Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe (10.1912)

hörenden Skizzen zum Besuch des steinernen Gastes,
deren eine in der Sammlung Fuchs hängt. In der
toten Hand des Komturen, die von dem Lebenden
entschlossen ergriffen wird, offenbart sich ewig
Menschliches. Im übrigen aber, in den Indianern
des Lederstrumpfes, auch in denen der llias und
in sämtlichen Räubern des Morgenlandes sprüht
und blitzt gewiss eine fabulierende Phantastik, eine
pikante Theatralik, eine quirlende Lust an der Vi-
talisierung von Hieroglyphen; was aber mangelt,
ist dieses: die Not der Seele und der Schrei nach
Erlösung. Vielleicht könnte man an die Löwen
und die Beduinen des Delacroix erinnern; wenn
man nicht wüsste, dass solche afrikanische Roman-
tik Daumiers geistigem Vater unendlich mehr war,
als ein illustrativer Rausch. Delacroix und Daumier
entwirkten mit jedem Strich Metaphysisches. „Ce

gaillard la a du Michel Ange sous la peau", sagte
Balzac vom jungen Daumier. Die Illustrationen
Slevogts zeigen eine letzte Verwandtschaft zu den
sinnlichen Spielen des Watteau.

Slevogt dankt dem Daumier viel; Liebermann
liebt ihn. Zuweilen hat man den Eindruck, als ob
durch solche Liebe dem Daumier eine neue Er-
füllung käme. Gewiss, wenn Liebermann die
Fischer, die Bauern oder das Volk von Amsterdam
gestaltet, so liegt ihm nichts ferner, als die soziale
Propaganda. Da er aber in Ehrfurcht „sich von dem
Objekt das Gesetz diktieren lässt", so wirkt er in
sein Werk vieles ein von des Menschen Leid und
Sehnsucht. So kommt es, dass Liebermann, nur
anschauend und aller illustrativen Absicht fern,
mehr vom Drama des Lebens gestaltet als Slevogt,
der sich um die Themen Daumiers müht.

MAX LIEBERMANN, BÖRSE IN AMSTERDAM. PASTELL. I90I

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