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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 10.1912

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Heft 10
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Voll, Karl: Böcklin und Salomon Gessner
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https://doi.org/10.11588/diglit.4707#0526

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und das Kalte darin sind Erbteile eines Stils, der in
direkter Linie von der historischen Landschaft des
achtzehnten Jahrhunderts kommt. Nicht minder
stammen daher seine arkadischen Szenen und endlich
jener Faktor, der seinen Werken immer ein grosses
Interesse sichern wird, selbst wenn man — was gar
nicht unmöglich ist — von ihm alsKoloristen nicht
mehr so gut denken wird wie noch vor kurzem:
ich meine den erzählend-künstlerischen Inhalt. Das
ist auch ein Rest des achtzehnten Jahrhunderts. Als
das lustige geistreiche Rokoko mit seinen graziösen
Formen gar nicht mehr wirken konnte und ohne
allen Widerspruch verachtet war, da galt immer
noch seine Lehre, wie man ein Kunstwerk auf
amüsante oder würdige Weise mit anmutigem oder
erhebendem Inhalte ausstattet.

Es genügt darum nicht, dass man wie manche
thun, in Böcklin den Dichter und Menschen auf
Kosten des Malers preist. Dadurch kann man sich
wohl mit leidlich guter Manier aus dem unbequemen
Dilemma der Böcklinfrage ziehen, aber der Fall liegt
doch nicht so, dass man in seinen Werken den Fak-
tor der bildenden Kunst reinlich oder gewaltthätig
von dem der Poesie trennen könnte. Der Mensch,
der Dichter und der Maler sind in ihm eine ge-
schlossene Einheit: nur ist er nicht als Einer anzusehen,
der mit allen seinen Instinkten und Fähigkeiten aus-
schliesslich dem neunzehnten Jahrhundert angehört
hätte. Er hangt ja — bewusst oder unbewusst — mit
dem achtzehnten Jahrhundert auch insofern eng zu-
sammen, als er seine Bildideen auf eine Weise for-
mulierte und gewann, die dem Rokoko sehr wahl-
verwandt war. Es ist gewiss kein Zufall, dass er so
wie Prud'hon, der ja auch viel, sehr viel feines Rokoko
in das neunzehnte Jahrhundert hinübergerettet hat,
die Furien malt, die dem Mörder auflauern; er hat
nicht umsonst so viel heimlich versonnene Idyllen

geschaffen; denn auch die Kunst des achtzehnten Jahr-
hunderts liebte das Träumerische und Weltfremde.

Einen auffallenden Beweis dafür giebt das be-
rühmte Bild: „die Brandung". Wenn es einen
typischen Böcklin giebt, der den ganzen Charakter des
Künstlers zeigt, so ist es diese Tafel, wo wir die schöne
Nymphe in der selbstgenügsamen und so triebfrohen
Einsamkeit sehen. Da ist doch gar nichts, was uns
an einen andern Künstler des neunzehnten Jahrhun-
derts erinnern könnte. Und dennoch findet sich das
Motiv in seinen wesentlichen Bestandteilen und mit
nur sehr wenigen Verschiedenheiten in einer Ra-
dierung des Salomon Gessner, die in der französi-
schen Ausgabe seiner Idyllen im zweiten Bande vom
Jahre 1777 enthalten ist. Die Abbildungen entheben
uns einer näheren Beschreibung oder Erläuterung.

Es bleibt nur die Frage, ob Böcklin die Radierung
des deutschen Theokrit gekannt hat. Das ist wahr-
scheinlich und ist jedenfalls nicht ausgeschlossen,
dass ihm das noch heute beliebte Buch in der fran-
zösischen oder in der späteren deutschen Ausgabe,
wo sich die Radierung auch findet, in die Hand
gekommen ist. Aber ob er sich des Blattes noch
erinnerte, ob er es bewusst vor Augen hatte, als
er sein berühmtes Bild schuf, das kann man nicht
sagen. Ich glaube auch, dass das gar nicht viel zu
sagen thut; denn die Brandung ist eben ein echter
typischer Böcklin. Angesichts des Umstandes, dass
sich so viel Elemente seines Stils auf das achtzehnte
Jahrhundert zurückführen lassen, und dass er doch
ein Künstler von unzweifelhafter Selbständigkeit
und Eigenwilligkeit war, scheint es mir sogar glaub-
licher, dass hier ein Fall von atavistischem Zurück-
gehen auf alte Formen vorliegt. Auf jeden Fall aber
müssen wir zum Schluss feststellen, dass Böcklin
das Motiv aus dem liebenswürdig Dilettantischen
ins rein Künstlerische erhoben hat.

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