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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 3
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Waldmann, Emil: Künstlerische Probleme in der vorklassischen Plastik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0184

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sich zu dieser Erscheinung die Allgemeinkultur
damals verhält. Hier ist einmal ein Fall, wo Kunst-
blüte, Kulturblüte und politische Blüte annähernd
zusammenfallen. Die Jahrzehnte nach den Perser-
kriegen waren thatsächlich auch im Leben die
schöpferischen. Wir dürfen uns durch den Glanz
der perikleischen Welt nicht blenden lassen, es ging
trotz und alledem schon abwärts mit der alten
Grösse des Athenerstaates. Nach Kimons Tode
ward politisch Grosses nicht mehr gethan und auch
die Ideale des Lebens verlieren ihre Strenge. Die
männlich ernste einfache Gesinnung galt nicht mehr
als das Höchste, seitdem sich die Philosophen und
Sophisten mit ihrem ewigen Debattieren und ihrem
endlosen Gerede der „Erziehung" bemächtigt hat-
ten, seitdem die Agora mit ihrer Ruhmsucht und
ihrem Grössenwahn das athletisch Agonale ver-
drängt hatte. Für die Entwicklung der Kunst war das
viele Denken und Räsonieren, das im vierten Jahr-
hundert dann so überhand nahm, als ein formzer-
störendes Element schädlich,
es trug ausserkünstlerische
Dinge in die Kunst hinein.
Zudem wurde die Rasse
matter. Die gesunde Kraft
der Jünglinge, die Pindar be-
singt, stolze Söhne stolzer
Männer, musste natürlich an
sich abnehmen, als das Ago-
nale vernachlässigt wurde.

Aber auch sonst machte sich die Rassenverschlech-
terung geltend. Die Mischung der alten aristokra-
tischen Bevölkerung mit Metöken und Fremden, das
Vordrängen der bei Marathon und Salamis siegreich
gewesenen Soldateska im sozialen Leben, und die
vielen durch nationalökonomische Krisen herbei-
geführten Mesalliancen können nicht ohne Einfluss
auf die Gestaltung des Menschen geblieben sein."
Was bei alledem die Kunst der Menschcn-
bildnerei verlieren musste, lässt sich leicht ermessen:
ihr Rohmaterial verschlechterte sich zusehends. In
dem Augenblicke aber, wo der naive Glaube dieser
Kunst an die Herrlichkeit des Menschengeschöpfes
erschüttert wurde, musste auch das wunderbare
Gleichgewichtsverhältnis zwischen Natur und Stil,
zwischen Wahrnehmung und Idealität ins Schwan-
ken geraten; als die holde Unbekümmertheit vor
dem Objekt verloren war, wurde auch der innerliche
Stolz dieser Kunst gebrochen. Und so erleben wir
das seltsame Schauspiel, dass die grösste „Persön-
lichkeit" der damaligen Zeit,
der reife Phidias, nicht der
EröfFner einer neuen Epoche
wird, sondern dass er der
Vollender einer alten, dahin-
schwindenden ist: das Loos
aller Klassiker.

f Theognis und Aristophanes
sind Zeugen dafür. Näheres in
Burckhardts griechischer Kulturge-
schichte.

FRAGMENT EINER QUADRIGA. ATTISCH.

AKROPOLISMUSEUM IN ATHEN

PHOTOGR. PAPA1ANNOPULOS.

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