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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 4
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Kümmel, Otto: Ostasiatische Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0227

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HANGEPLATTE MIT DER BUDDHISTISCHEN GOTTHEIT KOKUZO
JAPAN II.—12. JAHRH.

Sie gefallen durch ihren Naturalismus, der meist irgend-
eines obskuren Pariser Modelleurs Werk ist, und durch
ihre schöne Billigkeit, in unseren Augen die wertvollste
Eigenschaft ostasiatischer Ware. Selbst die Netsuke,
die bei uns am besten bekannten Werke der ost-
asiatischen Plastik, geben von ihrem Wesen durch-
aus keine Vorstellung. Soweit sie nicht Export-
artikel sind, gehören sie in der That zu den reiz-
vollsten Werken der Schnitzkunst, verfolgen aber
als Geräte, nämlich als Knöpfe, ganz andere künst-
lerische Ziele, als die grosse und freie Bildnerei.

Diese dient fast noch ausschliesslicher, als die
Skulptur unseres Mittelalters, den Bedürfnissen des
Kultus, und zwar des buddhistischen Kultus. Nicht
die Darstellung schöner Menschlichkeit, sondern
des Über- und Aussermenschlichen ist ihr Absicht
und Ziel. Der nackte menschliche Körper, und gar
der weibliche Körper, den uns eine merkwürdige
Mischung von klassischer Phrase und Geschlecht-
lichkeit gegen alle Lebensgewohnheit für das
schönste Gebild der Schöpfung zu halten verbindet,
hat sie gar nicht interessiert, obwohl — in Japan
wenigstens — noch vor kurzem wahrscheinlich mehr
natürliche Nacktheit gesehen werden konnte, als in
dem sehr „orientalischen" Athen der klassischen
Zeit. Selbst die Porträtplastik, der auch in Ostasien
die grösste Freiheit versrattet war, ist fast immer
religiöse Plastik. Von dem modernen Japan abge-
sehen, dessen öffentliche Monumente die traurig-
sten deutschen und sogar französischen Leistungen

übertreffen, ist auch die Porträtstatue Kultstatue, das
Verehrungsbild im Tempel des vergotteten Toten,
nicht ein Denkmal des Lebenden. DemHellenen wird
der Gott zum Menschen, dem Ostasiaten der Mensch
zumGotte,undjedeUmbiIdung,dieihn vonderMensch-
lichkeit entfernte, brachte ihn der Göttlichkeit näher.
Es ist wirklich nicht leicht, eine plastische Kunst
zu finden, deren innerstes Wesen dem der helle-
nischen stärker entgegengesetzt ist. Trotzdem hat
die Wissenschaft sich mit besonderer Liebe bemüht
nachzuweisen, dass die chinesische Skulptur, von der
die japanische völlig abhängig ist, gerade den Grie-
chen, genauer gesagt barbarischen Nachahmern der
Griechen, ihr Bestes verdanke, ja dass sie eigentlich
nichts anderes sei als eine Entartung der griechischen
Skulptur. In der That hat im äussersten Westen des
grosschinesischen Reichs an den Grenzen Indiens
Jahrhunderte lang eine buddhistische Kunst geblüht,
die durchaus einen Ableger der spärgriechischen dar-
stellt. Ob aber wirklich gerade diese Kunst der spä-
teren buddhistischen ihre wichtigstenTypen undKom-
positionen gegeben hat, ist schon zweifelhaft; viel
wahrscheinlicher, dass sich in dieserGrenzprovinzeine
alte einheimische Kunst der antiken nur anglich. Die
gründliche Zerstörung der altindischen und chinesischen
Denkmäler allein konnte zu dieser Ignorierung der
altenKunst der beidenLänder führen, derenExistenz uns
die Schriftquellen sicher überliefern.

RÜCKSEITE EINES BRONZESPIEGELS, CHINA 7.—9. JAHRH.

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