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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Voll, Karl: Die VII. Internationale Kunstausstellung in München, [3]: das Ausland
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Schultze-Naumburg, Paul: V. Die Kleinkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0472

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378

Die VII. Internationale Kunstausstellung in München.

V. Die Kleinkunst.

von Paul Schultze-Naumburg. Nachdruck -erbaten.

T^^euffchland hat schon oft den Fehler begangen, sich einer
Erkenntnis, die sich das Ausland schon längst zu
nutze gemacht, lange zu verschließen. So auch auf dem
Gebiet, das hier das Thema ist. Erst nachdem die
„Kleinkunst" im modernen Sinn in England, Frankreich,
Holland, Belgien, Dänemark, Schweden und Norwegen
die größte Bedeutung gewonnen, fängt es auch allmählich
bei uns in einzelnen Kreisen an zu tagen und man ahnt,
daß es etwas Besseres giebt, als traditionelle, zweck-
widrige Formen mit Renaissance- und Rokoko-Ornament
zu bekleben. Zwar besonders wohl wollte man diesen

Nische aus einem Zimmer der Kleinkunst.

sonderbaren Schwärmern in offiziellen Kreisen nicht. Es
war lange zweifelhaft, ob es der kleinen Gruppe, die
sich unter dem Banner der „Kleinkunst" zusammengethan
hatte, gelingen würde, sich in der Internationalen Aus-
stellung eine handbreit Boden zu erobern und auf diesem
zum erstenmal in einer staatlichen Ausstellung auf den
Plan zu treten. Mit Mühe gelang es; wenn aber nun
die beiden kleinen Kabinette, in denen ihre Werke unter-
gebracht sind, an allen Orten und Enden wie ein be-
schränkter Versuch wirken würden, wenn in ihnen noch
Mangel an ausgereiften Werken sein würde — dem
Talent der Autoren oder ihren Prinzipien dürfte man
es nicht zur Last legen, denn die ganze Bewegung steckt
bei uns noch in den Anfangsstadien. Und doch besteht
kein Zweifel, daß in diesen beiden Räumen die Keime der
Zukunft liegen, daß von ihnen aus die Probleme gegeben
werden, deren Lösung die Hauptaufgaben für die Künstler
der kommenden Generation sein werden.

Der Titel „Kleinkunst" ist nicht besonders glücklich.

Man denkt dabei zu sehr an Ziergegenstände, an die
»okseis ck'art«, die schon Selbstzweck sind. Mit diesen
zu beginnen, hieße von hinten anfangen. Dekorative
und angewandte Kunst nennt es der Engländer und
trifft dabei den Kern der Sache.

Bis jetzt beschäftigte sich der moderne Künstler mit
dem Schaffen von Einzel-Kunstwerken, die sich Selbst-
zweck sind. Die ästhetische Ausgestaltung unserer Ge-
brauchsgegenstände und Hausgeräte überließ man dem
„Kunsthandwerker", und der erledigte in 9999 von 10000
Fällen die Sache so, indem er die Grundform des Gegen-
standes gedankenlos mit einem historischen Ornament ver-
band und gewöhnlich die ersten verballhornte und das
zweite zur unpassenden Zuthat machte. Von den Räumen,
in die die Gegenstände hineinkommen sollten und deren
zweckmäßiger und ästhetischer Ausgestaltung gar nicht zu
reden. Fenster, die das Licht aufs unzweckmäßigste und
unschönste verteilen, Wände, deren Motiv Unruhe und
Unbehaglichkeit ist, das ist in den Mietwohnungen von
heute die Regel. Ein paar formvollendete Prunkgegen-
stände hineinstellen, hilft also dem Uebel nicht ab.

Das Programm der Reformatoren mußte demnach
lauten: Vor allem und allem stets höchste Zweckmäßigkeit
und Ausdruck dieses Zwecks in der Form. Dann Echtheit
des Materials und Formen, die dem Ausdruck dieses
Materials organisch entwachsen — also keine „Imitation"
mehr. Kein Ankleben von überflüssiger Verzierung, sondern
auch diese muß gleichsam aus der Form wie von selbst
herauswachsen und den Ausdruck des Zwecks verstärken.
Kein billiges Entnehmen aus dem vorrätigen historischen
Ornamentenschatz (der ja der organisch entstandene Aus-
druck des Geschmacks früherer Zeiten, nicht der unfern
ist), sondern ein Zurückgehen auf den großen Urschatz
aller Formen, die Natur, die ja jene Alten auch zuerst
zu Grunde legten.

Man sieht, das Thema berührt noch knapp das
Programm unserer heutigen Kunstausstellungen. Aber wie,
wenn das allein ein Fehler eben dieses Programmes
wäre? Warum denn das Kunstschaffen des Menschen
an ein bestimmtes Material bannen? Warum soll sich
sein künstlerischer Schöpfungsdrang nicht an allem be-
thätigen, was überhaupt nach der Richtung des Schönen
hin auszubauen ist, und warum denn eine Leistung, nur
allein, weil sie von Holz oder Thon ist, geringer werten,
als eine solche aus Oelfarbe?

Ich höre schon die Frage: ja, aber wo kämen wir dann
hin? So würde sich ja die Kunstausstellung in die
Gewerbeausstellung verlieren! — Wär's ein Unglück?
Und wär's nicht auch ganz gut, wenn sich die Gewerbe-
Ausstellung ein wenig der Kunstausstellung näherte?

Ueber Kunstausstellungen und ihre Reformation ist
nun schon so viel gestritten worden. Sie sind unnütz,
langweilig, schädlich. Ganz abschaffen geht nicht, aber
warum nicht eine Reorganisation nach obigen Grundsätzen?

Die Ausstellungen haben eine ganz unglaubliche
Ueberproduktion von Bildern großgezogen. Diese Ueber-
produktion zieht nun ihrerseits wieder eine ebensolche
Ausstellungsjagd hervor. Wär's da nicht die einzige
Rettung, die entfesselten Elemente ins rechte Bett zu
leiten, all die kunstgeübten Hände, die sich heute unnütz
 
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