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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Crane, Walter: Kunst und Volkstum, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0396

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Kunst und Volkstum, von Walter Lrane.

wagen nämlich der modernen Wirtschaftsordnung, der
da, trotz all der zeitweiligen Hemm- und Bremsversuche,
doch unaufhaltsam seine Eisenpfade weiter braust, rund
um die weite Welt. Seine rastlose Eile schöpft er aus
der unausgesetzten, bis aufs äußerste gesteigerten Arbeits-
leistung von Millionen von Menschen, er gründet sie auf
überangespannten Sehnen und zerrütteten Nerven, und wer
vermöchte anzugeben, was an frisch pulsierendem Menschen-
leben nicht alles schon unter seinen mitleidslosen Rädern
dahinsank! Denn jede seiner Achsendrehung resultiert ja
ausschließlich aus der absoluten Ständigkeit dieser Her-
kulesarbeit und wie nun — wenn plötzlich sämtliche
Arbeiter der Welt auf gemeinsame Abrede hin an
ein und demselben Tage ihre Werkzeuge niederlegen
würden?

Ich habe mich schon oft darüber gewundert, daß
keiner der modernen, realistischen Maler uns Bilder vor-
führt aus dem aktuellen Leben unserer heutigen Industrie,
ich meine: von düsterm Zauber umwehte Szenen ans
dem rdlack countr^r, aus jenen trostlosen Regionen,
die nur die Glut der Hochöfen durchflammt; Schilde-
rungen aus den Minen, den Eisenwerken, den Docks —
fürwahr das dürfte manch tragisches, treu historisches
Gemälde abgeben, das in beredten Zungen predigt von
den wahren Quellen des Reichtums Old Englands und
davon, wie teuer dieser unserem Vaterlande zu stehen
kommt.

Die toten Helden des Schlachtfelds zu verewigen, ihre
Triumphe und Siege der Nachwelt durch Pinsel und Meißel
zu übermitteln, darauf waren die Nationen von jeher be-
dacht. Für die im erbitterten Kampfe ums Dasein
Gefallenen findet sich kein Künstler, und doch stellt das

Luise, Grotzherzogin von Baden.

industrielle und kommerzielle Gebiet ein ungleich gewal-
tigeres Schlachtgefilde dar, ein Schlachtgefilde, auf dessen
blutgetränkten Boden sich ja aufbaut die ganze Macht
unserer Zeit, die sofort zusammenbrechen müßte ohne
jene unausgesetzten Hekatomben von Menschenkraft und
Menschenleben.

-Ein Emporkömmling, der im Kampfe ums

Dasein endlich obgesiegt hat, mag dann wohl bisweilen das
Bedürfnis fühlen, nun auch 'mal etwas für die Kunst
zu thun, obgleich man in früheren Jahren, wenigstens
wenn man sich seine Salons darauf hin ansieht, eigent-
lich diese kunstfreundliche Ader nicht bei ihm spüren
konnte. Nun, was geht uns das schließlich aber an,
wir haben doch nur mit dem Endprodukt, wie es so fix
und fertig vor uns steht, zu rechnen, und wie oft ist
es nicht wirklich auch besser, den verschwiegenen Schleier
des Vergessens lieber hübsch über gewissen Entwickelungs-
stadien liegen zu lassen. Freilich unseren intimen Diners
eine so traurige Staffage zu geben, dem verehrten Herrn
auch einmal die Ehre einer Einladung angedeihen zu
lassen, dazu wird sich wohl so leicht keiner von uns
verstehen.

Unter den traurigen Ausgeburten der krankhaften
Überkultur unserer Tage taucht jetzt auch eine Maler-
schule auf, die entschieden darauf erpicht ist, all ihr
Talent lediglich dazu zu verwenden, um womöglich die
Schönheit des Häßlichen, das Anziehende im Abstoßen-
den zu entdecken. So konnte man z. B. vergangenen
Sommer in Paris die Beobachtung machen, daß ein
wahrer Ansturm herrschte von Bildern, welche Operationen
in Spitälern zum Sujet hatten. Auch hier bei uns giebt
es Kollegen, welche den gewiß oft sein Gutes habenden
Nebel und Rauch gar zu gerne von London wegscheuchen
möchten und zwar just an denjenigen Orten, wo diese
verschwiegene Hülle gerade am allernötigsten ist.

Für derartige Erscheinungen müssen wir allerdings
mehr den durch das Ausstellungsunwesen großgezogenen
Konkurrenzkampf als unsere demokratische Geistesrichtung
verantwortlich machen. Jedenfalls diese Neigung ist nun
einmal vorhanden und droht uns mit den Ketten schwerer
Verantwortlichkeit zu belasten. Wenn nämlich selbst
unsere Künstler, diese berufensten Apostel des Schönen,
so felsenfest überzeugt sind von der Häßlichkeit alles
modernen Lebens, daß sie ohne Zögern stets einen häß-
lichen Stoff wählen, wenn es ja einmal gilt, mit ihrer
Geschicklichkeit in der Behandlung eines Sujets recht zu
paradieren, — dürfen wir uns dann, so frage ich, wundern,
wenn schließlich der große Haufe überhaupt jedes Ver-
ständnis für den Begriff „schön" verliert? Nun gottlob,
noch sind wir nicht ganz so weit, und so lange es nur
irgend geht, wollen wir auch unfern gegenwärtigen Stand-
punkt wahren!

Der Kunstschöpfung stehen viele Mittel zu Gebote,
und viel vermag sie zum Ausdruck zu bringen. Unter
dem einen Gesichtspunkt kann man sie schlicht als die
bildliche Sprache und Wiedergabe einer sinnlichen Wahr-
nehmung bezeichnen, und als solche mag sie, ich gestehe
es ganze offen, gewaltig viel Gutes leisten, dann aber
hat sie auch die Macht, im Hochflug einer begeisterten,
weltentlegenen Allegorik uns Sterbliche hinaufzureißen
zu jenen lichten Höhen, höher, immer höher, so hoch als
Menschenideale überhaupt zu folgen vermögen.

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte.)
 
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