Hans W. Singer, Unika und Seltenheiten im Kgl.
Kupferstichkabinet zu Dresden. Leipzig, Glass& Tuscher
iS>ri. 4.
In einer Art von Stammbuch 50 Raritäten desDresd-
ner Kupferstichkabinets abzubilden, ist eine gute Idee ge-
wesen. Manchem Benutzer der Sammlung wird das
Buch willkommen und eine bessere Erinnerung sein als
die übliche Postkartenserie. Der Verfasser meint, es wäre
ihm leichter gefallen, 500 Unika und Seltenheiten zu
wählen als 50. Da nimmt er den Mund etwas voll, denn
500 Rarissima des Kupferstichs giebt es wohl überhaupt
nicht, auch wenn man alle Kupferstichsammlungen aus-
kehren wollte. Wer das Album durchnimmt, hat keines-
wegs die Empfindung, dass der Verfasser sehr aus dem
Vollen geschöpft habe, er wird vielmehr feststellen müssen,
dass viele der abgebildeten Blätter in eine Sammlung von
graphischen Seltenheiten nicht hineingehören. Dazu ge-
hören z. B. Cranachs Luther als Junker Jörg, der sich
in vielen Sammlungen findet, Janinets Marie Antoinette,
wohl alle aufgenommenen englischen Schabkunstblätter.
Die Bezeichnung Unikum wird vom Verfasser häufig
hypothetisch eingeschränkt. Das ist doch wohl nicht zu-
lässig. Wenn ich zwei Arme habe, bin ich nicht beinahe
einarmig. In drei Fällen, die ich leicht kontrollieren
konnte, ist die Angabe Unikum unrichtig. Von Flötners
Prunkbett befindet sich ein zweiter Abdruck in Wien
(war aus I. Reimers Buch über Flötner zu erfahren).
Rembrandts Verkündigung an die Hirten im ersten Zu-
stand ist in einem zweiten Exemplar im British Museum.
Dies hätte dem Verfasser, der ein grosses Werk über
Rembrandts Radierungen herausgegeben hat, bekannt
sein müssen. In den Büchern von Rovinski und W. v.
Seidlitz, war es leicht nachzuschlagen. Oder Rovinski
und Seidlitz irren, dann war hier der Platz den Irrtum
richtig zu stellen. Die im erwähnten früheren Buch
zuerst ausgesprochene überraschende Meinung, die Ra-
dierung rühre nicht von Rembrandt her, wird vom
Verfasser bei dieser neuen Gelegenheit leider wieder-
holt. Von Burgkmairs Helldunkelschnitt Bildnis des
Papstesjulius II. besitzt Braunschweig ein zweites Exem-
plar mit der Adresse Jost de Negkers, von Campbell
Dodoston in die Literatur eingeführt (II, 87). Das
Dresdner Kabinet ist eine der wenigen Sammlungen,
die eine grössere Anzahl der seltensten Radierungen
von Hercules Seghers besitzt. Eine vollständige Aus-
gabe, seit langem geplant und vorbereitet, ist gerade
im Erscheinen begriffen. Diesen Zeitpunkt haben so-
wohl das British Museum wie das Dresdner Kabinet
gewählt, um noch vorher einige ihrer Seghersblätter
zu publicieren. Das Dresdner Kabinet hat mehrere
Unika in seiner Seghersmappe. Aber nicht die hat Singer
gewählt, sondern gerade die beiden, die in vielen Exem-
plaren erhalten sind (so weit man bei Seghers von viel
sprechen kann). Als ob erSeghers undRembrandt gleich-
wertig wäre, wird zum Schluss ein Stich reproduziert,
den ein törichter Mensch des achtzehnten Jahrhunderts
auf eine Eierhaut gedruckt hat. Nach der Geschmack-
losigkeit ist ein solcher technischer Witz den geschnit-
tenen Kirschsteinen der alten Kunstkammern gleichzu-
stellen. Überflüssig erscheint mir auch die Wiedergabe
eines Teigdruckes. Ein längst verstorbener Museums-
beamter hat Vorjahren einmal seinem unbeliebten Vor-
gesetzten den höhnischen Vers angehängt:
Teigdruck, Schrotblatt, Inkunabel
hält der Chef für miserabel.
In der Bewertung der Teigdrucke wird man sich heute
an die Seite des verleumdeten Chefs stellen müssen.
Sie können weder künstlerisch noch historisch und nur
technisch interessieren. Auf photographischem Wege
sind sie nicht abzubilden, ob Teigdruck oder ein Stück
Linoleum, ist auf der Photographie nicht zu erkennen.
Die den Tafeln (warum sind die aber nicht numeriert?)
vorgesetzten Erklärungen geben alle Auskunft, die der
Leser erwartet. Manchmal auch eine Anekdote, die
aber wird, auch wenn sie nicht wahr ist, dem Leser,
der ausserhalb der zunächst interessierten Fachkreise
steht, die Lektüre würzen. Die Einleitung giebt eine
lesenswerte Geschichte des Dresdner Kabinets. Zum
Schluss ein stark aufgetragenes Lob der gegenwär-
tigen Verhältnisse. Nun sind die Einrichtungen im
Dresdner Kabinet vortrefflich, die laute Anerkennung
hätte der Verfasser aber andern überlassen müssen (die
dazu auch gern bereit sind). Im Munde des Verfassers,
der der Direktion des Dresdner Kabinets angehört, ist
es Eigenlob mit der bekannten Wirkung. Die Behaup-
tung: die Dresdner Einrichtungen wurden vorbildlich,
bei Neugründungen holte man sich in Dresden den besten
Rat, ist ausserdem historisch unrichtig. Wenn ich aber
nicht selbstthun will, was ich eben tadelte, kann ich nicht
korrigieren und nur meinen, dass hier die Äusserung
eines antipreussischen Partikularismus vorliegt.
I. Springer.
Georges Wooliscroft Rhead: History ofthe
Fan. London. Kegan Paul, Trench, Trübner & Co.
iqio.
In dieser „Geschichte des Fächers", die so dick ist
wie ein Band der „Sixtinischen Kapelle", ist nicht nur
von der Geschichte des Fächers die Rede, sondern noch
von vielen anderen Dingen natürlich, von Mythologie
und Geschichte, von Kunstgeschichte und Kulturge-
schichte, von Dichtern, Versemachern, Schriftstellern
und Dilettanten, Sammlern und Fabrikanten, von Kostüm
und Moral, und gelegentlich auch von dem Zusammen-
hang, in dem einige dieser Faktoren zueinander stehen.
Man sieht, der Standpunkt, von dem der Verfasser, in
der Kunstwissenschaft bekannt als Autor der „British
Pottery Marks", an seine Aufgabe herangetreten ist,
ist der des gelehrten Antiquars. Nach einer poetisie-
renden Einleitung, in der es von Amoretten und Frauen
wimmelt, wird uns die Geschichte des Fächers im Alter-
tum, bei den Ägyptern und Mesopotamiern, bei den
Griechen und Römern mitgeteilt, dann machen wir eine
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Kupferstichkabinet zu Dresden. Leipzig, Glass& Tuscher
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In einer Art von Stammbuch 50 Raritäten desDresd-
ner Kupferstichkabinets abzubilden, ist eine gute Idee ge-
wesen. Manchem Benutzer der Sammlung wird das
Buch willkommen und eine bessere Erinnerung sein als
die übliche Postkartenserie. Der Verfasser meint, es wäre
ihm leichter gefallen, 500 Unika und Seltenheiten zu
wählen als 50. Da nimmt er den Mund etwas voll, denn
500 Rarissima des Kupferstichs giebt es wohl überhaupt
nicht, auch wenn man alle Kupferstichsammlungen aus-
kehren wollte. Wer das Album durchnimmt, hat keines-
wegs die Empfindung, dass der Verfasser sehr aus dem
Vollen geschöpft habe, er wird vielmehr feststellen müssen,
dass viele der abgebildeten Blätter in eine Sammlung von
graphischen Seltenheiten nicht hineingehören. Dazu ge-
hören z. B. Cranachs Luther als Junker Jörg, der sich
in vielen Sammlungen findet, Janinets Marie Antoinette,
wohl alle aufgenommenen englischen Schabkunstblätter.
Die Bezeichnung Unikum wird vom Verfasser häufig
hypothetisch eingeschränkt. Das ist doch wohl nicht zu-
lässig. Wenn ich zwei Arme habe, bin ich nicht beinahe
einarmig. In drei Fällen, die ich leicht kontrollieren
konnte, ist die Angabe Unikum unrichtig. Von Flötners
Prunkbett befindet sich ein zweiter Abdruck in Wien
(war aus I. Reimers Buch über Flötner zu erfahren).
Rembrandts Verkündigung an die Hirten im ersten Zu-
stand ist in einem zweiten Exemplar im British Museum.
Dies hätte dem Verfasser, der ein grosses Werk über
Rembrandts Radierungen herausgegeben hat, bekannt
sein müssen. In den Büchern von Rovinski und W. v.
Seidlitz, war es leicht nachzuschlagen. Oder Rovinski
und Seidlitz irren, dann war hier der Platz den Irrtum
richtig zu stellen. Die im erwähnten früheren Buch
zuerst ausgesprochene überraschende Meinung, die Ra-
dierung rühre nicht von Rembrandt her, wird vom
Verfasser bei dieser neuen Gelegenheit leider wieder-
holt. Von Burgkmairs Helldunkelschnitt Bildnis des
Papstesjulius II. besitzt Braunschweig ein zweites Exem-
plar mit der Adresse Jost de Negkers, von Campbell
Dodoston in die Literatur eingeführt (II, 87). Das
Dresdner Kabinet ist eine der wenigen Sammlungen,
die eine grössere Anzahl der seltensten Radierungen
von Hercules Seghers besitzt. Eine vollständige Aus-
gabe, seit langem geplant und vorbereitet, ist gerade
im Erscheinen begriffen. Diesen Zeitpunkt haben so-
wohl das British Museum wie das Dresdner Kabinet
gewählt, um noch vorher einige ihrer Seghersblätter
zu publicieren. Das Dresdner Kabinet hat mehrere
Unika in seiner Seghersmappe. Aber nicht die hat Singer
gewählt, sondern gerade die beiden, die in vielen Exem-
plaren erhalten sind (so weit man bei Seghers von viel
sprechen kann). Als ob erSeghers undRembrandt gleich-
wertig wäre, wird zum Schluss ein Stich reproduziert,
den ein törichter Mensch des achtzehnten Jahrhunderts
auf eine Eierhaut gedruckt hat. Nach der Geschmack-
losigkeit ist ein solcher technischer Witz den geschnit-
tenen Kirschsteinen der alten Kunstkammern gleichzu-
stellen. Überflüssig erscheint mir auch die Wiedergabe
eines Teigdruckes. Ein längst verstorbener Museums-
beamter hat Vorjahren einmal seinem unbeliebten Vor-
gesetzten den höhnischen Vers angehängt:
Teigdruck, Schrotblatt, Inkunabel
hält der Chef für miserabel.
In der Bewertung der Teigdrucke wird man sich heute
an die Seite des verleumdeten Chefs stellen müssen.
Sie können weder künstlerisch noch historisch und nur
technisch interessieren. Auf photographischem Wege
sind sie nicht abzubilden, ob Teigdruck oder ein Stück
Linoleum, ist auf der Photographie nicht zu erkennen.
Die den Tafeln (warum sind die aber nicht numeriert?)
vorgesetzten Erklärungen geben alle Auskunft, die der
Leser erwartet. Manchmal auch eine Anekdote, die
aber wird, auch wenn sie nicht wahr ist, dem Leser,
der ausserhalb der zunächst interessierten Fachkreise
steht, die Lektüre würzen. Die Einleitung giebt eine
lesenswerte Geschichte des Dresdner Kabinets. Zum
Schluss ein stark aufgetragenes Lob der gegenwär-
tigen Verhältnisse. Nun sind die Einrichtungen im
Dresdner Kabinet vortrefflich, die laute Anerkennung
hätte der Verfasser aber andern überlassen müssen (die
dazu auch gern bereit sind). Im Munde des Verfassers,
der der Direktion des Dresdner Kabinets angehört, ist
es Eigenlob mit der bekannten Wirkung. Die Behaup-
tung: die Dresdner Einrichtungen wurden vorbildlich,
bei Neugründungen holte man sich in Dresden den besten
Rat, ist ausserdem historisch unrichtig. Wenn ich aber
nicht selbstthun will, was ich eben tadelte, kann ich nicht
korrigieren und nur meinen, dass hier die Äusserung
eines antipreussischen Partikularismus vorliegt.
I. Springer.
Georges Wooliscroft Rhead: History ofthe
Fan. London. Kegan Paul, Trench, Trübner & Co.
iqio.
In dieser „Geschichte des Fächers", die so dick ist
wie ein Band der „Sixtinischen Kapelle", ist nicht nur
von der Geschichte des Fächers die Rede, sondern noch
von vielen anderen Dingen natürlich, von Mythologie
und Geschichte, von Kunstgeschichte und Kulturge-
schichte, von Dichtern, Versemachern, Schriftstellern
und Dilettanten, Sammlern und Fabrikanten, von Kostüm
und Moral, und gelegentlich auch von dem Zusammen-
hang, in dem einige dieser Faktoren zueinander stehen.
Man sieht, der Standpunkt, von dem der Verfasser, in
der Kunstwissenschaft bekannt als Autor der „British
Pottery Marks", an seine Aufgabe herangetreten ist,
ist der des gelehrten Antiquars. Nach einer poetisie-
renden Einleitung, in der es von Amoretten und Frauen
wimmelt, wird uns die Geschichte des Fächers im Alter-
tum, bei den Ägyptern und Mesopotamiern, bei den
Griechen und Römern mitgeteilt, dann machen wir eine
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