Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 25.1927

DOI Heft:
Heft 6
DOI Artikel:
Camoin, Charles: Erinnerungen an Cézanne
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7392#0236

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PAUL CEZANNE, DER VATER DES KÜNSTLERS

MIT ERLAUBNIS DER D. D. A. (GALERIE A. FLECHTHEIM, BERLIN)

tigen Faustschlag auf den Tisch unterstrich: „Je
suis tout de meme peintre." Manchmal stand er
während des Essens auf und verschwand im Neben-
zimmer. Man wußte nicht, weshalb. Frau Bremond,
die Köchin, trug das folgende Gericht auf, aber
Cezanne kam immer noch nicht zurück. Er war
bei seiner Staffelei und hatte uns völlig vergessen.

Oft suchte ich ihn Sonntags in der Kirche
auf, wo er auf der Bank der Kirchenvorsteher saß.

„Die Religion", sagte er, „ist für mich mora-
lische Hygiene."

Aber kaum war er im Freien, war nur noch
die Malerei Gegenstand unserer Unterhaltungen.

Dies sind einige seiner Aussprüche, die mir in
der Erinnerung haften geblieben sind:

„Der Maler verwirklicht seine Empfindun-
gen mittels Zeichnung und Farbe, während der
Literat sich mittels Abstraktionen zum Ausdruck
bringt."

„Macht keine Literatur, macht Malerei!
Darin liegt das Heil", schrieb er an Emile
Bernard.

„Theorien sind immer leicht, nur wenn man
den Beweis für das, was man denkt, führen
will, erheben sich ernstliche Schwierigkeiten."

Für ihn gab es keine Theorie, die sich mit
Ausschluß jeder anderen aufzwang. „Es gilt",
so sagte er, „sich mit seinen Empfindungen
und mit seinem Temperament zum Ausdruck
zu bringen, und man muß allen Einflüssen
mißtrauen."

Unter den Alten strich er oft Tintoretto
heraus. „Das ist der Mannhafteste unter den
Venetianern." Auf dem Boden zwischen Bett
und Wand lag ein Aquarell Delacroix', um es
immer zur Hand zu haben, und von Courbet
sagte er: „Er hat das Bild ganz fertig in sei
nem Auge."

Uber Corot meinte er: „Mir ist ein besser
fundiertes Gemälde lieber", und er zog einen
Diaz einem Monticelli vor.

Von den kleinen Meistern des achtzehnten
Jahrhunderts sagte er: „Sie haben ihren Cha-
rakter, ich bin sehr tolerant", aber er ließ
Ingres nicht als Maler gelten.

„Renoir hat die Pariserin gemalt, mich zieht
es zum Bauer, der da vorübergeht."

Unter den Schriftstellern las er mit Vor-
liebe Stendhal. Er empfahl seine „Geschichte der
Malerei in Italien" und von Edmond de Goncourt
,Manette Salomon'. — „Das muß ein Maler lesen."
Von Zola sagte er: „Er ist ein Phrasendrescher." '
Sein Leben verlief in der größten Zurück-
gezogenheit. „Ich lebe mit meinen Gedanken",
sagte er. „Ich bin oft bei Herrn und Frau X. ein-
geladen, aber was soll ich in ihren Salons machen,
ich sage in einem fort: «Nom de Dieu!»"

Unablässig verfolgte er nur das eine Ziel:
realisieren, das Bild machen (faire l'image).

Heute noch kann ich nicht ohne tiefe Be-
wegung an die große Figur dieses edlen Greises
zurückdenken, der mir sagte: „Ich spreche wie ein
Vater zu Ihnen", und der mir seine Freundschaft
schenkte.

i

zu
 
Annotationen