Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Lichtwark, Alfred: Der Sammler, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0248

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


n
1

Hunderttausende oder gar Millionen. Für ein Blatt des Volkes ist damit nicht erschöpft. Sein hoch
Papier mit den Linien der Radierung kann bei ster Wert liegt nicht in dem Preis, den es er-
derselben Grösse einmal fünf Pfennige, einmal reicht, sondern in der Wirkung, die es ausübt,
fünftausend und (in seltenen Fällen) fünfzigtausend Es giebt so wenig den Genius an sich wie den
Mark und darüber bezahlt werden. Der Volks- Apfel an sich. Der Genius ragt hoch über sein
wirt weiss, dass Geld immer etwas ausdrückt. Und
da bei bemalter Leinwand oder bedrucktem Papier
nicht von einer Veredelung des Stoffes gesprochen
werden kann wie bei der Verwandlung von Roh-
eisen in Uhrfedern
— an sich sind Far-
ben und Leinwand
durch den Maler zu-
nächst verdorben —,
so muss er nach
einer andern Ursache
suchen.

Der Volkswirt
rindet die hohe Be-
wertung im Wesen
desKunstwerkes dar-
in begründet, dass
es, einem Akkumu-
lator subtilster Art
vergleichbar, die ge-
waltige Lebensener-
gie und die künstle-
rische Sonderart eines
ganz grossen Men-
schen aufbewahrt.
Was in der Seele eines
grossen Musikers,
Dichters oder Malers
gejubelt oder ge-
stöhnt, gejammert
oder frohlockt, ge-
bangt oder getollt
hat, das klingt oder
leuchtet aus ihren
Werken durch die

ED. MANET, l'AONIEN

SAMMLUNG MAX LIEliERMANN, BERLIN

an
Volk hinaus, ein Wahrzeichen für die Welt. Aber
seine Wurzeln senken sich unentwirrbar von denen
seines Volkes in das Erdreich. Ein Lebenssaft
nährt alle Volksgenossen. Es giebt den Maler, den

Dichter, den Musiker
nur in dieser volk-
lichen Ausprägung
als deutschen, franzö-
sischen, italienischen
Künstler. Was sie
schaffen, ist von dem
Gesamtgeist ihres
Volkes getragen und
wirkt formend zu-
rück auf den Gesamt-
geist und die Ent-
wicklung der einzel-
nen Seele. Jeder von
uns weiss, was im
Leben der Mensch-
heit die Veröffent-
lichung des Robinson
oder des Gulliver,
was unserem Volke
das Erscheinen des
Faust bedeutet hat
und welche Verän-
derungen in ihm sel-
ber vorgegangen am
Tag, wo er als Knabe
Robinson und Gulli-
ver und als Jüngling
den Faust zu lesen be-

g

ann.

I

Die Grossthaten

Jahrtausende. Was wäre die Matthäuspassion, was der bildenden Künstler üben, wo die Kultur für
der Figaro, der Hamlet oder der Faust wert, wenn ihre Aufnahme vorhanden ist, dieselbe Umbildung
sie, wie ein Bild, nur einmal auf der Welt wären! aus wie Goethes Faust oder Mozarts Figaro. Dass
Hätte die bildende Kunst ein Publikum wie die ein Volk die Werke seiner grossen Maler und Bild-
Musik oder die Dichtung, niemand würde sich hauer im Besitz behält, ist deshalb eine nationale
wundern, dass ein Hauptwerk Raffaels oder Rem- Daseinsfrage,
brandts auf Millionen gewertet wird. In der Theorie kann es darüber keine Mei-

Mit Recht wird also der Marktwert eines nungsverschiedenheit geben. Aber die Praxis kennt

Kunstwerkes höchsten Ranges die Werte aller an- auf dem Gebiete der bildenden Kunst vielerlei

dem Erzeugnisse eines Volkes überragen. Hemmungen.

Aber die Bedeutung des Kunstwerks im Leben Zunächst pflegt es seit dem Anfange des neun-

230
 
Annotationen