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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Scheffler, Karl: Notizen über die 23. Ausstellung der Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0209

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Der Plastik gegenüber fällt es auf, wie sehr
sich die Bildhauer architektonisch beschwichtigter
Formen befleissigen. Es ist, als fürchteten sie noch
heute die Rodinsche Formenübersteigerung. Der
Vergleich ist dieses Mal bequem. Drei Arbeiten
Rodins beweisen, dass dieser Künstler durchaus
noch nicht abgethan ist. Auch nicht als Vorbild.
Nichts von dem Vorhandenen reicht an die go-
tische Kraft seiner „Kauernden" hinan, nichts
auch von der andern Seite an das modern beseelte
Barock seines Marmors „Francesca und Paolo".
Man hungert schliesslich doch nach mehr Aus-
druck, als die architektonisch geregelte Melodik
Tuaillons oder auch Hallers enthält. Besonders
erfreut darum der zarte ekstatische Hodlerreiz in
Georg Kolbes „Erwachen". Wie Kolbe denn über-
haupt ein vorzügliches Jahr gehabt hat. Klinger ver-
sucht es mit Anstrengung, Rodin in der Ausdrucks-

kraft nahe zu kommen; aber er setzt sich zu sehr in
Szene. Seine Empfindungen sind edelstes Treibhaus.
Klimsch macht, dass man seinen Fleiss bewundert,
und seine Routine, seine kluge Geschicklichkeit und
die Fülle der Aufträge. Wenn es Schillerpreise für
Plastik gäbe, würde er ihn bekommen. Denn er hat
die erfolgversprechende Verbindung von Können
und Allgemeinverständlichkeit. In den kleinen Skiz-
zen Engelmanns erklingt eine eigene, weiche und
anmutige Melodik. Mendelssohn-Bartholdy etwa.
Es wäre alles gut, wenn nur Rodins fast ver-
krüppelt erscheinende „Kauernde" zwischen all der
„reinen Form" nicht mit so ganz anderer Grösse
wirkte. Diese Arbeit distanciert alle anderen Skulp-
turen. Wie wärs, wenn die nun reifer und
selbständiger gewordenen deutschen Bildhauer sich
zeitweise der merkwürdigen Grossheit dieses dä-
monischen Naturells wieder zuwendeten?

MAX KLINGER, BILDNISBÜSTE GEHEIMRAT LAMPRECHTS.

MIT GENEHMIGUNG VON E. A. SEEMANN, LEIPZIG

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