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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Springer, Jaro: Die 1895er Jahresausstellung der Münchener Secession, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0406

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Die ^gyser Jcihresarisstellmig der tNünchener Secession.

vorigen Sommer hatte James Guthrie, das stärkste Talent unter den neueren Glasgowcr Malern ein
Bild hier, das drei junge Damen in unruhigem, zerstreutem Licht sommerlichen Baumschattens darstellte und
das gestellte Problem schlechtweg mit Meisterschaft löste. Das war auch die Aufgabe, die sich Georgi vornahm,
und gelöst hat er sie auch, vielleicht nicht ganz so sicher, nicht ganz so keck wie der andere, aber doch gelöst
„neun lancke". Einer, dessen Licblingsaufgabe es ist, das Spiel des Lichtes ans dem menschlichen Körper,
aber auf dem nackten, darzustellen, ist Christian Landcnberger. Auch dieses Mal hat er wieder einen
nackten Buben „vor dem Bade" in die freie, lichtdurchflntete Sommerluft gesetzt, und sein Bild ist prächtig in
Ton und Licht und Farbe. Auch ein Schwarm drolliger, durchs Sommergrün laufender Kinder ist von ihm
gemalt. Ans Schritt und Tritt begegnet man in dieser Ausstellung der Erscheinung, das; die Künstler sich
selber das denkbar schwerste Pensum hcraussuchcn, ohne Rücksicht auf Erfolg bei der Menge und Erfolg bei
jener winzigen Minorität, die man die „Käufer" nennt. Tie Beobachtung dieser Thatsache allein mühte jedem
Achtung abringen vor den Makern der „Secession" und müßte das blöde Geschimpfe verstummmen lassen, das
sich nicht genug entrüsten kann über ihre Jdcallosigkeit, ihren Mangel an Schönheitsfreude. Die guten Leute
wissen eben nicht, daß ein feiner angelegter Verehrer des Schönen in der Welt cs da sucht und findet,
wohin die Blicke des Philisters in der Regel nicht fallen. Jeder Spießbürger sicht die gewaltige Schönheit
der Hochgebirgswelt, nur ein zarter organisiertes Auge wird imstande sein, die Reize einer Heidclandschaft
mit ihrem ewig wechselnden, an Formen, Farben- und Lichtwirkungen so überreichen, grenzenlos großartigen
Himmel zu verstehen. Vor der Glut eines orangeroten Sonnenuntergangs bleibt schließlich jeder Böotier
einmal einen Moment bewundernd stehen, wenn ihn nicht der Durst allzu heftig ins nächste Bräuhaus treibt
— wie wunderschön es aber ist, wenn das schlichte Helle Sonnenlicht im Walde webt und zitternde Kringel
auf den Moosboden streut, das sieht er nicht. Und was wissen sie in Schilda und Lalenburg vom weh-
mütigen Zauber der Dämmerung in allen ihren Stadien, oder im Gegensatz hierzu vom Reiz des strahlenden,

glühenden, brennhellen Sonnenlichtes an einem Julimittag, oder von tausend anderen Naturstimmungen, die
im bewährten Nczeptbuch der idealen Landschaftsmalcrei nicht verzeichnet stehen! Sie wissen auch nichts vom
Genuß des Schaffens an sich, von dem Genuß, den der Erkennende am Schaffen der andern haben kann.
Die Kritik, welche daS große Publikum verübt und jene, die ihm zuliebe schreiben mögen, sicht die moderne
Kunst immer noch von einem Standpunkte aus an, von dem man gerade das nicht sehen kann, was in ihr
das beste ist! Doch das führt zu weit — zurück zu unseren Bildern!

Manche Anfeindung erfährt Hubert v. Heyden für sein Schweincbild „Ruhe im Sangarteu".
Vielleicht sind die üppigen Unterseiten dieser wohlgenährten, in idyllischer Ruhe schlummernden Dickhäuter
etwas zu rosig geraten, vielleicht ist auch die Menge dcS ungebratencn Schweinefleisches hier allzu dicht anf-
einandcrgehänft — aber voll Humor ist das Bild, mit Kraft und schärfster Beobachtung gezeichnet sind die
Biester, und eine superbe malerische Leistung ist das Ganze auch. Als das letztere kann man auch ein Still-
leben Heydens, „SchnapSflaschcn", bezeichnen. Es erinnert an die besten Arbeiten des Belgiers Jovrs oder

des Franzosen Fonaee. Und dazu ist Hubert v. Heyden auch noch ein trefflicher Landschafter. Heinrich
Zügel, jetzt wohl unbestreitbar der erste unter den deutschen Tiermalern, hat ein großes Ziegenbild geschickt,
dessen unmittelbare Frische und Natnrtrene wohl jedem ins Auge fällt. Was für ein außergewöhnlich guter
Maler, was für ein Meister Zügel aber ist, ganz abgesehen von seiner Vollkommenheit in der bekannten
Spezialität, das zeigt er diescsmal in etlichen kleineren, zum Teil fast skizzenhaften Bildern, „Milchsehlittcn"
und „Winterabend". Das ist gemalt! Dieser dämmerige Winterabend mit der hcimzichcnden Schafherde ist
ein bukolisches Gedicht von wahrhaft hinreißender Poesie, und wie schön und rein der Ton des Bildes, wie harmonisch
sein schwermütiges Kolorit! Wenn einer ein ganzer Maler ist, kann er uns an die Seele rühren, ohne die
kleinste Sentimentalität im Gegenständlichen, er kann unser Innerstes bewegen mit einer Schafherde, vielleicht
sogar mit einer Schwciucfamilie. Und ein anderer mordet Liebespaare, läßt Kinder an Totenbetten weinen,
erwürgt Märtyrer in blutbcsndelter Arena — und wir schauen sein Werk, ohne daß eine Saite mitklingt in
unserem Innern. Ein Tierstück mit poetisch erfaßter Landschaft stellt auch Guido v. Massci, unser bester
Jagdmalcr ans, „Rehe in der Morgendämmerung", und außerdem ein reines Landschaftsbild, hübsch gemalt
und hübsch gestimmt.

Einen schönen Erfolg hat O. H. Engel mit seinem „Meeresleuchten" erzielt. Der strebsame und
reichbcgabte junge Künstler, der sein Talent und Können schon ans den verschiedenartigsten Gebieten erprobt
hat, führt uns mit diesem Bilde hinaus ins nächtliche Meer. In einem Kahn zieht ein junges Paar durch
die dunklen Fluten, die tiefblau daliegen. Nur da, wo Kiel und Ruder die Fluten durchschncidcn, wo das
junge Weib die Hand ins Wasser taucht, sprüht ein magisches phosphorisches Licht. Fein und poetisch! Paul
Schröter, welcher die AuSstclluugcn der „Secession" seit ein Paar Jahren mit prächtigen, holländischen
Interieurs und Fignrcnbildcrn beschickt, hat dieses Mal eine modernisierte „Heilige Familie" nach bekanntem
Rezept gemalt, und seine Arbeit ist nicht so erfreulich wie seine bisherigen Leistungen. Denn diese waren
gesund und ehrlich — diese Zimmermannsfamilie, welche von einem naiven Englein besucht wird, hat der
 
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