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„Tie ſcheinen nicht zu wiſſen, daß Kopitän Stei-
nach vor ſünf Jahren auf der „Möwr“ ſeinen Unter-
gang fand?“
„Ganz racht; eben den miine ich.“
„Als wir uns in Neu⸗Seeland trennten, ſagte er
mir, daß Dector Dörnburg ſein beſter Freund ſei, und
daß ich bei ihm jederzeit ſeine Adreſſe erfahren würde.“
„Steinach und ich find nämlich Schulkameraden ge-
weſen, und daher ſeit unſerer Kindheit befreundet. Viel-
leicht iſt Ihnen wein Name nicht fremd; ich heiße Jo-
hannes Schmidt.“ ö
Elsbeth erinnerte ſich jetzt deutlich, daß ihr Walter
in einem ſeiner letzten Briefe miteetheilt habe, er wolle
einen alten Bekannten dieſes Namers, der nach Neu-
Seelond aues wondere, an Bord nehmen. All ihre Zag-
haftigkeit, alle Funcht vor der Eiferſucht ihres Mannes
waren jetzt wie mit einem Zauberſchlage verſchwunden.
Sie hatte vur noch das eine Gefühl, den einen Gedan-
ken, daß dieſer Mann ihren Gatten vor ſeinem Tede
geſehen, geſprochen habe, daß er ihr vielleicht ſeine litz-
ten Grüße zu überbringen habe.
Athemlos ſagte fie: „Ja gewiß, ich habe Ihren
Namen ſchon gehört; waren Sie nicht mit auf der
„Möwe“? Hatten Sie das Schiff lange vor ſeinem
Untergange verlaſſen? Sie wiſſen doch, daß die „Möwe“
Schiffbruch litt?“ ö
Ueberraſcht blickte ſie der Fremde an. „Natürlich
weiß ich das; ich habe es ja ſelsſt wit erlebt. Stei-
nach und ich breben nachher ſo lange auf jener un-
bewohnten Inſel, bis urs ein vorüberkommendes Schiff
aufnahm vnd nach Neu⸗Seeland brachte; erſt da treun-
ten wir uns, urd ſtitdem habe ich nichts wieder von
ibm gehört. Der Zufall fügte es, daß am Tage unſerer
Ankunft in Neu⸗Seeland ein Dampfer nach Hemburg
in See ging, ſo daß Steirach, den es gewaltig heim-
wärts zog, nicht einmal Zeit hatte, ſich mit neuer Gar-
derobe zu verſehen. Mir ſcheint“, ſchloß er mit ver-
bindlichem Lächeln, „daß Tie nicht ſehr zenau über den
Stard der Dinge unterrichtet ſird.“
Woher kommt uns oft in Augenblicken der höchſten
Gemüthsbewiegung, der furchtbarſten Seelenangft eine
ſo wur derbare Kraft und Willensſtärke? Wer hätte
hätte nicht ſchon im Leben jer en Grad dumpfer Ver-
zweiflung kennen geleryt, der jede Regung weicheren
Gefühls in urs erſtarren macht, und uns mit eifiger
Ruhe jede unſerer Handtungen überlelen läßt? So er-
ging es Elsbeth jetzt. Deutlich war ſie ſich bewußt,
daß ſie auf dem Punkte ſtar d, eine zrauenhafte Ent-
reckung zu wachen, und doch blieb ſie kalt und ruhig
und erwartere das Kommende mit der unnalünlichen
Fa ſſune, die uns zuweilen im Traum bei den furchtdar-
ſten Erlebniſſen unempfindlich bleiben läßt. Es war
ihr, ols wäre ſie ſich ſelbſt er trückt, als wäre es eine
Andere, die ſie in ſolch ſchrechlicher Lage vor ſich ſähe.
Ihre ſanfte Stimme klang noch ruhiger und weicher
els ſonſt, als ſie ſagte: „Bitte, nehmen Sie Platz;
ich habe Sie nicht ganz verſtanden.“
Sie ſetzte ſich, rückte ihren Stuhl dicht an den
Tiſch ihm gegenüber, ſtützte den Kopf in die Hand und
beſchattete ſo unwillkürlich ihr Geficht vor ihm.
„Bitte, erzählen Sie mir ausführlich Alles von
Ihnen und Kapitän Sieinach. Nicht wahr, Sie ſagten,
10 a8ren mit auf dem Schiff geweſen, als es unter-
ging?
„Sonderbar“, dachte Herr Schmidt, „wahrſcheinlich
hört die gute Frau ſelten von ihrem Manne etwas üͤber
ſeine Freunde.“
„Ja, leider war ich dabei“, fuhr er laut fort. „Es
war eine furchtbare Scene; ich wünſche Ihnen nicht, je
eiwas Aehnliches zu erleben, Frau Doctor.“
„Es ſoll ein entſetzlicher Sturm geweſen ſein?“
„So arg, daß ich einer Dame die Beſchreibung lieber
erſparen will. Wir trit ben Gott weiß wie viele Stun-
den in einem kleinen Voot arf offener See umher.
Steinach, ich und rech ein paar Gefährten, in einer
elenden Nußſchale, bei dieſim Orkan. Doch wozu ſoll
ich Sie mit den ſchrecklichen Einzelnheiten aufreger;
genug, endlich wurde unſer Brot mitten in der ſchauer-
lich finſtern Nacht gegen eiren Felſen geſchleudert und
zerſchmettert. Noch jetzt denke ich mit Schaundern daran
zurück; es gelang mir, mich an eine hervorrasen de Fels-
ſpitze anzuklammern, und ſo verbrachte ich eine eudloſe
qualvolle Nacht, halb im Waſſer hängend, jeden Augen-
blick erwarterd, von der nächſten Welle in den ſichern
Tod gerifſen zu werden oder der einzier Ueberle beude
in dieſer grauenharten Einöde zu ſein. Als endlich der
Morgen dämmerte, ſab ich Steinach in meiner Näbe;
olle Anderen waren untergegengen. Es gelang uns mit
unſäglicher Mühe, das ſtrile Ufer des öden Eilands zu
erklimmen und zwei lange Jahre waren wir verdammt,
ein elendes Lebten in dieſer troßlofen Einſamktit zu
friſten.“
Er bielt inne; aber da kein Wort, keine Rewegurg
die Theilrahme ſeiner Zubörerin verrieth, ſo ſuhr er
fort: ö
„Erdlich löſte uns ein Schiff aus Neu⸗Seelard,
das auf den Wallfiſchfang ausgegangen war; in Neu-
Seelard angtkommen, ſogten wir einar der Lebewohl;
ich ging in's Innere des Landes, und er zurück in die
Heimath. Sendem habe ich nie wieder das geringſte
Leber szeichen von ihm erhalten. Können Sie mir gar
keine Auekunft über ihn geben?“
„Nein“, ſagte ſie, „ich weiß nichts von ihm. Ich
kann Ihnen nichts über ihn ſagen.“ ö
„Das iſt ſeltſam! Der Herr Docter muß ihn doch
geſehen baben, ſeit er zurücklam? Ich weiß ſicher, daß
er glücklich in Hamburg anlangte; denn ich fand in
einer Hamburger Zeitung, die mir lange nachher in die
Hände fiel, die Ankunft des Schiffes, das ihn aufge-
nommen hatte, umer dem vierzehnten Jannar verzeichnet;
alſo gerade heule vor drei Jahren.“
Am vierzehnten Jarnar? Heute vor drei Jahren?
Den Tag vor ihrer Hochzeit! Aber immer roch blieb
„Tie ſcheinen nicht zu wiſſen, daß Kopitän Stei-
nach vor ſünf Jahren auf der „Möwr“ ſeinen Unter-
gang fand?“
„Ganz racht; eben den miine ich.“
„Als wir uns in Neu⸗Seeland trennten, ſagte er
mir, daß Dector Dörnburg ſein beſter Freund ſei, und
daß ich bei ihm jederzeit ſeine Adreſſe erfahren würde.“
„Steinach und ich find nämlich Schulkameraden ge-
weſen, und daher ſeit unſerer Kindheit befreundet. Viel-
leicht iſt Ihnen wein Name nicht fremd; ich heiße Jo-
hannes Schmidt.“ ö
Elsbeth erinnerte ſich jetzt deutlich, daß ihr Walter
in einem ſeiner letzten Briefe miteetheilt habe, er wolle
einen alten Bekannten dieſes Namers, der nach Neu-
Seelond aues wondere, an Bord nehmen. All ihre Zag-
haftigkeit, alle Funcht vor der Eiferſucht ihres Mannes
waren jetzt wie mit einem Zauberſchlage verſchwunden.
Sie hatte vur noch das eine Gefühl, den einen Gedan-
ken, daß dieſer Mann ihren Gatten vor ſeinem Tede
geſehen, geſprochen habe, daß er ihr vielleicht ſeine litz-
ten Grüße zu überbringen habe.
Athemlos ſagte fie: „Ja gewiß, ich habe Ihren
Namen ſchon gehört; waren Sie nicht mit auf der
„Möwe“? Hatten Sie das Schiff lange vor ſeinem
Untergange verlaſſen? Sie wiſſen doch, daß die „Möwe“
Schiffbruch litt?“ ö
Ueberraſcht blickte ſie der Fremde an. „Natürlich
weiß ich das; ich habe es ja ſelsſt wit erlebt. Stei-
nach und ich breben nachher ſo lange auf jener un-
bewohnten Inſel, bis urs ein vorüberkommendes Schiff
aufnahm vnd nach Neu⸗Seeland brachte; erſt da treun-
ten wir uns, urd ſtitdem habe ich nichts wieder von
ibm gehört. Der Zufall fügte es, daß am Tage unſerer
Ankunft in Neu⸗Seeland ein Dampfer nach Hemburg
in See ging, ſo daß Steirach, den es gewaltig heim-
wärts zog, nicht einmal Zeit hatte, ſich mit neuer Gar-
derobe zu verſehen. Mir ſcheint“, ſchloß er mit ver-
bindlichem Lächeln, „daß Tie nicht ſehr zenau über den
Stard der Dinge unterrichtet ſird.“
Woher kommt uns oft in Augenblicken der höchſten
Gemüthsbewiegung, der furchtbarſten Seelenangft eine
ſo wur derbare Kraft und Willensſtärke? Wer hätte
hätte nicht ſchon im Leben jer en Grad dumpfer Ver-
zweiflung kennen geleryt, der jede Regung weicheren
Gefühls in urs erſtarren macht, und uns mit eifiger
Ruhe jede unſerer Handtungen überlelen läßt? So er-
ging es Elsbeth jetzt. Deutlich war ſie ſich bewußt,
daß ſie auf dem Punkte ſtar d, eine zrauenhafte Ent-
reckung zu wachen, und doch blieb ſie kalt und ruhig
und erwartere das Kommende mit der unnalünlichen
Fa ſſune, die uns zuweilen im Traum bei den furchtdar-
ſten Erlebniſſen unempfindlich bleiben läßt. Es war
ihr, ols wäre ſie ſich ſelbſt er trückt, als wäre es eine
Andere, die ſie in ſolch ſchrechlicher Lage vor ſich ſähe.
Ihre ſanfte Stimme klang noch ruhiger und weicher
els ſonſt, als ſie ſagte: „Bitte, nehmen Sie Platz;
ich habe Sie nicht ganz verſtanden.“
Sie ſetzte ſich, rückte ihren Stuhl dicht an den
Tiſch ihm gegenüber, ſtützte den Kopf in die Hand und
beſchattete ſo unwillkürlich ihr Geficht vor ihm.
„Bitte, erzählen Sie mir ausführlich Alles von
Ihnen und Kapitän Sieinach. Nicht wahr, Sie ſagten,
10 a8ren mit auf dem Schiff geweſen, als es unter-
ging?
„Sonderbar“, dachte Herr Schmidt, „wahrſcheinlich
hört die gute Frau ſelten von ihrem Manne etwas üͤber
ſeine Freunde.“
„Ja, leider war ich dabei“, fuhr er laut fort. „Es
war eine furchtbare Scene; ich wünſche Ihnen nicht, je
eiwas Aehnliches zu erleben, Frau Doctor.“
„Es ſoll ein entſetzlicher Sturm geweſen ſein?“
„So arg, daß ich einer Dame die Beſchreibung lieber
erſparen will. Wir trit ben Gott weiß wie viele Stun-
den in einem kleinen Voot arf offener See umher.
Steinach, ich und rech ein paar Gefährten, in einer
elenden Nußſchale, bei dieſim Orkan. Doch wozu ſoll
ich Sie mit den ſchrecklichen Einzelnheiten aufreger;
genug, endlich wurde unſer Brot mitten in der ſchauer-
lich finſtern Nacht gegen eiren Felſen geſchleudert und
zerſchmettert. Noch jetzt denke ich mit Schaundern daran
zurück; es gelang mir, mich an eine hervorrasen de Fels-
ſpitze anzuklammern, und ſo verbrachte ich eine eudloſe
qualvolle Nacht, halb im Waſſer hängend, jeden Augen-
blick erwarterd, von der nächſten Welle in den ſichern
Tod gerifſen zu werden oder der einzier Ueberle beude
in dieſer grauenharten Einöde zu ſein. Als endlich der
Morgen dämmerte, ſab ich Steinach in meiner Näbe;
olle Anderen waren untergegengen. Es gelang uns mit
unſäglicher Mühe, das ſtrile Ufer des öden Eilands zu
erklimmen und zwei lange Jahre waren wir verdammt,
ein elendes Lebten in dieſer troßlofen Einſamktit zu
friſten.“
Er bielt inne; aber da kein Wort, keine Rewegurg
die Theilrahme ſeiner Zubörerin verrieth, ſo ſuhr er
fort: ö
„Erdlich löſte uns ein Schiff aus Neu⸗Seelard,
das auf den Wallfiſchfang ausgegangen war; in Neu-
Seelard angtkommen, ſogten wir einar der Lebewohl;
ich ging in's Innere des Landes, und er zurück in die
Heimath. Sendem habe ich nie wieder das geringſte
Leber szeichen von ihm erhalten. Können Sie mir gar
keine Auekunft über ihn geben?“
„Nein“, ſagte ſie, „ich weiß nichts von ihm. Ich
kann Ihnen nichts über ihn ſagen.“ ö
„Das iſt ſeltſam! Der Herr Docter muß ihn doch
geſehen baben, ſeit er zurücklam? Ich weiß ſicher, daß
er glücklich in Hamburg anlangte; denn ich fand in
einer Hamburger Zeitung, die mir lange nachher in die
Hände fiel, die Ankunft des Schiffes, das ihn aufge-
nommen hatte, umer dem vierzehnten Jannar verzeichnet;
alſo gerade heule vor drei Jahren.“
Am vierzehnten Jarnar? Heute vor drei Jahren?
Den Tag vor ihrer Hochzeit! Aber immer roch blieb