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Trotzdem haben die Gruppen und Figurenskizzen
Tiepolos fast immer einen ganz bildmässigen, ge-
schlossenen Charakter, im malerischen Eindruck
des Ganzen wie selbst in der Andeutung der leich-
ten oder schwer lastenden Stoffe der Kleider, der De-
tails, der Schmuckteile und dergleichen mehr. Nur
wenige Maler haben das Wesentliche der Formen
und sogar des farbigen Scheins ihrer Gemälde schon
in der Skizze so weit vorauszunehmen verstanden,
wie Tiepolo — seine französischen Zeitgenossen,
von denen manche übrigens viel von ihm gelernt
haben, sind ihm auch hierin verwandt — das
erklärt sich wohl daraus, dass er die wesentlichen
Elemente seiner Kunst: Bewegung und Licht, schon
in der lavierten Federzeichnung mit seiner Meister-
schaft vollkommen zur Anschauung bringen konnte.
Durch die Fluten blendenden Lichtes, die in seinen
Gemälden die Gruppen gliedern und formen, die
perspektivische Verschiebung deutlich machen,
werden überhaupt die Einzelformen und die Farben
als Lokaltöne der Aufmerksamkeit des Beschauers
mehr entzogen. Tiepolo liebt überdies auch in
seinen Gemälden eine geniale Kürze der Raum-
schilderung. Ein Baum, der meist quer einschneidend
in den Raum hineinragt, genügt zur Andeutung des
Landes, ein einsam schwebender Vogel sugge-
riert die Vorstellung weiter Lufträume, eine ge-
waltige Säule, breite Stufen oder Balustraden geben
hinreichend den Eindruck grossartiger Architek-
turen.
Allerdings muss man Tiepolos Zeichnungen in
den Originalen betrachten, um beurteilen tu kön-
nen, wie vollkommen er die Effekte der Beleuch-
tung schon hier zu erzielen verstanden hat. In den
Nachbildungen fehlt die Wirkung des warmweissen,
belebten Papiertones, der die breite Lichtmasse
bildet und in seiner Leuchtkraft durch die spärlich
verteilten tiefen Schattenflecke noch gesteigert wird,
der die Umrisslinien so aufzehrt, dass sie dem
Auge kaum mehr als Linien zum Bewusstsein kom-
men. Aus der blendenden Sonne in freier Luft
scheinen die Gestalten, unbestimmt in den Umrissen
wie man die Formen in solcher Beleuchtung sieht,
aufzutauchen. Die einzelne Linie als solche in ihrer
starken Bewegtheit und flimmernden Unbestimmt-
heit scheint stückweis betrachtet fast formlos, im
Gegensatze zu der Zeichnung der Renaissance und
des Klassizismus, bei der man in jedem Teilchen
seine Bedeutung als Form erkennen kann. In Tie-
polos Skizzen gewinnt das Einzelne erst im Zusammen-
hange der ganzen Komposition gestaltende Aus-
druckskraft. Mit nicht geringerer Meisterschaft
als in seinen Gemälden und Zeichnungen hat Tie-
polo in seinen Radierungen diese Wirkungen des
starken Lichtes auf die Umrisslinie wiederzugeben
verstanden.
Von den Bestrebungen moderner Kunst nach
dieser Richtung hin unterscheidet Tiepolo seine von
den Geschlechtern der Vorfahren ererbte Stilkraft,
die Fähigkeit, den unmittelbaren, flüchtigen Natur-
eindruck, ohne seine Wesenheit zu verletzen, nach
dem Sinne, dem Schmuckerfordernis und der
Stimmung des für die dauernde Betrachtung be-
stimmten Kunstwerkes umzugestalten.
Schon in den Skizzen ist diese Umgestaltung
der in der Wirklichkeit oder in der Phantasie
erschauten Formen für die Zwecke ihrer Verwen-
dung vor sich gegangen, so stark die Gestalten in
ihren heftigsten Bewegungen die unmittelbare An-
schauung widerzuspiegeln scheinen. Sehr wenige
Maler haben verstanden, die Bewegungen des
Schwebens und Fliegens menschlicher Körper, also
nicht unmittelbar der Wirklichkeit entlehnte Mo-
tive, so überzeugend darzustellen wie Tiepolo. Alle
Bewegungen zeigen eine frische Leichtigkeit, eine
elastische Kraft, wie sie nicht das Sehen allein,
sondern nur die erregte seherische Phantasie zu
schaffen vermag. Es ist ein Strom von Leben, von
individueller Lebensbetrachtung, der sich hier in
schwungvolle Gesten ergiesst, in freudevoll jauch-
zenden Lauten hervordringt. Denn man kann sich
diese elementar kraftvollen, erregten Gestalten gar
nicht schweigend, nicht in irgendeiner Lebens-
äusserung gehemmt vorstellen; wenn man sie
lichtumflossen in den weiten Räumen erblickt,
glaubt man ihre hallenden Stimmen zu verneh-
men.
Es ist nicht allein die helle Freude an der
Meisterschaft der Naturwiedergabe, die uns die Be-
trachtung der Zeichnungen wirklich grosser Künst-
ler so ausserordentlich genussreich und anregend
macht, es ist vor allem auch die Lust der thätigen
Teilnahme am Werke des schaffenden Künstlers,
das dem Betrachtenden hier vergönnt, aus nur an-
deutenden Äusserungen eines primären künstle-
rischen Formempfindens das Bild nach seiner eigenen
Naturerinnerung und seiner Phantasie selbständig
zu rekonstruieren.
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Trotzdem haben die Gruppen und Figurenskizzen
Tiepolos fast immer einen ganz bildmässigen, ge-
schlossenen Charakter, im malerischen Eindruck
des Ganzen wie selbst in der Andeutung der leich-
ten oder schwer lastenden Stoffe der Kleider, der De-
tails, der Schmuckteile und dergleichen mehr. Nur
wenige Maler haben das Wesentliche der Formen
und sogar des farbigen Scheins ihrer Gemälde schon
in der Skizze so weit vorauszunehmen verstanden,
wie Tiepolo — seine französischen Zeitgenossen,
von denen manche übrigens viel von ihm gelernt
haben, sind ihm auch hierin verwandt — das
erklärt sich wohl daraus, dass er die wesentlichen
Elemente seiner Kunst: Bewegung und Licht, schon
in der lavierten Federzeichnung mit seiner Meister-
schaft vollkommen zur Anschauung bringen konnte.
Durch die Fluten blendenden Lichtes, die in seinen
Gemälden die Gruppen gliedern und formen, die
perspektivische Verschiebung deutlich machen,
werden überhaupt die Einzelformen und die Farben
als Lokaltöne der Aufmerksamkeit des Beschauers
mehr entzogen. Tiepolo liebt überdies auch in
seinen Gemälden eine geniale Kürze der Raum-
schilderung. Ein Baum, der meist quer einschneidend
in den Raum hineinragt, genügt zur Andeutung des
Landes, ein einsam schwebender Vogel sugge-
riert die Vorstellung weiter Lufträume, eine ge-
waltige Säule, breite Stufen oder Balustraden geben
hinreichend den Eindruck grossartiger Architek-
turen.
Allerdings muss man Tiepolos Zeichnungen in
den Originalen betrachten, um beurteilen tu kön-
nen, wie vollkommen er die Effekte der Beleuch-
tung schon hier zu erzielen verstanden hat. In den
Nachbildungen fehlt die Wirkung des warmweissen,
belebten Papiertones, der die breite Lichtmasse
bildet und in seiner Leuchtkraft durch die spärlich
verteilten tiefen Schattenflecke noch gesteigert wird,
der die Umrisslinien so aufzehrt, dass sie dem
Auge kaum mehr als Linien zum Bewusstsein kom-
men. Aus der blendenden Sonne in freier Luft
scheinen die Gestalten, unbestimmt in den Umrissen
wie man die Formen in solcher Beleuchtung sieht,
aufzutauchen. Die einzelne Linie als solche in ihrer
starken Bewegtheit und flimmernden Unbestimmt-
heit scheint stückweis betrachtet fast formlos, im
Gegensatze zu der Zeichnung der Renaissance und
des Klassizismus, bei der man in jedem Teilchen
seine Bedeutung als Form erkennen kann. In Tie-
polos Skizzen gewinnt das Einzelne erst im Zusammen-
hange der ganzen Komposition gestaltende Aus-
druckskraft. Mit nicht geringerer Meisterschaft
als in seinen Gemälden und Zeichnungen hat Tie-
polo in seinen Radierungen diese Wirkungen des
starken Lichtes auf die Umrisslinie wiederzugeben
verstanden.
Von den Bestrebungen moderner Kunst nach
dieser Richtung hin unterscheidet Tiepolo seine von
den Geschlechtern der Vorfahren ererbte Stilkraft,
die Fähigkeit, den unmittelbaren, flüchtigen Natur-
eindruck, ohne seine Wesenheit zu verletzen, nach
dem Sinne, dem Schmuckerfordernis und der
Stimmung des für die dauernde Betrachtung be-
stimmten Kunstwerkes umzugestalten.
Schon in den Skizzen ist diese Umgestaltung
der in der Wirklichkeit oder in der Phantasie
erschauten Formen für die Zwecke ihrer Verwen-
dung vor sich gegangen, so stark die Gestalten in
ihren heftigsten Bewegungen die unmittelbare An-
schauung widerzuspiegeln scheinen. Sehr wenige
Maler haben verstanden, die Bewegungen des
Schwebens und Fliegens menschlicher Körper, also
nicht unmittelbar der Wirklichkeit entlehnte Mo-
tive, so überzeugend darzustellen wie Tiepolo. Alle
Bewegungen zeigen eine frische Leichtigkeit, eine
elastische Kraft, wie sie nicht das Sehen allein,
sondern nur die erregte seherische Phantasie zu
schaffen vermag. Es ist ein Strom von Leben, von
individueller Lebensbetrachtung, der sich hier in
schwungvolle Gesten ergiesst, in freudevoll jauch-
zenden Lauten hervordringt. Denn man kann sich
diese elementar kraftvollen, erregten Gestalten gar
nicht schweigend, nicht in irgendeiner Lebens-
äusserung gehemmt vorstellen; wenn man sie
lichtumflossen in den weiten Räumen erblickt,
glaubt man ihre hallenden Stimmen zu verneh-
men.
Es ist nicht allein die helle Freude an der
Meisterschaft der Naturwiedergabe, die uns die Be-
trachtung der Zeichnungen wirklich grosser Künst-
ler so ausserordentlich genussreich und anregend
macht, es ist vor allem auch die Lust der thätigen
Teilnahme am Werke des schaffenden Künstlers,
das dem Betrachtenden hier vergönnt, aus nur an-
deutenden Äusserungen eines primären künstle-
rischen Formempfindens das Bild nach seiner eigenen
Naturerinnerung und seiner Phantasie selbständig
zu rekonstruieren.
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