Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

DOI Artikel:
Der Amateur-Photograph
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0462

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Eine Wguderei über die WotographiL und ihre Beziehungen zur ünnft.

von F. p. Liesegang.

(Schluß aus dem vorigen Hefte.) Nachdruck verboten.

17nd in der That, die Photographie hat Leute aufzuweisen,
^ welche dies durch ihre Werke bestätigen und Eigenart in ihren
Bildern zeigen. Kenner können dieselben auf den ersten Blick
ebensogut unterscheiden, wie ein Kenner der Maler sagen kann:
das ist ein Raphael, das ist ein Tizian rc.

Die Widersacher des Künstler-Photographen sind geschlagen
wie der Philosoph, der das Vorhandensein der Bewegung ab-
stritt — sein Gegner ging einfach vor ihm hin und her.

Das Ziel des Photographen ist dasselbe wie das des Malers;
die Mittel sind sehr verschieden. Das Bild, welches sich der
Maler in der Phantasie entwirft, muß sich der Photograph in
der Natur aufsuchen oder erst schaffen. Der Maler setzt mit dem
Pinsel Strich neben Strich und bildet sich sein Werk; der Photo-
graph hat mit einem Schlage ein Bild auf der Platte.

Ich habe nicht gesprochen von den Mitteln, die dem Photo-
graphen nach der Aufnahme (beim Entwickeln, Kopieren :c.) zur
Verfügung stehen, um den künstlerischen Eindruck des Bildes zu
erhöhen. Viel läßt sich da nicht mehr machen. Er kann hier
etwas verstärken, da etwas abschwächen — gerade wie der Maler
an seinem Gemälde, das im ganzen fertig ist, hier etwas ab-
dunkelt und dort etwas aushellt. Ein Photograph, der es nicht
versteht, eine künstlerische Aufnahme zu machen, wird durch
Retusche (wir fassen unter diesem Ausdruck die oben angedeutete
Arbeit zusammen) niemals ein Kunstwerk zustande bringen.

Welche Stellung nimmt die Photographie den andern
Künsten gegenüber ein? — Eine graphische Kunst ist sie, so gut
wie die Zeichenkunst, die Malerei u. s. w. Daß die Photographie
eine Sonderstellung einnimmt, darin sind sich die meisten einig.
Aber inwiefern? „Es ist eine photographische Kunst, und es
soll auch eine photographische Kunst bleiben", sagt Dallape. Das
Merkmal der Photographie ist nach ihm eine „vollständige, genaue
und bis in einzelne gehende Schärfe aller Gegenstände". Aller-
dings die Schärfe ist ein Merkmal der Photographie, aber bloß
der wissenschaftlichen und der Photographie des Anfängers, der
jede Einzelheit in seinem Bilde sehen muß. Eine künstlerische
Photographie kann ebensogut unscharf sein wie scharf; sie ist und
bleibt nichtsdestoweniger eine Photographie. — Ebenso steht's
mit den Erklärungen derer, welche die Naturwahrheit als etwas
Erhebendes darstellen und meinen, deshalb müsse die Photographie
für sich dastehen. Was kümmert sich die Kunst um Naturtreue!
Für die Wissenschaft hat sie Wert, für die Kunst kommt sie nicht
in Betracht.

Und doch bleibt die Naturtreue ein Merkmal der Photo-
graphie — aber in anderem Sinne. Der Photograph muß
sich an die Natur halten; er kann nicht darüber hinaus,
er vermag den phantastischen Sprüngen des Malers nicht zu
folgen. Denn stellt der Photograph etwas dar, was in der
Natur nicht wirklich vorkommt, so verletzt er seine Kunst; ein
jeder weiß, daß sein Bild einen Gegenstand darstellt, der eine
gewisse Zeit vor die Camera gestellt werden mußte. „Man wird
es gewiß widersinnig finden", sagt Robinson, „wenn beispiels-
weise jemand eine Gruppe von Cherubim, welche in der Luft
schweben, darstellte. Es wäre möglich, durch zweifaches Kopieren
eine leidliche Photographie von einem Centaur oder einer Meer-
jungfer zu machen, aber der Photograph würde seine Kunst herab-
setzen; man würde kein Vertrauen mehr zu ihm haben, und er
würde verdienen, unter die Barnums gezählt zu werden. Er
wäre schlechter als der große Marktschreier, der zu seinem Vor-
teil sich selbst des Humbugs beschuldigte, während der Photograph
erwarte, daß die Welt sein Werk für Wahrheit halte." Gerade
in dieser Beschränkung, nichts Unwahrscheinliches darstellen zu
können, die sonst keine der andern Künste hat, kann wohl das
Merkmal der Photographie gefunden werden.

Die Malerei hat auf die Photographie einen ziemlichen
Einfluß ausgeübt; wir sehen es in dem Rembrandteffekt, in den
Porträts nach dem Borbilde von Lenbach, wo bloß der Kops
ausgeführt ist u. s. w. Woher kommt das? — Die Photographie
ist eine junge Kunst. Sie besitzt keine Museen, Galerien, wo

der Photograph an Meisterwerken studieren könnte. Er muß sich
deshalb vorerst an die Kunstwerke der Maler halten, um von
ihnen zu lernen — und davon kann er etwas lernen!

Auch das Material des Malers resp. Zeichners wird nach-
geahmt. Hat nicht die Photographie, wie jede andere Kunst-
methode, ihre besondere Eigenart, die durch die Technik geboten
ist (Papier, Ton rc.)? Warum ahmt sie denn als besondere
Kunstgattung die „Mache" anderer Methoden nach? „Es ist
ein schwacher Tribut der Bewunderung, welcher der Photographie
gezollt wird", sagt Robinson, „wenn man sagt, daß eine Photo-
graphie wie ein Stich oder wie eine Sepiazeichnung aussieht."
Und mit Recht. Ein derartiges Bild ist zunächst nur ein Kunst-
stück und wird als solches betrachtet — es braucht noch lange
kein Kunstwerk zu sein. Aber hat diese Nachahmung der Technik
vielleicht doch nicht ihr Gutes? — Zunächst hat es ja einen
gewissen Reiz, einer Photographie das Aussehen einer Gravüre w.
zu geben. Abgesehen davon, daß es ein Beweis der Kunstfertig-

Vom Bodensrr.

keit ist, steigt das Bild scheinbar im Wert, indem eine Radierung
wertvoller ist als ein Abzug eines Negativs. Aber — was
wohl die Hauptsache ist — die Art der Betrachtung und Beur-
teilung wird eine andere. Man ist gewohnt, eine Photographie
besonders aus ihre Schärfe hin zu besehen. Man weiß, die
Photographie ist eine getreue Wiedergabe der Natur; der Mensch
ist nun einmal ein Kleinigkeitskrämer, er interessiert sich für die
Einzelheiten, und auf einer Photographie müssen dieselben zu
finden sein. In dieser Weise werden denn auch die künstlerischen
Photographien betrachtet. Man kann die „unkünstlerischen"
Photographien vorzeigen; wenn sie nur scharf sind, werden sie
für schön befunden. Die Photographie als Kunst ist noch zu
unbekannt! — Sind die Bilder nun von den gewöhnlichen
Photographien verschieden, und machen sie den Eindruck einer
Gravüre, so drängt sich von selbst die richtige Weise der Betrach-
tung und Beurteilung auf.

Mit der Zeit wird die Photographie von diesem Einflüsse
der Malerei frei werden müssen; dann bedarf sie keiner Stütze
mehr. Der junge Vogel wird flügge und baut sich bald sein
eigenes Nest.

Eine künstlerische Photographie hat ebenso gut ihren Kunst-
wert wie jedes andere Gebilde der Kunst; manchmal vielleicht
einen sehr hohen — wenn es auch nur eine Photographie ist.

Ist es nun richtig, nur einen Abzug zu machen und dann
das Negativ zu zerbrechen? Wer macht denn von einem Kupfer-
 
Annotationen