Zunge ſchwebte. „Ja wohl, gnädige Frau, „mörderiſch!“
Beſinnen Sie ſich vielleicht noch darauf, als Sie vor
etwa 15 Tagen mit einem großen Shwal um den Hals
einen Beſuch bei Frau Dr. S. machten? Und als der
kleine Hans in's Zimmer geſprungen kam, griffen Sie
nicht den Kleinen mit anſcheinend überſtrömender Zärt-
lichkeit, nannten ihn „mein reizendes Kerlchen“ undiküß-
ten ihn nach Herzensluſt? Dann fingen ſie an zu er-
zählen, was für einen ſchrecklich entzündeten Hals Sie
hätten, daß Sie ſogar am Tage vorher eine Einladung
zum Concert hätten ablehnen müſſen, weil Sie zu ver-
ſchwollen ſeien? Sie hatten keine Abſichten auf das
Leben des Kindes, und doch tödteten Sie daſſelbe ſo
ſicher, als wenn Sie ihm ſtatt Ihres zäꝛtlichen Kuſſes
Strychnin oder Arſenik gegeben hätten. Ihre Zärtlich-
kit war. verhängnißvoll. Zwei oder drei Tage darauf
fing „mein reizendes kleines Kerlchen“ auch über einen
entzündeten Hals zu klagen an, und als der Arzt kam,
genügte das eine Wort „Dyphteritis“, um Alles klar
zu machen. — — Heute iſt ein kleiner friſchgeſchmückter
Hügel vor dem Thore die einzige Erin nerung an Ihren
Beſuch. — — Die Mutter hat natürlich nicht den ge-
ringſten Verdacht auf Sie; ſie hängt ihren herben Ver-
luft der geduldigen Vorſehung an. Der Arzt that nichts,
um dieſen Glauben zu zerſtören; denn das dürfte eben
ſo unklug, als grauſam ſein, mir aber hat er es im
Vertrauen mitgetheil, daß allein Ihre „ſchauerliche
Duamheit“ — es waren ſeine Worte, gnädige Frau —
an dem Tode des kleinen Hans die Schuld trägt. Es
läßt ſich ſchwer beurtheilen, ein wie großer Theil der
außenblicklich graffirenden Dyyhteritisfälle auf ſolche
Gedankenloſigkeit zu ſchieben iſt; das ſteht jedoch feſt,
daß Erwachſene die Dyphterie in ſo geringem Grade
haben, daß ſie dieſelbe für eine einfache Erkäitung neh-
men, und da die Erkältung nicht anſteckend iſt, ſo fin-
den ſie auch nichts Böſes darin, Andere ihrem Attem
auszuſetzen, und können keine Gefalhr darin erblicken,
ihre Lippen mit denen Anderer in Berüsrung zu brin-
gen. Bedenkt man nun aber die Thatſache, daß die Diph-
terie in den meiſten Fällen durch direkte Uebertragung
der bösartigen Keim, welche die Krankheit veruriachen,
vor ſich geht, bedenkt man ferner, daß es kein beſſeres
Mittel, um den Krankteitsſtoff zu übertragen, gibt, als
das Küſſen, und daß endlich das Küſſen bei allen Ge-
legeaheiten Sitte geworden iſt, ſo iſt es ſicher nicht auf-
fallend, daß dieſe Krankheit ſo leicht epidemiſch wird.
Selbnverſtändlich iſt es Unſinn, alle Diphterieanſteckun-
gen auf's Küſſen ſchieben zu wollen — denn da ſprechen
noch andere Faktoren mit —, aber es ſieht gewiß Jeder
ein, daß es den Kleinen beſſer bekommen würde, wenn
ſie weniger geküßt würden. Ein einzelner Kaß hat ſchon
eine ganze Familie anzeſteckt, und der Zärtlichſte kann
in die Lage kommen, daß er eine böſe Krankheit ver-
breitet, ohne es zu wiſſen. Darum empfehlen wir aus
ganzem Herzen, die Kinder in Ruhe zu laſſen.“
Aus Bayreuth.) Am verfloſſenen Montag hat
in Bayreuth im Rathhausſaale eine Verſammlung der
Delegirten der verſchiedenen Deutſchen Waaner⸗Vereine
ſattgefunden, um über die letzten, noch für die Auf-
führung notowendigen Maßnahmen zu beſchließen. Der
Bürgermeiſier Muncker von Bayreuth eröffnete die Ver-
ſammlung und nach wancherlei Mittheilungen über die
woblgeordnete financielle Situation des Unternehmens,
das bisher insg⸗ſammt einen Koſtenanfwand von etwas
über 500,000 Mark erfordert hat, nahm Richard Wag-
ner ſelber das Wort, uvm zu berichten, wie von dem ur-
ſprünglichen Plan mannigfach hätte abgewichen werden
müſſen; ſo auch darin, doß die Anzahl der Freiplätze
für Mufiker und andere Perſonen von Verdienſt von
fünfbundert an jedem der zwölf Rbende hätte weſentlich
vermindert werden müſſen. Unter Anderem bat auch
die Errichtung der Fürſtengallerie bierzu mitgewirkt.
Es find bisher 16 fürſtliche Inſaſſen dieſer Gallerie an-
gemeldet, darumer Kaiſer Wilhelm, der Kronprinz und
die Krorprinzeſſin, die Großherzoge von Weimar und
von Mecklenburg, und der Herzog von Meiningen König
Ludwig von Baiern wird allen Proben beiwohnen. Der
Trouble der Aufführung ſelbſt aber wird ihn verſcheu-
chen; er reiſt vor derſelzen ab. Das Schloß aber —
das alte Schloß der Bayreuther Morkerofen — läßt er
prächtig mit einzelmn Wohnungen für jeden der einzel-
nen fürftlichen Gäſte herrichten. — Um dun aber auf
die Freiplötze zurückzukon men, ſo wird oberhalb der
Fürſtengallerie eine Gallerie für 200 Plätze errichtet
werden, die für dieſen Zweck zur Verfügung geſtellt
werden follen. Von den zahllos eingegangenen Geſuchen
wurden aber einſtweilen nur 37 berüsſichtigt; die üb-
rigen Freiplätze werden den einzelnen Vereinen je nach
Maßgabe ihres Bezuges an Patronatsſcheinen zur Ver-
fügung geſtellt. Später wurde noch beſchloſſen, einen
Bericht an die „Patrone“ des Unternehmens zu ver-
öffentlichen, deſſen Entwurf vorgelegt und genehmigt
wurde. Jn den Verwaltungsrath wurden noch die Her-
ren Kammerherr von Balingard und Bankier Groß von
Bayreuth und Häckel von Mannheim gewäblt. Auf
einige Zeit war die Verſommlung — in welcher u. A.
die Vereine von Bayreuth, Berlin, Wien, Mannheim,
Köln und Mainz vertreten waren — unterbrochen wor-
den zum gemeinſamen Beſuche des Feſtſpieltkeaters, das
faſt ganz vollendet, ſich in ſeinen koloſſalen Dimenſtonen
den Beſuchern proͤſentirte. Die Stadt Bayrenth hat
eine prachtvolle Chanſſee zu der Höhe, auf der es ſteht,
anlegen —aſſen und oben begrüßt dos erſte Grün der jun-
gen Gartenanlagen vor dem Theater die Beſucher. In
dieſen Anlagen werden zwei große Reſtaurationen, gegen
alle Eventualitäten der Witterung geſchützt, errichtet; die
eine wird 500, die andere 1500 Perſonen aufnehmen
können. Die Sorze für die leibliche Erfriſchung der
Beſucher in dieſen beiden Räumen hat eine Anzahl rhei-
niſcher Weinhändier und Reſtaurateure übernommen.
Abends begrüßte Wagner die Delegirten in den Rän-
men ſeines Hauſes „Wahnfried“ als Gäſte.
Beſinnen Sie ſich vielleicht noch darauf, als Sie vor
etwa 15 Tagen mit einem großen Shwal um den Hals
einen Beſuch bei Frau Dr. S. machten? Und als der
kleine Hans in's Zimmer geſprungen kam, griffen Sie
nicht den Kleinen mit anſcheinend überſtrömender Zärt-
lichkeit, nannten ihn „mein reizendes Kerlchen“ undiküß-
ten ihn nach Herzensluſt? Dann fingen ſie an zu er-
zählen, was für einen ſchrecklich entzündeten Hals Sie
hätten, daß Sie ſogar am Tage vorher eine Einladung
zum Concert hätten ablehnen müſſen, weil Sie zu ver-
ſchwollen ſeien? Sie hatten keine Abſichten auf das
Leben des Kindes, und doch tödteten Sie daſſelbe ſo
ſicher, als wenn Sie ihm ſtatt Ihres zäꝛtlichen Kuſſes
Strychnin oder Arſenik gegeben hätten. Ihre Zärtlich-
kit war. verhängnißvoll. Zwei oder drei Tage darauf
fing „mein reizendes kleines Kerlchen“ auch über einen
entzündeten Hals zu klagen an, und als der Arzt kam,
genügte das eine Wort „Dyphteritis“, um Alles klar
zu machen. — — Heute iſt ein kleiner friſchgeſchmückter
Hügel vor dem Thore die einzige Erin nerung an Ihren
Beſuch. — — Die Mutter hat natürlich nicht den ge-
ringſten Verdacht auf Sie; ſie hängt ihren herben Ver-
luft der geduldigen Vorſehung an. Der Arzt that nichts,
um dieſen Glauben zu zerſtören; denn das dürfte eben
ſo unklug, als grauſam ſein, mir aber hat er es im
Vertrauen mitgetheil, daß allein Ihre „ſchauerliche
Duamheit“ — es waren ſeine Worte, gnädige Frau —
an dem Tode des kleinen Hans die Schuld trägt. Es
läßt ſich ſchwer beurtheilen, ein wie großer Theil der
außenblicklich graffirenden Dyyhteritisfälle auf ſolche
Gedankenloſigkeit zu ſchieben iſt; das ſteht jedoch feſt,
daß Erwachſene die Dyphterie in ſo geringem Grade
haben, daß ſie dieſelbe für eine einfache Erkäitung neh-
men, und da die Erkältung nicht anſteckend iſt, ſo fin-
den ſie auch nichts Böſes darin, Andere ihrem Attem
auszuſetzen, und können keine Gefalhr darin erblicken,
ihre Lippen mit denen Anderer in Berüsrung zu brin-
gen. Bedenkt man nun aber die Thatſache, daß die Diph-
terie in den meiſten Fällen durch direkte Uebertragung
der bösartigen Keim, welche die Krankheit veruriachen,
vor ſich geht, bedenkt man ferner, daß es kein beſſeres
Mittel, um den Krankteitsſtoff zu übertragen, gibt, als
das Küſſen, und daß endlich das Küſſen bei allen Ge-
legeaheiten Sitte geworden iſt, ſo iſt es ſicher nicht auf-
fallend, daß dieſe Krankheit ſo leicht epidemiſch wird.
Selbnverſtändlich iſt es Unſinn, alle Diphterieanſteckun-
gen auf's Küſſen ſchieben zu wollen — denn da ſprechen
noch andere Faktoren mit —, aber es ſieht gewiß Jeder
ein, daß es den Kleinen beſſer bekommen würde, wenn
ſie weniger geküßt würden. Ein einzelner Kaß hat ſchon
eine ganze Familie anzeſteckt, und der Zärtlichſte kann
in die Lage kommen, daß er eine böſe Krankheit ver-
breitet, ohne es zu wiſſen. Darum empfehlen wir aus
ganzem Herzen, die Kinder in Ruhe zu laſſen.“
Aus Bayreuth.) Am verfloſſenen Montag hat
in Bayreuth im Rathhausſaale eine Verſammlung der
Delegirten der verſchiedenen Deutſchen Waaner⸗Vereine
ſattgefunden, um über die letzten, noch für die Auf-
führung notowendigen Maßnahmen zu beſchließen. Der
Bürgermeiſier Muncker von Bayreuth eröffnete die Ver-
ſammlung und nach wancherlei Mittheilungen über die
woblgeordnete financielle Situation des Unternehmens,
das bisher insg⸗ſammt einen Koſtenanfwand von etwas
über 500,000 Mark erfordert hat, nahm Richard Wag-
ner ſelber das Wort, uvm zu berichten, wie von dem ur-
ſprünglichen Plan mannigfach hätte abgewichen werden
müſſen; ſo auch darin, doß die Anzahl der Freiplätze
für Mufiker und andere Perſonen von Verdienſt von
fünfbundert an jedem der zwölf Rbende hätte weſentlich
vermindert werden müſſen. Unter Anderem bat auch
die Errichtung der Fürſtengallerie bierzu mitgewirkt.
Es find bisher 16 fürſtliche Inſaſſen dieſer Gallerie an-
gemeldet, darumer Kaiſer Wilhelm, der Kronprinz und
die Krorprinzeſſin, die Großherzoge von Weimar und
von Mecklenburg, und der Herzog von Meiningen König
Ludwig von Baiern wird allen Proben beiwohnen. Der
Trouble der Aufführung ſelbſt aber wird ihn verſcheu-
chen; er reiſt vor derſelzen ab. Das Schloß aber —
das alte Schloß der Bayreuther Morkerofen — läßt er
prächtig mit einzelmn Wohnungen für jeden der einzel-
nen fürftlichen Gäſte herrichten. — Um dun aber auf
die Freiplötze zurückzukon men, ſo wird oberhalb der
Fürſtengallerie eine Gallerie für 200 Plätze errichtet
werden, die für dieſen Zweck zur Verfügung geſtellt
werden follen. Von den zahllos eingegangenen Geſuchen
wurden aber einſtweilen nur 37 berüsſichtigt; die üb-
rigen Freiplätze werden den einzelnen Vereinen je nach
Maßgabe ihres Bezuges an Patronatsſcheinen zur Ver-
fügung geſtellt. Später wurde noch beſchloſſen, einen
Bericht an die „Patrone“ des Unternehmens zu ver-
öffentlichen, deſſen Entwurf vorgelegt und genehmigt
wurde. Jn den Verwaltungsrath wurden noch die Her-
ren Kammerherr von Balingard und Bankier Groß von
Bayreuth und Häckel von Mannheim gewäblt. Auf
einige Zeit war die Verſommlung — in welcher u. A.
die Vereine von Bayreuth, Berlin, Wien, Mannheim,
Köln und Mainz vertreten waren — unterbrochen wor-
den zum gemeinſamen Beſuche des Feſtſpieltkeaters, das
faſt ganz vollendet, ſich in ſeinen koloſſalen Dimenſtonen
den Beſuchern proͤſentirte. Die Stadt Bayrenth hat
eine prachtvolle Chanſſee zu der Höhe, auf der es ſteht,
anlegen —aſſen und oben begrüßt dos erſte Grün der jun-
gen Gartenanlagen vor dem Theater die Beſucher. In
dieſen Anlagen werden zwei große Reſtaurationen, gegen
alle Eventualitäten der Witterung geſchützt, errichtet; die
eine wird 500, die andere 1500 Perſonen aufnehmen
können. Die Sorze für die leibliche Erfriſchung der
Beſucher in dieſen beiden Räumen hat eine Anzahl rhei-
niſcher Weinhändier und Reſtaurateure übernommen.
Abends begrüßte Wagner die Delegirten in den Rän-
men ſeines Hauſes „Wahnfried“ als Gäſte.