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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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der heilige Guenole und noch viele Andere wurden ihm
vorgeführt. Ja der Prieſter ſprach ſelbſt zu ihm im
Namen der theuern Verſtorbenen, mit denen Job in be-
ſtändigem geiſtigem Verkehr lebte und die ihm, wie er
ſich einbildete, vom Himmel herunter zuriefen: Es hängt
nur von Dir ab, zu uns herauf zu kommen.
Wenn es ſich vielleicht darum gehandelt hätte, mit
Selbſtverläugnung ein gutes Werk zu vollbringen, ſo
würde Job wehrſcheinlich taub dafür geblieben ſein, denn
er gehörte zu denen, die ſtets dem blauen Vogel nach-
jagen und nicht das richtige Maß halten können. Aber
das Außerordentliche, Wunderbare, Kraſſe in den ihm
angeführten Vorbildern, bemächtigte ſich ſeiner Einbildung
und reizte ihn. Zuweilen wurde die myſtiſche Sprache
der Religion in ſeinem Herzen betäubt durch die einge-
bildeten Töne einer Geige, die er für den abgeſchiedenen
Geiſt ſeines verbrannten Inſtrumentes hielt und deren
mit Goldfäden überzogenen Saiten einen wunderbar ſü-
ßen Klang hatten. Um dieſen Hallucinationen zu ent-
gehen, die er für Verſuchungen des Satans hielt, be-
ſchloß er ſein Haus zu verlaſſen, wo die Erinnerungen
zu mächtig waren. — Wer ihn eines Abends bei Anbruch
der Dämmerung vorüber gehen ſah, fand ihn merkwür-
dig verändert. Sein Geſicht war hager, der Ausdruck
ganz verwirrt. In der Hand trug er ein kleines Bün-
del mit Wäſche und vor ſich her trieb er ſeine beiden
Kühe. Einige alten Freunde, die ihm begegneten, woll-
ten ihn anreden, aber er ſchien ſie nicht zu ſehen und
ging in gerader Richtung nach Bavrot zu.
ö „Man hätte ihn für betrunken halten können“ er-
zählte mir der Grenzwächter, der mit ſeiner gewöhnli-
chen Dreiſtigkeit ihn frug wo er hinwollte und zur Ant-
wort erhielt: Ich will leben wie der heilige Indak, da
mir nicht erlaubt iſt zu ſterben.
Nach der Weſtſeite hin erhebt ſich ein iſolirt daſte-
hender Fels, eine Halbinſel, die mit der Haupunſel durch
eine lange Straße verbunden iſt. Dieſe Straße, welche
jetzt größtentheils zerſtört iſt, diente in unvordenklichen
Zeiten, wahrſcheinlich vor den Verheerungen des Herzogs
von Kent, dazu die Kirche von Lavret mit dem Schloſſe
von Brohat zu verbinden, von welch' letzterem ebenfalls
nur noch eine ſich immer mehr abbroͤckelnde Wand üb-
rig iſt. Während der Fluth bildet Lavret ein Inſelchen
für ſich, deſſen Granit eine andere Färbung hat als der
von Brohat, er iſt heller und mit Goldglimmer und wei-
ßen Marmoradern durchzogen, ſo daß es von der Ferne
ausſieht, als wäre Schnee in den Spalten angehäuft.
Nicht ein Strauch iſt da zu finden, in deſſen Schatten
das, vom Wiederſchein des alabaſterartigen Uferſandes
im Waſſer, geblendete Auge ausruhen könnte.
einſt in römiſchen Styl erbauten Kirche ſind als einzige
Ueberreſte noch einige zuſammengekittete Steine zu ſehen,
die der ſchönſte Epheu, der mir jemals vorgekommen,
m üppiger Freiheit überzogen hat. Ein Archäologe
würde große Mühe haben, den urſprünglichen Plan her-
auszufinden. Wie auf dem ganzen Inſelchen, ſo belu-

ſtligen ſich auch hier die Kaninchen, die Verſteckens in

Von der

den üppigen Blättern und Ranken ſpielen und ſo furcht-
los ſind, daß man ſte mit der Hand fangen kann.
Die kunſtloſe Hütte, die ſich der Geiger als Obdach
gegen die Ungunſt der Witterung erbaut hatte, beherrſchte
die ſteilen Buchten der Weißen Inſel, gegen welche ſich
die hohen Wellen mit Geräuſch brechen, um ſich mit ei-
nem großen Sprunge eben ſo raſch wieder zurückzuzie-
hen. — In dieſer wilden und rauhen Abgeſchiedenheit
fand ich Job wieder, den ſonſt ſo lebensfrohen genialen
Dichter und Sänger, der jetzt auf ſeine Erlöſung und
Wiedervereinignug mit den Seinigen wartete und ein un-
unterbrochenes Miſerere fang.
Unſere zweite Begegnung fand folgendermaßen ſtatt.
Ich benutzte einen ſchönen Februarmorgen, die öfter in
jener Gegend die Reize eines Maitags haben, um eine
Spazierfahrt auf dem Meer zu machen. Auf Brohat
iſt die Vegetation frühzeitig, die Hanswurz, dieſe fette
Pflanze, welche ſich in phantaſtiſchen Guirlanden bis auf
die Dächer der Hütten und an deren Mauern hinauf
ſchlingt, fing bereits an zu knospen und das junge Moos
gab dem öden Felſen einen grünlichen Anſtrich. ö
Das Meer glänzte wie ein goldener Spiegel, in
welchem ſich die ſenkrechten Granitfelſen wie ebenſo viele
natürliche Feſtungen abſpiegelten. Im Nachen behaglich
ausgeſtreckt, der leiſe über die ſich kaum bewegenden
Wellen binglitt, empfand ich das Wohlbehagen, welches
das Wiedererwachen der Natur einflößt und das allem
Vermuthen nach der kleinſte Grashalm mit uns empfin-
den wird. Das Leben erſcheint uns leicht und angenehm,
man fühlt ſich gleichſam von jeder beängſtigenden Unruhe
und Sorge befreit. Ein dumpfes Geräuſch erweckte mich
plötzlich aus meinen angenehmen Träumereien. Ich
horchte auf und fand, daß es eine Todtenmeſſe war,
die von einer durch öfteres Schluchzen unterbrochenen
tiefen Stimme überaus klagend geſungen wurde. Der
Geſang konnte aus keiner Kirche kommen, ſchien viel
eher aus dem Meer herauf zu ertönen; er ſchwieg zeit-
weiſe gänzlich, verlor ſich in der Ferne und erhob ſich

dann, vom Wind herüber getragen, mit erneuerter und

wilder Energie, wie der Schrei einer Seeie in Todes-
noth. Ich befrug meinen Schiffer, der mich ruderte,
nach dieſer ſeltſamen Muſik. Von ihm erfuhr ich denn
die erbauliche Umwandlung des Geigers.
Sehen Sie, fügte er hinzu, nachdem er ſeine Er-
zählung geendet hatte, ſolche Schrullen kommen bei einem
Seemann niemals vor. Es thut nicht gut, ſein ganzes
Leben an demſelben Orte zu verbleiben, die Langweile
übermannt Einen. Ich geſtehe ja zu, daß er großes
Unglück gehabt hat; wer aber hat nicht mehr oder we-
niger zu tragen? Das Weinen und Jammern muß man
aber den Weibern überlaſſen und ſich zu tröſten wiſſen.
Was er übrigens am meiſten bedauert, das iſt ſeine
Geige. Er hatte ſie ſo lieb wie ich mein Schiff lieb
habe, aber wenn ich das Unglück hätte, es zu verlieren,
ſo wäre das Faſten ein ſchlechter Troſt. Der' arme Job
lebt nur von der Milch ſeiner Kühe und dem Brod,
das ihm kleine Ziegenhirten bringen.
 
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