Entfernung damit im Zuſammenhang. Schon früher,
wenn ſie von weiten Wanderungen erſchopft und nieder-
geſchlagen heimkam, waren ihre Andeutungen von etwas
Verborgenem entſchlüpft, wenn ſie ſich unbeobachtet
wähnte.
Lebhaft beunruhigt kehrte Benigna nach der Schmiede
zurück. Für die Mutter konnte ſie freilich nur beten,
doch in Betreff Engelbrechtass — was ſollte ſie da
thun? Dieſe dem ſelbſtgewählten Schickſal überkaſſen?
Ihren Angehbörigen wenigſtens noch die Ruhe dieſer
Nacht göͤnnen, wie Jene gewollt? Da ſie die Einla-
dung zweier Freundinnen weder abgelehnt noch an-
genommen, fiel es in keiner der beiden Geſellſchaften
auf, daß ſie nicht erſchien. Und die Verwandten mein-
ten, wenn ſie nicht heimkehrte, ſie ſei über Nacht bei
der Freundin geblieben, was öfter geſchah, weil der
Weg durch die unbeleuchteten, nicht gerade im beſten
Zuſtande gehaltenen Gaſſen zur Nachtzeit eben nicht an-
genehm war und bei Spiel und Scherz die Zeit ſo raſch
entſchwand, daß der Wächterruf oft überhört wurde, wie
vorher die Bierglocke. Dieſe läutete man zum Zeichen,
daß die Schenkhäuſer geräumt und geſchloſſen würden,
um Drei nach damaliger ganzen oder italieniſchen Uhr
— um Neun rach unſerer jetzigen Zeitrechnung.
So war alſo eine Entdeckung vor morgen früͤh nicht
zu erwarten und um dabei jegliches Aufſehen zu ver-
meiden, ſollte Benigna den Brief an den Rathsherrn
ſchon bei Tagesanbruch abgeben. Sie entſchloß ſich in-
deß, ſogleich Sigismund aufzuſuchen, der, wie ſie wußte,
keiner Geſellſchaft beiwohnte und jedenfalls nichts be-
ſchließen würde, was ſeiner Verwandten zum Nachtheil
gereichen konnte. Da umringte ein Maskenhaufen das
einſame Mädchen, lachend, neckend in übermüthiger Luſt
und wollte die Geängſtigte nicht freilaſſen aus ihrer
Mitte.
Das Schrillen der Löwenpfeife machte die Ueber-
müthigen ſtutzen. Obwohl man den gewaltigen Klang
kannte, fuhren doch unwillkürlich Alle zuſammen, wenn
er die Luft durchdröhnte.
Es gelang Benigna zu entſchlüpfen — in den Schat-
ten des Salzhauſes, während Jene nach den Bierſtuben
am Judenring zogen. Da erhob ſich der Lärm auf dem
Plan zwiſchen dem ſchte ſ und dem äußern Thor — voll
banger Ahnung lauſchte ſie.
Eben hagte ein Pfer heran, vorüber, während der
Reiter aus dem Sattel ſprang und ſich unſchlüſſig um-
blickte, ohne die dunkle Geſtalt in der Nähe zu ge-
wahren. ö
„Herr, ſeid Ihr es?“ fragte ſie leiſe.
„Du!“

Die eine Silbe überzeugte ſie dabod, daß er es ſei.
 
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