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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 9 - Nr. 16 (2. Februar - 26. Februar)
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„Wo iſt ſie — habt Ihr ſie verlaſſen?“ flüſterte Be-
nigna vorwurfsvoll und wandte ſich dem Thore zu.
Faſt hart ergriff er ihren Arm und lachte leiſe,
doch bitter.
man des Jungfrauenraubes!“
Sein Ton war ihr unbegreiflich, ebenſo der Zu-
ſammenhang der Sache — deſto klarer die Gefahr, in
der er ſchwebte. Ohne ſich zu beſinnen, führte ſie ihn
nach ihrer nahen Wohnung. Eben waren ſie in der
Hausthür verſchwunden, als der Platz durch Fackeln er-
hellt wurde.
Bereitwillig war er ihr gefolgt. „Verbirg mich, wenn
On kannſt, bis ich aus der Stadt zu gelangen vermag.
Es ſollte mir leid ſein, um eines tödtichen Verbrechens
willen angeklagt zu werden, obgleich ich den Beweis
geben könnte, die Entführung ſei nicht mit Gewalt ver-
ſucht.“ ö
Das hatte er ihr leiſe geſagt, ſtand jetzt aber be-
troffen in der Schmiede. Dunkel war es rings, ſo dunkel,
daß man keinen Schritt zu ſehen vermochte. Doch nicht
darum zauderte er — hielt ja die Hand ſeiner Beglei-
terin, die ihn gewiß ſicher führte, „Wer arbeitet hier?“
wisperte er kaum hörbar. Trotz der Finſterniß, obgleich
keine Kohle auf dem Herde, kein Eiſen auf dem Ambos
glühte, ertönten leiſe Hammerſchläge. Es kam wie aus
der Erde herauf.
„Seid unbeſorgt, das Geräuſch rührt nicht von Men-
ſchen her. Wovon ſonſt? Gott allein weiß es. Man
vermag es nicht zu erklären, legt ihm alſo wie Allem,
was man nicht verſteht, wunderſame Urſachen unter.“
Sie hatte den Riegel vorgeſchoben, den ihre Muiter ſo-
wohl, wie die Hausbewohner, von außen zu öffnen wuß-
ten und ihn die Treppe hinaufgeleitet. In ihrem Stüb-

„Sie iſt in keiner Noth — mich zeiht

chen ſchlug ſie Licht an und fragte, jetzt erſt zum vollen
Bewußtſein des Geſchehenen gelangend: „Aber um Gottes-
willen, wo iſt Engelbrechta, was iſt mit ihr? Ich be-
greife nicht —“ ö ö
„Ich nur allzuwohl!“ Thymo war auf der Schwelle
ſtehen geblieben und ſchlug mit einem Hohnlachen die
Arme übereinander. „Sie liebte mich und folgte mir,
weil ſie mich für einen verkleideten Edelmann hielt. Als
ſie zu der Ueberzeugung gelangt, ſie habe ſich darin ge-
irrt, liebte ſie mich natürlich nicht mehr und folgte mir
noch natürlicher auch nicht weiter. Das Natürlichſte aber
war — hahahaha —“
Das Lachen verzerrte ſeine Züge faſt bis zum Un-
heimlichen, zumal die Augen in düſterer Gluth funkel-
ten. „Aber es ſoll ſie gereuen — ſie ſoll es erfahren,
daß ich nicht umſonft den Namen Rächer für ſie —“
Benigna trat zu ihm heran und unterbrach ihn mit
ſanftem, doch ernſtem Vorwurf: „Nicht ſolche Reden,
Herr; ſie kommen auch nicht aus Eurem Innerſten.
Ihr habt das Fräulein zum Unrecht verlockt, dürft ihm
nun nicht noch obenein zürnen, daß es dieſes Unrecht
im letzten Augenblick einſah und bereute.“ ö

ö Ungeſtüm wollte er auffahren, bezwang ſich indeß

4

und ſagte ſpöttiſch: „Die ſchöne Jungfrau hätte es
wohl juſt ſo gemacht wie das ſtolze Fräulein?“
(Fortſetzung folgt.)

Vermiſchtes.

(Weinverfälſchung.) In Frankenberg in Sach-
ſen hat der Vorſtand des dortigen Technikums, Prof.
Dr. Rettl, kürzlich 30 im Handel vorkommende Wein-
ſorten chemiſch unterſucht und gefunden, daß nur 3 der-
ſelben aus wirklichem Traubenwein beſtanden, während
die übrigen keinen Tropfen davon enihielten. Man ſieht
daraus, in welcher Ausdehnung das ſaubere Geſchäft der
Weinfabrikation betrieben wird. Da man den Liter ge-
wöhnlichen Wein, der zu 50—80 Pfg. verkauft wird,
um 10—15 Pfg. künſtlich herſtellen kann, ſo iſt der
Gewinu ein ſehr bedeutender. Noch größer aber iſt er
bei rothen franzöſiſchen Weinen, die maſſenweiſe fabri-
cirt und um 1—4 ½ Mk. verkauft werden, während die
Herſtellungskoſten ebenfalls nicht höher zu ſtehen kommen,
als bei den gewöhnlichen weißen Weinen. Die auch in
Deutſchland mehr und mehr um ſich greifende Verfäl-
ſchung aller Lebens⸗ und Genußmittel iſt eine der trau-

rigſten Erſcheinungen unſerer Zeit. Hiergegen gibt es

nur ein einigermaßen wirkſames Heilmittel: die Auf-
ſtellung tüchtiger Chemiker von Staatswegen, welche die
Lebensmittel zu unterſuchen und die Fälſcher den Staats-
anwälten anzuzeigen hätten. Die gerichtlich verhängten
Strafen wären in den öffentlichen Blttern bekannt zu
machen. Dies würde alle Schurken, welche ihre Mit-
menſchen durch ihre Praktiken an Geld und Geſundheit
ſchädigen, ja oft geradezu vergiften, einen heilſamen
Schrecken einjagen und ihnen die Luſt, ſich durch Fäl-
ſchung einen unerlaubten Gewinn zu verſchaffen, einiger-
maßen verleiden. ö

Bitte der hungernden Vögel.

Bitte, ſtillet unſfre Noth,
Bitte, bitte gebt uns Brod!
Alle Dächer, Hecken, Wälder,
Alle Wege, alle Felder,
Wo ein Futterkörnchen ſteckt,
Alles iſt mit Schnee bedeckt;
Alle Nahrung iſt verſchüttet,
Und ein hungernd Völkchen bittet;
„Bitte, ſtillet unſ're Noth,
Bitte, bitte gebt uns Brod!
Kehrt der ſchöne Frühling wieder,
Singen wir Euch frohe Lieder.
Hüpfen friſch von Aſt zu Aſt,
Picken ohne Ruh' und Raſt,
Raupen⸗, Frucht⸗ und Blüthenfreſſer,
Daß ſich füllen Scheun' und Fͤͤffer,
Bitte, ſtillet unſere Noth
Bitte, bitte gebt uns Brod!“
 
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