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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Reichenberg, Clemens: Halîm in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0023

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12

Nalrm in München, von Elcmens Reichenberg.

Lustige Gesellschaft, von Paul vägü.

Mir freilich war gar nicht vergnüglich zu Mute;
denn je mehr ich sah, desto wunderlicher wurden mir
die Sitten und der Geschmack der Europäer. Ich sah
ein unendlich langes Bild, das aber nicht hoch war:
darin saß eine ebenso lange Reihe von Bauern und
Bäuerinnen nebeneinander auf Stühlen, gerade so hart
und häßlich wie sie im Leben sind und so steif, als ob
sie auf etwas warteten. Wozu sind diese vielen Bauern
abgemalt und wer soll sie kaufen? fragte ich. „Es ist
eine Huldigung an die animale Kraft", antwortete mir
ein angenehmer junger Mann, der hinter uns stand; „und
ans Verkaufen denken die Künstler nicht, sie sind Idealisten",
fügte ein anderer hinzu. Wieder verstand ich nicht:
ist der ein Idealist, der etwas leistet, was andere nicht
brauchen können? Ich sah ferner viele Landschaften,
so traurig, dunstig, trübe, oder aber so leuchtend in merk-
würdigen Farben, daß der Westen wohl eine ganz andere
Luft und Sonne haben muß als unser Orient, oder die
Farben sind von den Malern erdacht und zusammenge-
fügt — und wie wenige werden dann auf die Dauer
neben der Herrlichkeit der echten, natürlichen Natur be-
stehen! Ich sah viele Bildnisse von Männern und
Frauen, die hier den Blicken und den bösen Reden von
Tausenden preisgegeben werden; ich sah Gemälde mit
nackten Frauen, die sich auf ihren Betten oder im Freien
wälzten: wer an dergleichen anderes sehe, als die reine
Schönheit oder gar daran Anstoß nehme, sei ein Sitten-
loser, oder ein Heuchler, sagte hierbei ein alter Herr
zu einer jungen Dame und zeigte ihr ein Pariser Buch,
das er bei sich trug und das nur von den nackten Frauen-
bildern der dortigen Maler handelte. Ach, und alles
dies wiederholte sich in jedem Saale — bald schwindelte

mir von der Bildung und ich verzweifelte an der Mög-
lichkeit, sie hier oder in Paris zu lernen. Mitleidig
führte mich Zadoch von dannen und versprach mir auf
morgen sanftere Bilder, snscli' alläk ! Wenn Gott will!

Es ist genug, es ist zuviel. Was Zadoch mir
heute in einem anderen Kunsthause zeigte, war im
Grunde dasselbe wie die gestrigen Dinge. Ich kehre
zurück nach Üsküdar und werde dem Vormund berichten
von der Blume der Bildung im Frankenlande, die ich
nicht wohlriechend finde und nicht brechen mag. Er
wird mich schelten und sagen, ich sei ein asiatischer
Osmane ohne Verstand. lAuscll' alläb I Gott hat es
so gewollt — oder sollten die Franken selbst von der
Vernunft und Lauterkeit ihrer Bildung so völlig über-
zeugt sein?

Nns Uviedrich WeMls Wagebücher».

Dichtende und bildende Kunst treffen darin zusammen,
daß beide gestalten, d. h. eine abgegrenzte Masse der Grund-
malerei in bestimmten Verhältnissen, die durch die Natur ge-
geben sind, zur Anschauung bringen sollen, und wenn der
Dichter eine Idee rmrstellt, so ist es ganz dieselbe verfassungs-
weise, als ob der Maler oder Bildhauer die edlen oder schönen
Umrisse eines Körpers giebt. —

Bei Betrachtung bedeutender Kunstwerke am Einzelnen
haften zu können, ist Zeichen eines mittelmäßigen Kopfes. Da-
gegen ist es aber ebenfalls Zeichen der Mittelmäßigkeit eines
Kunstwerks (dichterischen oder plastischen), wenn man über das
Einzelne nicht hinaus kann, wenn es sich dem Ganzen ge-
wissermaßen in den Weg stellt. —
 
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