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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 1
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Scheffler, Karl: Alfred Lichtwark und die Hamburger Kunsthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0018

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JACOB GENSLER, STKAND BEI BLANKENESE

haupt, denn Bertram, zum Beispiel, gehört zu den
allerältesten deutschen Tafelmalern, die wir bis jetzt
kennen. Die beiden Säle, worin diese Werke hanse-
atischer Gotik untergebracht sind, machen einen aus-
gezeichneten Eindruck. Man sieht die hanseatische
Kunst gewissermassen in einer Urzelle. Vor den
Werken Bertrams — einer Reihe von Altarbildern
und einem grossen holzgeschnitzten Altar mit vielen
charakteristischen Figuren— lernt man einen Meister
inniger und tiefer Psychologie kennen, einen Bild-
schnitzer, der aus den Gestalten seiner Zeit eine
frappante, alttestamentarisch mystische Charakteri-
stik herauszuholen und der in das unendliche Vie-
lerlei seines Altarwerks einen wohlthätigen archi-
tektonischen Rhythmus zu bringen wusste. Und
wir erblicken einen Maler, dessen an kunstbeseelten
Gegenständlichkeiten reiche Farbentafeln im edlen
Glanz einer konventionell gegebenen, aber mit
Persönlichkeit lebendig erfüllten Goldgrundkolori-
stik strahlen. Wir sehen in der unbeholfenen
Grazie der Gestaltung ein mehr beschauliches als
dramatisches Temperament; aber es wird von der
Zeit und ihren Aufgaben so ins Monumentale ge-

reckt, dass man vor einigen Bildschnitzereien an
die Skulpturen des Reimser Doms denkt. Dieser
von Lichtwark mit Recht liebevoll gehegter Meister
wirkte in solcher Zeitenferne, dass man gar nichts
von den Traditionen seiner Kunst weiss. Die Lö-
sung dieser Frage würde der gesamten Kunstfor-
schung wertvoll sein.

Dunkel ist auch die genauere Herkunft Meister
Franckes, der um 1414 in Hamburg malte. Dem
nur ästhetisch Betrachtenden scheint ein Zusammen-
hang mit den Kölner Meistern unabweisbar. Be-
sonders vor dem sehr schönen „Schmerzensmann"
denkt man an die alten Kölner Meister. Es ist in
diesem Bild dieselbe fast rokokohafte Artistik; und
es ist auch die gotische Hochkultur zu spüren,
wie sie sich in den gleichzeitigen Bildern der van
Eyck ausspricht. Bertram gegenüber wirkt Meister
Francke fast raffiniert. Wir erkennen einen geist-
reichen, beinah überkultivierten Künstler, dessen
Bilder in ihrem Beieinander etwas ausgesprochen
Kostbares haben, etwas klangvoll Dekoratives. Die
Dramatik dieser Kunst ist auf ihre Wirkungen
formal berechnet, sie ist nicht so innerlich wie bei

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