Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

DOI Artikel:
Crane, Walter: Kunst und Volkstum, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0395

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kunst und Volkstum.

gilt es da auszuhalten bei einer absolut mechanischen,
geistestötenden Handlangung, welche dirigiert wird vom
Schwungrad einer fauchenden Dampfmaschine. — Das
einzige, was man meiner Ansicht nach mit Recht gegen
den Achtstundentag einwenden könnte, besteht in dem
Vorwurf: „warum nicht lieber gleich rationell und
sechs Stunden?!" — Allein selbst wenn sich dieses
Phantom wirklich einmal realisieren könnte, dann wäre
es, unter der heu-
tigen Tyrannei des
„eisernen Lohnge-
setzes" wenigstens,
noch immer sehr
fraglich, ob sich
die erhofften Seg-
nungen des Acht-
stundentages nicht
doch als illusorisch
erwiesen — der
Ausfall an Ver-
dienst würde sie
eben einfach ver-
schlingen. Übrigens,
vorläufig denkt ja
noch niemand an
dergleichen Refor-
mationen.

Zugestanden,
das Los unserer
Lohnarbeiter sei
wirklich nicht benei-
denswert, wie steht
es dann aber mit
dem ihrer Herren?

Einen Bergmann,
einen Dockarbeiter,
einen Heizer um
seine allerdings nur
Physische Ausdauer,

Geduld, Spannkraft
zu beneiden, das
sind wir wohl im
stände, doch wer in
aller Welt vermöchte
wünschenswerte
Vorzüge zu ent-
decken bei diesen
Jammerbildern so
vieler „gemachter"

Leute und vom
Schwindel lebender
Gründer? — Kerls,
die bei ihrer eige-
nen Niedertracht sich nicht scheuen, Familienväter dem
Hungertode preiszugeben, nur weil diese treu hielten
zu ihrer Genossenschaft, dem letzten Rettungsanker des
Arbeiters gegen die Springflut des Kapitals! — Aber
auch jenes Leben selbst, welches das Ideal „Gold und
Behaglichkeit" illustriert, ist meist weit davon entfernt,
gerade begehrt werden zu müssen. Gold, das mag
allerdings schon da sein, was aber die Behaglichkeit
anbelangt, so läßt die oft gar viel zu wünschen übrig
— eine Existenz, die verzweifelt an das Sicherheits-

Von Walter Lrane. 2^2

Ventil eines überheizten Dampfkessels erinnert, eine steife,
Etikette heischende Umgebung, Salons, in denen ein
Überfluß von Möbeln den mangelnden Geschmack ersetzen
soll, ängstlich nachgeäffte, bis über die Ohren zugeknöpfte
Bewegungen und Manieren, eine Sprache, oft nur dazu
da, um Absichten und Beweggründe zu verschleiern —
voilä toui.

Können wir in einem solchen Bilde die Verfleisch-

lichung unseres de-
mokratischen Ideals
finden? Abgesehen
davon, daß der Auf-
wärter genau so
gekleidet ist wie der
Hausherr — was
doch zum mindesten
ein höchst fraglicher
Triumph des alles
gleichmachenden
Staatsgedankens
wäre — vermag ich
hier absolut nichts
Demokratisches zu
entdecken.

Wenn unser de-
mokratisches Regime
uns aber derartige
Schattenrisse vor-
führt, so möchte es
mir fast scheinen,
an unserer sich de-
mokratisch firmie-
renden Staatslei-
tung müsse irgend
Etwas faul sein.
Dieses Zerrbild
kann unmöglich eine
Volksherrschaft ge-
nannt werden —
weit richtiger scheint
mir der Ausdruck
Kapitalsoligarchie.
Lautet das Funda-
mentalgesetz des
Demokratismus
nicht „Gleichheit
aller" ? — wie

können wir da ganz
munter von einer
„Tory-Demokratie"
sprechen? — Adel
und Volk in einen
Topf geworfen, ko-
mischer Ausdruck das! — Ja, ja, wir kennen eben in
unserem Staate ganz wohl gewisse Unterschiede, wir
haben Bürger mehrerer Rangklassen, wie sich der Krämer
ja auch Zucker erster, zweiter und dritter Güte hält,
und wie man auf der Eisenbahn erster, zweiter rc. Klasse
fahren kann. — Nichtsdestoweniger brüsten wir uns
frisch und frei mit unfern demokratischen Institutionen.

Doch lassen wir jetzt die Klassenunterschiede ruhen.
Schließlich sind wir ja alle, hoch wie niedrig, an den
gleichen Triumphwagen angeschmiedet, an den Triumph-

Kaiser Wilhelm II. von Ferdinand Keller.

Oie Ullnst für All- X.

,0
 
Annotationen