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Heidelberger Volksblatt (9) — 1876

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Nr. 103 - 109 (2. Dezember - 16. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44635#0439

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volksblatt.

geidelberger

Nr.

Samſtag, den 16. Dezember 1876.

erſcheint jeden Dienſtag, Donnerſtag und Samſtag. Preis monatlich 36 Pf. Einzelne NRummer 4 6 Pf. Man abonnirt beim Ver-

ö leger, Schiffzaſſe 4 und bei den Trägern. Auswärts bet den Landbot en und Poſtanſtalten.

Das verkaufte Herz.
Eine Erzählung von Max Ring.
CFortſezung.)

„Dis Brieſtaſche gehört meinem Mann, dem Ober-
Ingenienr Brandt“, entgegnete Naralie. „Di: Perſon
kann ſich nicht ausw iſes, wie fie in den Beſitz derſelbe!
gekommen iſt.“
„Was! Sie unterſtehen ſich, Fräulein Roſa zu
ſchinpfen. Dſe Perſon iſt ein ehrliches Mädchen und
hundertmal mehr we th als ſo eine aufgetakelte Dame
wis Sie.“ ö
„Rommen Sie, Natalie“, mahnte Flunker leiſe, „und
geben Sie dem Frauenzimmer die Brieftaſche zurück.
Wir wollen uns mit dem Pöbel nicht läager gemein
machen.“ ö
„Pöbel!“ ſchrie Frau Braun, „welch?: die letzten
Worte gehoͤrt hatte. „Nwarte! Den Pöbel will ich
Dir noch anſtreichen. Glauben Sie denn, daß ich nicht
weiß, wer Sie find. So ein Kerl, der ſich nicht ſhäm',
ſeinem b ſten Frennd die Frau abſpenſtiz zu machen, ſo

ein Weib, das ſich verführen lät und noch wit isrer
Schende Gott weiß wie groß thut, erdreiſtet ſich, von

Pöbel zu ſprechen “
„Mäßigen Sie ſich doch, edle Grünzeughändlerin!
Sie haben Ihre Bieftaſcht; was wollen Sie noch meyr?“
„Ihnen Ihren Standpuukt kliar machen“, fuhr Frau
Br-un in ihrem Eifer fort, daß Jonen di: Angen öber-
gehn werden. mier die armen Leute um ihr Geld be-
ſchaiandelt, wer vom Schweiß und Blut ſeiner Neben-
menſchen lebr, wer wie Sie keine Gemeiahei‘, keine Nie-
derträchtigkeit ſcheut, un ſeinen Beutel zu füllen und
ſeine Lüe zu befriedigen, wer Tauſende für ſeine Ver-
grügungen rausſchmeißt und den Armen verhunzern läßt.
Wer kein Herz und kein Gew ſſen hat, weder Gott noch
die zehn Gebote ehrt, der, nur der allein iſt Pösel.“
„So it es,“ belräftigte der ehrliche Ack reürger.
„Laß es genus ſein!“ bat Roſa ihre Freundia. „Ich
hade meine Brieſtaſche und mehr verlange ich nicht.“
„Aber ich bia noch lange nict fertig,“ grollte die
erzürnte Wutwe, welche ſich von Neuem gegen das wür-
dige Paar wer dete. „Wenn Sie anch einen fei en Rock
oder Sie ein ſeidenes Kleid tragen und mit Brillanten
ſich behäugen, wenn Sie auch auf G.mmkrädern fahren

und in einer austapezierten Stube auf Sammtpolſtern
ſitzer, wenn Sie ſich auch hinten und vorn bedienen laſ-
ſen, Auſtern und Faſanen eſſen, Rheinwein und Cham-
pagner trinken, wenn Si auch zehn Thaler für ein Thꝛa-
terbillet geben und auf die Subſkriptionsbälle laufen, wenn

Sie auch das Geld in Schefeln mſſen und in Ihrem

Arnheim einen Haufen Aktien liegen haber, ſo ſisd und
pleiben Sie doch Pödbel, ja ganz gemeiner Pödei. So
jetzt ſind wir quutt uad nun können Sie gehen.“
„Wie werden uns noch ſprechen“, knirſchte Flunker,
blaß vor Wuth⸗.
„Wird mir äußerſt angenehm ſein“, höhate die Ge-
müͤſehändlerin mit einen ſpoͤttiſchen Küx, „wenn Sie

wieder etwas brauchen. Dort iſt die Thür. Stoßen Sie

ſich uicht!“
Eing ſchüchtert von der Gegenwart und der inpoſan-
ten Haltung des kräftigen Ackerbürgers und die bewaff-
nete Jaterventlon deſſelben ſcheuend, verließ Flunker mit

ſeiner Dame den Keller, verfolgt von dem ſchallenden

Gelächter der reſoluten Wittwe. Erſt auf der Straße,
els er ſich ganz ſicher fuͤhlte, machte er ſeinen uaterdrück-
ten Gefühlen gegen ſeine Begleitrin in bitteren Vorwür-
en Luft. ö
„Sis hätten,“ ſagte er ärgerlic, „Sir und ſich ſelbſt
dieſe lächerliche Szene erſparen können. Ich kade Ihnen
ja gleich geſart, daß Sie ſich bei dem Frauenzimmer nur

blamiren werden. Wie konnten Sie nur ſo tzöticht ſein

und die Brieftaſche mit Gwalt fortnehmen. Wir kön-
nen noch Gott danken, daß wir mit blanem Auge da-
vongekommen ſiud.“ ö ö
„Warum find Sie mir nicht zu Hilfe gekommen?“
entgegnete Natalie in gereiztem Ton. „Wenn Si: nur
einen Fusken von Muth beſüßen, ſo würden Sie nicht
eine ſolche Gemeinheit, dieſe Beleidigungen einer Dame
in ihrer Gegenwart erduldet habeu“
„Sie können doch nich verlangen, daß ich mich dait
dieſem Bauernlümmel herumſchla ze. Das ſollte mir ein-
fallen.“ ö
„Der Bauernlümmel hat wenizſtens ſo viel Ehrgefuͤhl,
daß er eine Frau nicht bſchimpfen läßt, während Sie
rubig zuſazen und ſich ſtill zu drücken ſuchten. Sie ſoll-
ten ſich ſchämen!“ ö —
„Natalie! Ich muß mir ernſtlich dieſe Sprache ver-
bitten. Ich erkläre Ihnen ein und für alle Wal, daß
ich dieſen Ton nicht dulde. Noch ſind wir nicht mie eiꝛ-
ander verheizatzet.“ ö
 
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