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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Liebermann, Max: Hugo von Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0198

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fasser der Tierwelt in den Alpen, in dessen Hause
Hugo erzogen wurde, muss sein Vater ein bedeu-
tender Mann gewesen sein. Von Haus aus Medi-
ziner, macht er weite Reisen, studiert besonders
Land und Leute in Mexiko, schrieb von dort aus
Briefe über — die Schäden im Auswandererwesen,
auf Grund deren ihn die Schweiz zu ihrem Ge-
sandten in Wien ernannte. Mütterlicherseits dem
Malergcschlecht der Schnorr von Carolsfeld ent-
stammend, lernt er in seinem elterlichen Hause
alles kennen, was sich in Wien durch Geburt und
geistige Bedeutung auszeichnet, und gelangt so
schon als Gymnasiast zu dem ruhigen Auftreten,
zu dem sicheren Selbstbewusstsein, das sich andere,
in minder glücklichen Verhältnissen Geborne, selten
und auch nur mühsam erwerben. Es erscheint ihm
selbstverständlich, dass er etwas Hervorragendes
leisten wird, schon zu einer Zeit, als ihm noch völlig
dunkel war, worin er sich auszeichnen würde. Und
dieser Mann, dem die Natur ihre herrlichsten Ge-
schenke an Körper und Geist in die Wiege gelegt
hatte und der durch Erziehung und flüssigste Selbst-
zucht diese Gaben so weit wie möglich entwickelt
hatte, statt wie es so häufig bei schönen, von der
Natur besonders bevorzugten Menschen geschieht,
sie zu vergeuden: dieser Adonis wird in jugend-
lichem Alter von einer Krankheit heimgesucht,
die ihn zum Selbstmord getrieben hätte, wenn er
nicht Künstler genug gewesen wäre, um Optimist
zu sein. Oft genug kam ihm der Gedanke, seinem
Leiden gewaltsam ein Ende zu machen und nur
der Glaube an seine Mission gab ihm den Mut, es
weiter zu ertragen, und diesen Heroismus müssen
wir doppelt bewundern bei einem Manne von so
heftigem Temperament, dass er einst einen venetia-
nischen Gondolier beinahe erwürgt hätte, weil der
ihn übervorteilen wollte. Freilich hat er es durch
feste Selbstdisziplinierung früh gebändigt. Ausser-
lich das Bild vornehmer, ja kalter Ruhe, stürmten
in ihm alle Leidenschaften und Begierden, denn
„nichts Menschliches blieb ihm fern". Wer ihn
so sah, den eleganten Mann mit den vornehmen
lässigen Manieren, hätte ihn für einen Diplomaten
halten mögen; er war eher verschlossen und schweig-
sam als gesprächig, ohne Spur von Sentimentalität,
jede innere Regung hinter grimmigen Sarkasmen
und manchmal brutalem Humor verbergend. Wie
hätte sich der aber geirrt, der Tschudi für kalt oder
gar temperamentlos gehalten hätte. Er war zu
stolz, um seine Gefühle zur Schau zu stellen.

Ich lernte Tschudi vor fast einem Menschen-

alter kennen, als er nach längerem Aufenthalt in
Italien, wo er in dem Marees- und Böcklin-Kreise
verkehrte und dessen Anschauungen teilte, nach
Berlin gekommen war, um an den Museen zu ar-
beiten. Er war dann jahrelang Direktorialassistent,
besonders die alten Vlamen studierend und seine
Forschungen in spärlichen Abhandlungen nieder-
legend. Auch in dieser vornehmen Zurückhaltung
zeigt sich sein Charakter: während andere nie ge-
nug und nicht früh genug, was sie eben erforscht,
durch den Druck zu veröffentlichen suchen, müssen
ihn, den vollendeten Meister des geschriebenen Wor-
tes, die Freunde und vor allem er selbst sich zur
Drucklegung geradezu zwingen, denn nie glaubte
er sich genug gethan, nie sich treffend genug aus-
gedrückt zu haben. Tschudis Ausdrucksweise hatte
nichts Gelerntes oder Erborgtes. Kein Element der
Mode: er sprach und schrieb ein vollendetes Deutsch.
Flaubert sagt mal, dass das richtige Wort, wenn er
es endlich gefunden, auch das wohlklingendste sei:
auch Tschudi arbeitete oft tagelang an einer Druck-
seite, aber das Wenige, was er geschrieben, ist von
klassisch vollendeter Form. Nicht etwa von jener
geheimrätlichen Klassizität, die nur formal ist, son-
dern ich meine jenenatürlicheEinfachheitundSelbst-
verständlichkeit im Ausdruck, die nicht zehn Worte
gebraucht, wo man mit einem auskommen kann.

In seiner stetigen und eher langsamen Ent-
wickelung tritt der Wendepunkt ein, der über sein
Schicksal entscheiden sollte, als er im Alter von
45 Jahren zu seiner eigenen und der Welt Über-
raschung zum Direktor der Nationalgalerie ernannt
wird. Aber die Überraschung der Welt wurde
noch grösser, als sie plötzlich in Tschudi alle Eigen-
schaften sich entfalten sah, deren Keime nicht nur
ihr, sondern selbst seinen Freunden bis dahin ver-
borgen geblieben waren.

Damals war Richard Schöne Generaldirektor
der Museen, der das Verdienst hat, in dem ziemlich
kaltgestellten Direktorial-Assistenten die Qualitäten
erkannt zu haben, die zur Reinigung und Reorgani-
sation der Galerie nötig waren. Denn damals glich
die Nationalgalerie mehr einer zufälligen Anhäufung
von Bildern, — wie sie es ja auch ihrer Entstehung
nach war — mehr einer Altersversorgungsanstalt
für invalide Künstler, als einem Tempel errichtet
„der deutschen Kunst", wie es stolz auf dem Fronti-
spiz des Gebäudes heisst.

Kurz nach seiner Ernennung zum Direktor
reisten Tschudi und ich nach Paris: er wollte die
dortige Kunst, vor allem aber die Pariser Künstler

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