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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

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Behrendt, Walter Curt: Holländische Grachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0044

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des Formtriebs eines Volkes, dem der Hang zum
Malerischen tief im Blute sitzt.

Auf allen Seiten von glatten Wänden umstan-
den, in denen kaum ein Detail den Blick auf sich
zieht, wahrt jeder dieser Räume eine stille Abge-
schlossenheit. Und immer ist für ein besonderes
Inventarstück gesorgt, das jedem Raum eine in-
dividuelle Note und damit einen eigenen Charakter
gibt. Jede Wendung des Wasserlaufs, jede Bie-
gung der Straße wird benutzt, um ein bedeu-
tendes Bauwerk oder die interessante Silhouette
eines Turmes in die Perspektive des Raumes zu
rücken. Und wo solche Blickpunkte fehlen, da
ragt irgendein Turmbau oder das Dächergebirge
einer Kirche über die Giebel der Häuser in das
Raumbild hinein. Oder eine der vielen Brücken,
die die Uferstraßen verbinden, übernimmt die Auf-
gabe, das Bild nach der Tiefe hin abzuschließen.
Und es gibt genug Brücken von eigenartiger und
höchst anziehender Form, die diese Aufgabe mit
bestem Gelingen erfüllen. Da sind die malerischen
altmodischen Zugbrücken, mit ihrem zierlichen Ge-
stänge und den plumpen Gewichten, die leichten,
dünngliedrigen Holzbrücken, die den Blick auf die
Wasserbahn freilassen, und endlich die unzähligen
und vielgestaltigen steinernen Brücken mit ihren
wechselnden Bogenformen, die mit dem Gewicht
ihrer Architektur und den tiefen Schatten,' die in
ihren Gewölben liegen, als starke Cäsuren wirken
und den Stadtraum in Abschnitte gliedern.

Ein wahres Schatzkästlein solcher intimen städte-
baulichen Wirkungen birgt die Stadt Delft im
Verlauf ihrer Hauptgracht, der Oude Delft, die
in geradem Lauf von Norden nach Süden zieht.
Vom Norderende lenkt der mächtige, viereckige
Turm der Oude Kerk, der sich wie ein trotziger
Donjon über die Dächer emporreckt, den Blick in
die Tiefe. Denn die Kirche springt, dieser Absicht
zuliebe, aus der Straßenwand vor und tritt in die
Flucht der Gracht, deren Lauf verengend. Auf der
anderen Seite biegt die Front des Prinzenhofes,
gleichsam dem Gewicht dieser gewaltigen Bau-
masse nachgebend, in leisem Schwung nach innen
aus. Dann weitet sich der Lauf der Gracht wieder
und man betritt einen neuen Raumabschnitt, der
wiederum in sich völlig geschlossen ist. Und alle
diese Räume — das gilt für die Grachten so gut
wie für die Straßen und Plätze der holländischen
Städte — sind wie geschaffen zum Verweilen, es

sind Räume, in denen man wohnt und lebt, nicht
Flure und Korridore, die man flüchtig durcheilt,
wie die Straßen unserer heutigen Großstädte.

DasErlebnis solcher Grachtenwanderungen bleibt
unvergeßlich. Die nachhaltige Wirkung dieses Ein-
drucks beruht darauf, daß im Bilde der Grachten die
Elemente architektonischer Gestaltung, wie sie in der
glücklichen Anlage des Planes, in der Linienfüh-
rung der Straßen und in der einfachen Backstein-
architektur ihrer Wände gegeben sind, sich wun-
derbar mischen mit Elementen der Kulturlandschaft,
mit dem Wasser der Kanäle und den Bäumen, die
in langen Reihen an ihren Rändern gepflanzt sind.
Zu einem einheitlichen Ganzen verbunden, entsteht
aus diesen Elementen das Bild einer Stadtlandschaft
von höchst charaktervollem Gepräge. Bereichert
und in seinem malerischen Gehalt erhöht wird
dieses Bild durch die wechselnden Wirkungen des
Lichts. Durch das Laubdach der Bäume dringt das
Licht nur in gedämpften Tönen ein. Wie ein fei-
ner Goldregen rieseln die Strahlen der Sonne durch
die Blätter auf das Wasser der Grachten herab,
deren leicht gekräuselte Fläche bei der Berührung
in tausend blitzenden Funken aufsprüht. LTnd mit
jeder atmosphärischen Veränderung verwandelt sich
die Szene dieses Lichtschauspiels, das eine ganze
Welt von Stimmungswerten in sich birgt. Anders
ist das Bild und die Stimmung, wenn die Sonne
alle Farben zu verstärktem Glänze weckt und die
weiß gefugten Backsteinwände in kräftigem Rot
und dunklem Violett hinter den grünlichen Schatten
der Bäume aufleuchten; anders, wenn der Regen
die Aussicht mit grauen Schleiern verhängt, feine
Nebel über dem Wasser aufsteigen und die nassen
Stämme der Bäume in tiefem Schwarz aufleuch-
ten; und wieder anders, wenn im Winter mäch-
tige Eisschollen auf den Wassern dahintreiben und
das kahle Geäst der Bäume in feinen Linien sich
auf dem gleichmäßig grauen Grund des Himmels
abzeichnet.

Zu höchstem Glanz entfaltet sich der Zauber
der Grachten in Amsterdam. Hier, in der Landes-
hauptstadt, ist das landläufige Motiv in bewußter
Erkenntnis seines Schönheitswertes in einem ent-
scheidenden Stadium der Stadtentwicklung in groß-
artigem Maßstab verwertet und zu repräsentativer
Pracht gesteigert worden. Als die Stadt, im An-
fang des siebzehnten Jahrhunderts, im Giprel ihrer
Macht und ihres Ansehens stand, als sie, vom

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