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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Liebermann, Max: Hugo von Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0200

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der Held in der Schlacht gefallen war, sein Werk denkt, hat er sich selbst gezeichnet: von der mo-
blieb bestehen und wird bestehen bleiben. dernen Kunst aus müsse man zum Verständnis der
Die ehrenvolle Berufung nach München war alten Kunst vordringen, und nicht, wie bisher, um-
für den schwergekränkten Mann eine grosse Ge- gekehrt; er wusste, dass wer nichts von neuer Kunst
nugthuung, und mit jugendlicher Begeisterung ging versteht (deren Verständnis uns um so viel näher
der bald Sechzigjährige ans Werk. Was er in der steht), auch nichts von alter Kunst verstehen könne,
kurzen Zeit seiner Münchner Wirksamkeit geleistet denn es giebt nur eine Kunst, ob alt oder neu, die
hat, ist staunenswert. Wie er, was wertlos, aus- Kunst, die — lebt! Er erkannte, dass jeder Maler nur
merzte, Fehlendes aus den Provinzialmuseen er- dann ein Künstler ist, wenn er seine eigene Sprache
gänzte und die Pinakothek neu ordnete, gereicht spricht und dass es eine Thorheit ist, von einem
ihm zu unvergänglichem Ruhme. Es zeigt nicht modernen Künstler zu verlangen, dass er wie Rem-
nur, dass er das ganze ungeheure Gebiet der alten brandt oder Velasquez malen solle. Und während
Kunst durchaus beherrschte, sondern er bewies seine Zunftgenossen Ach und Weh über den Ver-
auch seinen phänomenalen Geschmack und seinen fall der modernen Kunst schrien, weil sie deren
nie irrenden Instinkt für die Qualität der Werke. Sprache nicht gelernt hatten, und zu bequem waren
Denn in Tschudi war neben dem Gelehrten der umzulernen: erkannte Tschudi, dass jede Renaissance
Künstler. Nicht Akribie und die Untersuchung in der Kunst nur in der Erfindung ihrer neuen
mit der Lupe, nicht der Taufschein sondern der Ausdrucksweise bestehen kann. Er erkannte, dass
Augenschein waren ihm das Kriterium für die der Impressionismus nicht eine neue Richtung in
Echtheit und die Qualität des Werkes. In ihm der Malerei ist, sondern eine neue Weltanschauung,
durchdrang in wunderbarer und vielleicht deshalb die nicht etwa den Verfall der Malerei bedeutet,
so seltner Mischung der Gelehrte den Künstler und sondern eine Wiederbelebung,
aus dieser Mischung erklären sich seine Wirkung Leider versagte ihm das Schicksal zu vollenden,
und sein kolossaler Erfolg. Er erkannte nicht nur was er in München begonnen; aber er hat in der
die historischen Zusammenhänge der Kunst, son- kurzen Zeit seines dortigen Wirkens das Wesent-
dern er erkannte das Wesen der Kunst, das ewig liehe gethan: sein Nachfolger kann, wie in Berlin
Werdende in ihr. Er legte beim Kunstgelehrten so in München, auf dem von ihm gebahnten Wege
den Accent auf Kunst, und er sammelte die Kunst, fortschreiten. Er starb wie der tragische Held, im
die er liebte, nicht die, die gerade beliebt war. Zenith seines Ruhmes und seiner Wirksamkeit,

Er sammelte nicht wie der Bota-
niker, der in seinem Herbarium
sämtliche seltene Exemplare der
Flora vertreten haben will. Und
während er einerseits mit dämo-
nischer Leidenschaft und mit
brutaler Energie in den Besitz der
Kunstwerke zu gelangen suchte,
die ihm für die Galerie nötig
schienen, hat er sich andererseits
nie von politischen Rücksichten
oder —- was noch gemeiner —
von persönlichen Vorteilen be-
stimmen lassen, Mittelmässiges in
seine Sammlung aufzunehmen.

Die klassischen, lapidaren
Worte, die er vor kaum einem
halben Jahre in dem Vorwort zur
Nemes-Sammlung geschrieben,
sind sein künstlerisches Testament
geworden, in dem modernen
Museumsleiter, wie er sich ihn

HUGO VON TSCHUDI,
NACH EINER JUGENDPHOTOGRAPHIE

nachdem er in München gefun-
den, was ihm in Berlin so schnöde
versagt worden war: einen kunst-
sinnigen Prinzen, der ihm volles
Vertrauen schenkt, eine vorge-
setzte Behörde, die in ihm den
Reorganisator des Museums er-
blickt und ihm in allen seinen
Maassnahmcn ihre Unterstützung
leiht, eine Künstlerschaft, die
zuerst zögernd abwartet, dann
von seinen Leistungen bezwungen
ihm folgt. Was hätte der seltene
Mann noch schaffen können! Was
hätte er uns allen noch sein kön-
nen! Er ist uns auf ewig entrissen
und nur in der Erinnerung an ihn
werden wir schwachen Trost über
seinenVerlust finden können. Aber
sein Wirken wird unvergänglich
bleiben, denn er war Förderer
und Mehrer unserer Kultur.

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