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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 16.1900-1901

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Voll, Dr. Karl: Darf man vom Niedergang Münchens als Kunststadt sprechen?
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Neue Kunstlitteratur
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https://doi.org/10.11588/diglit.12079#0388

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ALS KUNSTSTADT SPRECHEN! -Cas-

hagen angeführten Punkten unschuldig fühlen.
Etwas weniger Selbstlob und etwas mehr opfer-
willige Thätigkeit im Interesse der Allgemein-
heit wird einer Kritik, wie sie im „Tag" geübt
worden ist, leicht die Spitze abbrechen; denn
das meiste, was zu tadeln ist, betrifft im
Grunde nur Aeusserlichkeiten.

Der Uebelstand liegt im Ausstellungswesen,
für das eine vernünftige Regelung allerdings
bis heute noch nicht gefunden worden ist,
bei uns so wenig wie anderswo. Veranstaltet
man grosse Ausstellungen, so tritt naturge-
mäss die Dutzendware in den Vordergrund.
Man ist darum zu den kleinen „intimen"
übergegangen. Aber auch sie haben ihre
Schattenseiten. Wenn sie nicht ganz hervor-
ragend interessante Arbeiten vorführen
können, werden sie eben ihres geringen Um-
fanges willen keinen Eindruck machen, und
das ist nun einmal das schlimmste für sie.
Das System der Permanenten ist vielleicht
noch immer dasjenige, auf das mit grösster
Aussicht auf Erfolg eine Reorganisation ge-
gründet werden kann. Bis diese aber ein-
tritt, wird es wohl noch lange dauern und
so lange wird auch wohl die Rivalität zwischen
den einzelnen Ausstellungscentren anhalten.
Man wird ja nicht sehr weit vom Ziele sein,
wenn man auch Rosenhagens Artikel, so viel
freundliches Interesse er für München ver-
rät, doch in Zusammenhang mit den Be-
strebungen der Berliner Secession setzt, die
„modernsten" Ausstellungen Deutschlands zu
veranstalten. Konkurrenz hat immer gute
Folgen; mögen diese für Berlin und München
gleich gute sein!

Dr. Karl Voll

NEUE KUNSTLITTERATUR

Jahresmappe 1900 der Deutschen Gesell-
schaft für christliche Kunst*. (Freiburg,
Herdersche Verlagshandlung.l

Auch in dem heuer Gebotenen kommt diese
alljährlich sich erneuernde Gabe der genannten,
ungemein rührigen Gesellschaft einer immer lauter
sich aussprechenden Forderung der Zeit entgegen:
durch neue, selbstempfundene, gedankenreiche
religiöse Kunstschöpfungen die alte inhaltsleere
Schablone zu verdrängen und so einer im besten
Sinne modernen Kunst Eingang in die Hallen der
Gotteshäuser wie in das Heiligtum der Familie zu
verschaffen. Was diesmal Prof. J. Bühlmann, Prof.
G. Hauberrisser, Prof. A. Hess, J. Flossmann, L.
Glötzle, K. Schleibner, Prof. Dr. H. Grauen, Prof.
Dr. O. Freiherr Lochner von Hüttenbach als Juroren
ausgewählt und Benefiziat Josef Popp verständnis-
voll erläutert hat, das wird uns durch die Münchener
Verlagsanstalt F. Bruckmann in meisterhafter Be-
herrschung der verschiedenartigen modernen Re-
produktionstechnik auf prächtigen Kunsttafeln und
in vollendeten Textbildern vor Augen geführt. Die

geistvollen romanischen Kirchenbauten von Prof.
J. H. Schmitz, die gotischen Architekturen von Hilger
Hertel und von H. Schurr, die reichen Portale von
Angermaier, die feinen Skulpturen von Prof. Wadere,
von Prof. Balth. Schmitt, von H. Schiestl und F.
Langenberg, die ergreifenden Gemälde Gebhard
Fugels, besonders seine gewaltige Pfingstpredigt.
Altheimers sinniger Albertusaltar und Zimmermanns
stimmungsreiche Anbetung der Hirten, die schönen
Bilder von Müller-Warth, der auch die Madonna in
dem Umschlagmedaillon geschaffen, endlich die
Kartons zu Kirchenfenstern von Bradl und von Geiges
sind originell, jedes in seiner Art, schaffen für alt-
ehrwürdige Gedanken meist neue Formen und
kommen allen Bedürfnissen der häuslichen Erbau-
ung wie des öffentlichen Gottesdienstes entgegen.
Dem einen Betrachter wird das, dem andern jenes
Blatt besser gefallen, mancher auch mit einzelnem
nicht ganz einverstanden sein; aber gewiss zählt die
heurige Mappe nach Inhalt und Ausführung zu dem
besten, was die immer mehr Freunde gewinnende
>Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst« ihren
Mitgliedern bisher geboten hat. Möge sie damit
Auge und Herz vieler erfreuen und auf den glück-
verheissenden Pfaden unbeirrt vorwärts schreiten.

J. Sch.

Karl Justi. Michelangelo. Beiträge zur
Erklärung der Werke und des Menschen. Mit vier
Abbildungen. G.8. 430 S. (Geh. 12 M., gebd. in Lwd.
14 M. Breitkopf & Härtel in Leipzig 1900.)

Es ist fast zwölf Jahre her, dass Justis »Velazquez«
erschien, und die deutsche Kunstlitteratur eines ihrer
hervorragendsten Werke erhielt. Man konnte ge-
spannt sein, was der Gelehrte, der, allem Tagesgezänk
abgewandt, in Bonn nur seinen Studien lebt, nach so
langer Pause wieder bringen würde, als zur Jahr-
hundertwende sein »Michelangelo- erschien. Hatte
Justi mit seinem Velazquez ein fast unbekanntes
Gebiet betreten und wie mit einem Schlage voll-
ständig erschlossen, so ist sein - Michelangelot ge-
wissermassen der Schlusstein einer fast unüberseh-
baren Litteratur, denn über kaum einen anderen Künst-
ler ist so viel orakelt worden, wie über Michelangelo,
ohne dass doch sein Charakterbild oder auch nur die
Geschichte seiner Arbeiten oder diese selbst voll-
kommen aufgehellt worden wäre. Justis »Michel-
angelo- ist keineswegs eine Künstlerbiographie, wie
etwa der Velazquez, denn des Florentiners Leben ist
bis auf einige dunkele Perioden ziemlich aktenmässig
bekannt. Noch weniger ist es eine ästhetische Ab-
handlung. Es setzt sich vielmehr aus drei lose mit-
einander verknüpften Teilen zusammen, deren beide
erste sich mit den beiden grossen selbständigen Ar-
beiten, der Decke und dem Grabmal Julius' II. be-
schäftigen, deren dritter »bildhauerische Grundzüge
und Gepflogenheiten Michelangelos« gewissermassen
das Resume aus den beiden ersten in Bezug auf
seinen Stil und seine Malerei darstellt. Auch in
dem ersten Abschnitt, dem über die Gemälde der
Decke, beschränkt sich Justi auf bestimmte Teile,
nämlich hauptsächlich auf die Propheten und Sybillen,
die er zum erstenmale mit der grössten theologi-
schen Gelehrsamkeit und hervorragendem künst-
lerischem Feingefühl nach ihren biblischen und
antiken Quellen erklärt und damit die merkwürdig-
sten Einblicke in Michelangelos Art zu arbeiten,
wie zu denken erschliesst. An diese eingehenden
Erörterungen knüpft er nicht minder interessante
Betrachtungen an über die anderen Figurengruppen,
besonders über die dunkele Reihe der sogenannten
Vorfahren Christi, in denen Justi eine ganz beson-
dere Seite von Michelangelos Kunst entdeckt, die
man dem Meister gerne immer abgesprochen hatte.

III
 
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