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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 5
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Hancke, Erich: Eugène Delacroix: in seinem Tagebuch
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0272

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Delacroix war sich selbst am besten der
Schwierigkeit bewusst, über einen Künstler
etwas Absolutes zu sagen und wenn er sich
gegen seine eigene Überzeugung zur Abfassung
längerer Aufsätze entschloss, so beging auch er den
Fehler der Kunstschriftsteller, zugunsten einer vor-
gefassten Idee die Wahrheit zu verletzen. Wenn
er über einen Künstler nur einzelne Bemerkungen
— und diese werden sich natürlich mitunter wider-
sprechen — aufzeichnet, so legt er immer etwas

will ich eine Äusserung über Michelangelo anführen.
Sein Freund, der Maler Chenevard, hatte ihn mit
seiner anmassenden Bewunderung für Michelangelo
zum Widerspruch gereizt. Aus dieser Empfindung
heraus schrieb er: „Ich sage, dass er nur Muskeln
malte, Posen, in denen der allgemeinen Ansicht
zum Trotz nicht einmal das Wissen hervorragend
ist. Die schlechteste Antike ist unendlich besser
verstanden, als das ganze Lebenswerk Michelangelos.
Er kannte keine der Leidenschaften der Menschen.

I

EUGENE DELACROIX,[[jUNGE LÖWIN

von dem innersten Wesen dieses Künstlers bloss,
doch sobald er diese Bemerkungen in Einklang
bringen will, sobald er ein fertiges, lückenloses Bild
daraus machen will, begegnet es auch ihm, dass
dieses Bild unähnlich wird und weder dem Original
noch auch seiner eigenen Auffassung mehr ganz
entspricht.

Als Beispiel solcher originellen Bemerkungen,
die ihm in Gesprächen mit anderen, bei Betrachtung
von Kunstwerken, während der Arbeit oder auf
Spaziergängen kamen und die er sich abends notierte,

Wenn er einen Arm und ein Bein macht, so scheint
er nur an diesen Arm und an dieses Bein zu denken
und nicht im geringsten an seine Beziehung weder
zu dem Werke als Ganzem noch sogar zu der Person,
zu der es gehört.

Man muss zugestehen, dass Stücke, die'mit so
ausschliesslicher Vorliebe behandelt sind, geeignet
sind, schon an sich zu begeistern. Darin beruht sein
grosser Wert. Er legt Grösse und Furchtbarkeit
sogar in ein einzelnes Glied." So krass diese Äusse-
rung klingen mag, so beleuchtet sie doch wie ein

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