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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Woermann, Karl: Die Natur und die Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0134

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,02

Die Natnr und die Künstler.

sondern auch mit nachdrücklichen Worten bezeugt. —
Das Zeugnis aus ihren Worten mutet uns, da auch
wir uns der Worte zum Beweis bedienen müssen,
fast noch unmittelbarer an als das Zeugnis aus ihren
Werken. Auch um Wiederholungen zu vermeiden, wollen
wir uns einmal an die schriftlichen Zeugnisse einiger
maßgebenden Künstler halten.

Leon Battista Alberti, der in der Praxis allerdings
als Baumeister bekannter ist denn als Maler, schreibt in
seinen drei Büchern über die Malerei schon 1435 : „Wer
alles, was er darstellt, der Natur entlehnt, wird seine
Hand so erziehen, daß stets, was immer er auch zeichne,
der Natur entnommen scheinen wird .... Einige kopieren
die Figuren andrer Maler, indem sie dabei jene An-
erkennung suchen.... Aber es ist sicher, daß unsre
Maler in großem Irrtum befangen sind, wenn sie nicht
begreifen wollen, daß, wer da malt, die Dinge so dar-
stellen muß, wie er sie ... . von der Natur selbst an-
mutig und richtig gemalt sieht." Kräftiger drückte Leonardo
da Vinci sich in seinem berühmten Trattato della Pittura
aus: Ausdrücklich nennt er die Kunst „die Tochter der
Natur", und an einer andern Stelle bricht er in die
bekannten goldenen Worte aus: „Ich sage den Malern,
daß keiner jemals die Manier eines andern nachahmen
soll, weil er in diesem Falle in Bezug auf die Kunst
nur ein Enkel, nicht ein Sohn der Natur genannt werden
wird. Da die natürlichen Dinge in so reichlicher Fülle
vorhanden sind, so will und soll man viel eher zu ihr,
als zu den Meistern, die von ihr gelernt haben, seine
Zuflucht nehmen." Am kräftigsten aber hat Dürer sich
hierüber in seiner „Proportionslehre" ausgesprochen:
„Gehe nicht von der Natur in deinem Gutdünken, daß
du wollest meinen, das besser an dir selbst zu finden;
denn du würdest verführt. Denn wahrhaftig steckt die
Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der
hat sie.... Je genauer dein Werk dem Leben gemäß
ist, in seiner Gestalt, desto besser erscheint dein Werk;
und dies ist wahr, darum nimm dir nimmermehr vor,
daß du etwas besser mögest oder wollest machen, als es
Gott seiner erschaffenen Natur zu wirken Kraft gegeben
hat; denn dein Vermögen ist kraftlos gegen Gottes
Schaffen („Geschöff")." Und ein andersmal sagt er:
„Aber etliche sind andrer Meinung, reden davon, wie
die Menschen sollten sein. Darüber will ich mit ihnen
nicht rechten. Ich halte aber in Solchem die Natur für
Meister und der Menschen Wahn für Jrrsal."

Das Michelangelo sich seine Kenntnisse „nicht durch
die Mühe und Anstrengung andrer" verschaffen wollte,
sondern „von der Natur selbst, die er sich als Meister
vorsetzte", erzählt Condivi. Daß Rembrandt es als
Grundsatz aufgestellt, man müsse einzig und allein der
Natur folgen, und alle andern Regeln verworfen habe,
berichtet schon Sandrart.

Bon den neueren deutschen Meistern, die sich über
ihre Kunst geäußert haben, sagt selbst Ernst Julius
Hähnel in seinen „Litterarischen Reliquien": „Wer sich
in der Kunst von der Natur abwendet, wird nie etwas
Erhabenes schaffen; denn die Natur ist auch göttlichen
Ursprungs", und Anselm Feuerbach sagt einmal in seinem
„Vermächtnis": „Im gründlichen Studium der Natur
allein ist ewiger Fortschritt".

Im einzelnen Nachweisen zu wollen, daß alle Meister,
die unsterblich geworden, immer und immer wieder zur

Natur als zur Quelle ihrer Kunst zurückgekehrt sind,
würde natürlich ebenso weitläufig wie unnötig sein. Am
wichtigsten wäre es, den Nachweis in Bezug auf die
großen Stilisten und Idealisten im Gegensatz zu ihren
manieristischen Nachahmern zu führen. Doch sei hier auch
nur auf die prächtigen erhaltenen menschlichen Natur-
studien Raffaels und Michelangelos, sowie auf die land-
schaftlichen Studienblätter Claude Lorrains, des Haupt-
vertreters der heroischen Landschaftsmalerei, hingewiesen,
dem man mit Unrecht nachgesagt hat, daß er seine Land-
schaftsgemälde, die die italienischen Einzellandschaften zu
Abbildern der italienischen Landschaft als solcher ver-
arbeiteten, nicht auf treue Naturstudien gegründet habe.

Lehrreicher noch ist auch hier der Beweis aus dem
Gegenteil. Agostino Carracci, eins der Häupter der
„Akademie der auf den Weg Gebrachten" von Bologna,
widmete dem Manieristen Niccolo dell'Abbate das folgende,
der ganzen bolognesischen Schule aus der Seele ge-
schriebene Sonett. Des warnenden Beispiels wegen ver-
lohnt es sich schon, es so schlecht zu übersetzen, wie es
geschrieben. Es lautet:

„Lin guter Maler suche nachzuahmen:

Die Zeichnung Roms mit Pinsel oder Kiele,

Der Venezianer Licht- und Schattenspiele,

Die Farben, die von den Lombarden kamen!

Das Näcbt'ge üb' in Buonarottis Namen,

Nit Tizian wähl' er die Natur zum Ziele,

Lorreggio leit' ihn an zum reinen Stile
Und Raffael zum Gleichgewicht im Rahmen!

Tibaldis Anstand möge dich durchglühen,
von Primaticcio die Erfindungsstärke.

Auch etwas Anmut von Parmeggianino.

Doch kommst zum Ziel du ohne all' die Mühen,
wenn einfach nachahmst du die schönen Werke,

Die hinterlaffen unser Niccolinol"

Wer lächelt heute nicht dieser sonderbaren Lehre?
Wer begreift noch die Zusammenstellung der Manieristen
Tibaldi, Primaticcio, Parmeggianino und Niccolo dell'
Abbate mit den Größten der Großen, die die vorhergehende
Strophe nennt? Und Agostino Carracci selbst? Er wurde
ein so guter Maler, wie er es mit seinem Rezept nur
werden konnte. Aber wird ihn jemand mit Michelangelo
und den übrigen Großen, deren Führerin die Natur war,
auf eine Linie stellen?

Hundertfünfzig Jahre später sehen wir immer noch
dasselbe Spiel sich wiederholen. Anton Raffael Mengs
geht in seinem schon genannten Buche „Über die Schön-
heit und den Geschmack in der Malerei", im vollen
Gegensatz zu den Meistern, deren Urteil auf die Natur
verwies, von Sätzen aus, wie: „Die Schönheit ist die
Seele der Natur" und „Die Kunst kann die Natur an
Schönheit übertreffen". Das ließe sich an sich vielleicht
hören. Wohin diese Anschauung führt, zeigt dann aber
sein Schlußlehrsatz: „Daß der Maler, welcher den guten
Geschmack, nämlich den besten Geschmack, erlernen will,
folgende vier Muster studieren muß, nämlich: 1. in den
Antiken den Geschmack der Schönheit; 2. an dem Raffael
den Geschmack der Bedeutung und des Ausdrucks; 3. an
dem Correggio den Geschmack des Reizes und der Har-
monie, und 4. an dem Tizian den Geschmack der Wahr-
heit und des Kolorits". Also Nachahmung, nichts als
Nachahmung. Erst als halbes Zugeständnis hinkt der
 
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